Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Rivalität | Mai 2012
High Noon
von Helmut Loinger

Die Sonne steht senkrecht ĂŒber Roseshome. Wie angeschraubt. Erbarmungslos. Die Konturen der kleinen Siedlung flimmern in der hirnverdampfenden Hitze. Der Oberhuber hat sich nach all den Jahren noch immer nicht an die Temperaturen in den SĂŒdstaaten gewöhnt. Eine Handvoll ausgehungerter Geier hockt erwartungsvoll auf der Dachkante der Post Station. Knochentrockener Wind blĂ€st durch die HĂ€userreihen und treibt verdorrte GrasbĂŒschel vor sich her. Trotz seiner beachtlichen KörperfĂŒlle wirft der Oberhuber kaum einen Schatten. Immer zur selben Zeit verlĂ€sst er freitags sein Rathaus und schleppt seinen massigen Körper gemĂ€chlich zum schrĂ€g gegenĂŒberliegenden Saloon, der selbst hier mitten in Texas Beergarden heißt. DafĂŒr hat der Oberhuber, der BĂŒrgermeister, schon gesorgt. Wie immer ist er bayerisch ausstaffiert in speckiger Lederhose, rot-kariertem Hemd, bayerischem Hut mit Gamsbart und seinen Haferlschuhen. Die Uhr am Kirchturm zeigt Viertel vor zwölf.

„Hola, Aleman!“, schreit der kleine Mexikaner, der sich ihm in den Weg stellt. Der Oberhuber kennt diese viel zu schrille Stimme, die ihm ein Schaudern ĂŒber seinen verschwitzten RĂŒcken laufen lĂ€sst, so wie FingernĂ€gel, die ĂŒber eine Schiefertafel kratzen. Breitbeinig steht er da, der Mann aus Veracruz. Keine eins sechzig hoch, keine sechzig Kilo schwer samt seiner vollen MunitionsgĂŒrtel, die um seine kaum vorhandenen Schultern hĂ€ngen, und dem Colt, den er lĂ€ssig um seine HĂŒfte geschnallt hat. Lediglich sein breitkrempiger Sombrero verleiht dem Winzling etwas MĂ€nnliches, abgesehen von den ihn umgebenden AusdĂŒnstungen. Man nannte ihn Hombre in seiner Heimat, bis zu seiner Emigration in die Staaten. Hier aber nennt man den KleinwĂŒchsigen ‚El Nino‘, von Roseshome bis an die mexikanische Grenze und rĂŒber bis zum Rio Bravo.

El Nino hat auf ihn gewartet, auf den BĂŒrgermeister dieser jungen Siedlung, auf den Aleman. Der Mexikaner weiß um dessen Eigenart, immer freitags am spĂ€ten Vormittag im Saloon diese fĂŒr ihn eigenartig bleichen WĂŒrste zu fressen und Bier zu saufen, bis er nicht mehr stehen kann.

„Servus!“, brummt es aus einer verdammt trockenen und nach bayerischem Weißbier lechzenden Kehle. Obwohl er diesen Zwerg nicht ausstehen kann, obwohl er generell keine AuslĂ€nder mag in seinem Roseshome, ist er redlich bemĂŒht, die Situation nicht eskalieren zu lassen. Er hat Hunger. Er hat Durst. Er will in den Beergarden und er will WeißwĂŒrste.

„Du hast mir mein Land gestohlen, Aleman!“, brĂŒllt El Nino und beschwert sich damit ĂŒber die fĂŒr den Oberhuber nebensĂ€chliche Tatsache, dass er ihm sein StĂŒck Land unten am Red River im FlĂ€chenwidmungsplan noch immer nicht in Bauland umgewidmet hat.

„A so a Schmorrn“, kontert der Oberhuber, „du muasst nur no dein‘ StaatsbĂŒrgerschoftsnochweis bringen und deine Aufenthaltsgenehmigung samt Arbeitsbewilligung. Jo und fĂŒr eine Handvoll Dollar kriagst donn a dei Umwidmung vo mia.“

„Pah, Mierda! Und du hast mir meine Hanfplantage niedergebrannt und meine kleine Juanita, meine Tochter geschĂ€ndet, Concho!“, prustet El Nino heraus, ohne Luft zu holen. Teuflisch stechende Augen leuchten aus seiner vor Aufregung rotgefĂ€rbten Fratze.

„Iatz moch‘ oba amoi halblong, Ninnjo. Des mit deiner Plantage wor net i, sondern der Hans, mei Bruada. Und de Juanita is zu mir ins Rathaus kemma und woit an Job ois Praktikantin. I schwör’s, do wor nix, wos sie net a woit! Soi mi auf der Stell‘ da Blitz daschlog’n.“

„Stirb aufrecht, Uberober!“, verlautet der Mann, der kam, um zu töten.

„Oberhuber, zefix, merk‘ dir des amoi!“ Er weiß, dass der Mexikaner dies absichtlich macht, dennoch steigt sein ohnehin schon ĂŒberhöhter Blutdruck. Aus dem Augenwinkel erblickt er die Uhr am Turm. Knapp zehn vor zwölf. Die Zeit drĂ€ngt, will er seine WeißwĂŒrste noch rechtzeitig vorm Zwölfe-LĂ€uten verspeisen. „Du Ninnjo“, eröffnet er kompromissbereit, „moanst net, dass mia ins des so a ausdaschnopsn?“

„Nada, ich mache Chili aus dir, Aleman!“, erwidert der Mexikaner lauthals, „und dann lass‘ ich alle Bleichgesichter dieses fetteste Chili in ganz Texas kosten, hahahaa!“

Der BĂŒrgermeister weiß, dass mit dem Giftzwerg nicht zu spaßen ist, spĂ€testens seit dem letzten Oktoberfest, das er hier in Roseshome organisiert hat. El Nino konnte sich selbst nach drei Flaschen Tequila nicht mit dem Gedudel der bayerischen Blechmusik anfreunden, worauf er kurzerhand ‚Die glorreichen Sieben‘, so nannten sie sich, niederstreckte und damit die ansonsten ausgelassene Stimmung auf einen zwischenzeitlichen Tiefpunkt brachte. Leider gab es keine bleichgesichtigen Augenzeugen, außer den Musikanten selbst, so dass El Nino lediglich mit einem siebenfach lebenslĂ€nglichen Festivalverbot bestraft wurde.

„Iatz beruhig‘ di wieda, Ninnjo. Loss‘ mi erst amoi meine WeißwĂŒrst‘ essn, donn huck‘ ma ins zomm und 
“, noch bevor der Oberhuber den Satz zu Ende bringen kann, zieht El Nino seinen Colt. Peng! Der Schuss lĂ€sst den BĂŒrgermeister erschreckt zusammenzucken und einen der am Dach der Post-Station wartenden Geier zu Boden stĂŒrzen. Eine Handvoll schwarzer Federn begleitet den Abgang des Federviehs.

Ganz Roseshome scheint inzwischen diesem Showdown beizuwohnen. Der Sheriff, Oberhubers Bruder, hĂ€lt sich vornehm zurĂŒck. Frauen und Kinder tummeln sich hinter den Glasscheiben, die von den regelmĂ€ĂŸigen SandstĂŒrmen milchig geschliffen wurden. Der ortsansĂ€ssige TotengrĂ€ber holt seinen Fotzenhobel aus seinem abgewetzten schwarzen Mantel und stimmt ein bayerisches Volkslied an.

El Nino’s Puls schnellt bei dieser Musik noch weiter in Höhe. Nervös fummelt er mit seinen verdreckten Fingern am Abzug. „Hey TotengrĂ€ber. Spiel mir das Lied vom Tod!“, fordert er ihn auf und fĂŒgt dramatisch hinzu: „Uberober und ich sind verdammt zu leben, verdammt zu sterben.“

„Jo, wennst moanst, oba mia zwoa kunnt’n vorher no a Bier und a Weißw
“, ein erneuter Einlenkungsversuch Oberhubers.

„Muere, Aleman!“, unterbricht El Nino den Oberhuber. Dieser denkt an den Topf mit den im heißen Wasser schwimmenden WeißwĂŒrsten. Die Uhr am Kirchturm klickt. Drei Minuten vor Zwölf.

„Jo, is scho guat!“

Die gnadenlosen Zwei fixieren einander. Auch der Oberhuber hat seine rechte Hand an seinem Revolver in Position gebracht. Beide sind bereit, es jetzt und hier zu beenden.

„Adios,Gringo!“, verkĂŒndet El Nino voller SelbstĂŒberschĂ€tzung.

Der TotengrÀber beendet sein Lied. Leise weht der Wind des Todes durch Roseshome.

„Auf geht’s.“ entgegnet der Oberhuber mit knurrendem Magen.

Der BĂŒrgermeister sieht den Mexikaner ziehen. Schnell, schneller als tausend Colts. Peng! Er reißt und zerrt an seinem Revolver, der im Halfter klemmt. Peng! Oberhuber’s Unbeweglichkeit kommt ihm in dieser Situation nicht gerade entgegen. Peng! Er kann sich nicht erinnern, wann er zuletzt so geschwitzt hat. Peng! El Nino’s fĂŒnfte Kugel reißt ihm das rechte OhrlĂ€ppchen weg und hinterlĂ€sst ein irres Singen in seinem Ohr. Blut. Tinnitus. Seine hundertfĂŒnfzig Kilo wanken, taumeln, aber nur kurz. El Nino grinst.

„Zefix no amoi“, brĂŒllt der Oberhuber, „Hurerei, geh aussa do, Glump damisches!“ Die letzte Kugel. Peng! Endlich hat er seine Knarre befreit. „No oissa“, stellt er mit dem Revolver in seiner Rechten erleichtert fest.

Er streckt beide HĂ€nde von sich. Betrachtet seinen unversehrten Körper, das OhrlĂ€ppchen mal ausgenommen. „Wie kann man den Oberhuber nicht treffen?“, denkt sich der Oberhuber. Ein breites Grinsen ĂŒberfĂ€llt ihn. Dann fokussiert er El Nino, zielt auf vor Entsetzen weit aufgerissene Mexikaner-Augen. „Pfiat di, Ninnjo!“, meint der BĂŒrgermeister sĂŒffisant und drĂŒckt ab. Peng! Die Kugel blĂ€st dem Mexikaner in den Sombrero, durchquert seine SchĂ€deldecke und fliegt hinten am Sombrero beinahe ungebremst wieder raus. „Blattschuss! Nur eine Kugel fĂŒr den Bastard“, freut sich der BĂŒrgermeister.

In der Glut der Sonne, vor dem Saloon hockend dokumentiert der Ortschronist, der nebenbei noch Autor diverser Schundliteratur ist, dieses unglaubliche Duell. „Hey Tarantino, host des g’sehn? Konnst amoi deinen Enkerln davon erzĂ€hl’n!“

Der Oberhuber lacht laut, schallend, hysterisch und verspĂŒrt plötzlich ein Ziehen in seiner linken Brust, das zu einem stechenden Schmerz wird. Er setzt seinen Weg zum Beergarden fort, endlich. Ein wenig Blut tropft ihm vom Ohr auf seine Schulter, mehr nicht. Sein rot kariertes und blutbesprenkeltes Hemd ist klitschnass. Er schwingt seine Körpermasse auf die Veranda des Beergardens. Das ausgetrocknete Holz Ă€chzt unter seinen Haferlschuhen. Dann stĂ¶ĂŸt er gerĂ€uschvoll und mit schmerzverzerrtem Gesicht die blau-weiß-karierte SaloontĂŒr auf. Seine WeißwĂŒrste warten bereits im Topf dampfend, frisch. High-Noon, pĂŒnktlich.

GenĂŒsslich zutzelt der Oberhuber eine nach der anderen aus. Das Stechen in seiner Brust wird stĂ€rker. Blut gerinnt in einem seiner HerzkranzgefĂ€ĂŸe. Bei seiner siebzehnten Weißwurst bekommt er keine Luft mehr, ringt verzweifelt nach Atem. Herzkammerflimmern.

„Scheißdreck, vareckter!“

Letzte Aktualisierung: 16.05.2012 - 00.21 Uhr
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