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Rivalität | Mai 2012

Verrückt nach Mary-Anne
von Ingo Pietsch

Zwei Häuser waren - gleich an Würdigkeit -
Hier in England, wo die Handlung steckt,
Durch Groll zu einem Kampf bereit,
Wo Adelsblut die Adelshand befleckt.

Wohin das führte?
Duke Patrick Drake steht wie versteinert da. Vor ihm liegen die Toten: Earl Robert Wellington, Stallmeister Kevin und das Dienstmädchen Diana, die langsam der Nebel einhüllt.
Nur einen Moment bis sich seine Gedanken ordnen, dann wirft er seine Muskete in einen Busch und flüchtet.

Wie es dazu kam?
Earl Robert, damals noch lebendig und Duke Patrick standen Rücken an Rücken, die Musketen in den angewinkelten Händen nach oben zeigend.
Es war frisch an diesem Morgen. Nebel umwaberte ihre Füße und wurde aufgewirbelt, als sie losschritten.
Kevin war ihr Schiedsrichter und zählte langsam: „Eins, zwei, drei.“
Die Duellanten, in einfachen Gehröcken, auf ihre weißen Perücken verzichtend, trugen diesen Zweikampf aus, nicht um der Ehre willen, nein, sondern um eine Frau.
In diesem Augenblick, als sie fast abgedrückt hätten, kam Diana angerannt und stoppte das Duell mit atemlosen Worten: „Haltet ein, es ist etwas Furchtbares geschehen!“
Earl Robert Wellington und Duke Patrick sahen sich nach dem Dienstmädchen um, senkten die Waffen und ließen sich berichten.

Was war geschehen in der unheilvollen Nacht davor?
Lady Elisabeth sah ihre Tochter Mary-Anne an.
Mit ihren sechzehn Jahren war sie wahrlich reif genug, um zu heiraten. Zwei junge vielversprechende Männer buhlten um sie: Der eine von ihnen war Earl Robert Wellington, Sohn eines Lords aus London, und sehr gut aussehend. Allerdings hatte sich über ihn herumgesprochen, dass seine Familie mehr an dem Anwesen mit den Ländereien interessiert war, als an Mary-Anne. Doch beide würden ein sehr schönes Paar abgeben.
Der andere hieß Duke Patrick. Er stammte vom Landadel ab, sein Haus war inzwischen verarmt. Aber mit angesehenem Namen.
Lady Elisabeth errötete vor Begierde und Scham bei den Gedanken an ihn, an seinen muskulösen Körper und was die beiden heimlich hinter verschlossenen Türen getrieben hatten.
Nicht nur Lady Elisabeth hatte Schande über das Haus gebracht.
Aber heute Nacht würde alles wieder ins Reine kommen, wenngleich sie sich nie verzeihen würde, was sie jetzt tun würde.
Sie hatte mit mehr Gegenwehr gerechnet. Doch nur einen Augenblick später erstarben alle Bewegungen und auch die gedämpften Geräusche unter ihrem Kissen.
Lady Elisabeth legte es beiseite und strich Mary-Anne eine Strähne aus dem Gesicht. Wenig später ging sie ans Fenster zu, um es zu öffnen. Ein kurzer Windstoß fuhr ihr entgegen, als sie ein letztes Mal hinunter sah, auf die Terrasse.

Was löste diese Nachricht aus?
Kevin, der Schiedsrichter, sank auf die Knie und begann zu jammern: „Nein!“
Ãœberrascht wandten sich ihm die beiden Duellanten, Duke Patrick Drake und Earl Robert Wellington, zu.
„Alles vergebens“, jammerte Kevin.
„Was ist vergebens?“, wollte Diana wissen.
„Ich hatte Mary-Anne geliebt. Sie trug mein Kind unter ihrem Herzen!“
Duke Patrick und Earl Robert rissen die Augen auf.
„Dann wäre dieses Duell völlig sinnlos gewesen. Niemand von uns beiden hätte Mary-Anne heiraten können“, meinte Duke Patrick.
Kevin rupfte ein Büschel Gras aus der Erde. „Ich hatte euch erst dazu gebracht, dass ihr aufeinander losgeht. Die angesägten Paddel bei der Bootsfahrt; als Robert bei der Fuchsjagd vom Pferd stürzte, weil der Sattelgurt angeschnitten war; der aggressive Raubvogel, der bei der Falkendressur auf Patrick losging. Das bin alles ich gewesen. Wenn ihr beide euch gegenseitig getötet hättet, wäre niemand mehr im Weg gewesen und ich hätte um Mary-Annes Hand angehalten. Zwar bin ich nur Stallmeister, aber sie war schwanger von mir.“
Während sich Kevin erklärte, brach Diana zusammen. Sie fasste sich an den Hals und röchelte. Robert eilte zu ihr hin, bettete ihren Kopf in seinen Schoß. Schaum bildete sich vor ihrem Mund. Robert streichelte ihr Haar. Sie zitterte am ganzen Körper und schließlich erstarben ihre Bewegungen.
Jetzt fing auch Robert zu weinen an und fuchtelte dabei mit seiner Muskete vor Kevin herum.

Was war am Tag davor geschehen?
Earl Robert und Duke Patrick sitzen sich in schweren Ohrensesseln im Salon des Herrenhauses gegenüber. Sie diskutierten angeregt über die vergangenen Tage und wurden dabei immer lauter.
So bemerkten sie Kevin nicht, der an einem kleinen Tisch eine Flüssigkeit in die Karaffe Sherry goss, die für die beiden bereitsteht.
Gleich darauf verschwand er ungesehen.
Diana nahm das Tablett und ging zu den beiden Streitenden hinüber.
Da sprang Patrick springt auf und reif erregt: „Das werde ich der Lordschaft erzählen!“
Robert blieb ruhig: „Das würde ich an deiner Stelle nicht tun. Irgendetwas werde ich sonst schon noch über dich herausfinden.“
Wütend machte Duke Patrick daraufhin kehrt und rannte dabei fast Diana um.
Die Tür knallte, als Diana sich neben Earl Robert setzte.
„Keine Angst“, sagte dieser. „Er weiß nicht das Geringste von uns beiden. Sehen wir uns gleich im Garten? Und bring den Sherry mit!“

Wie begann das Ende aller?
Der Schuss war kaum verhallt, Kevins Knie gaben schon nach.
Er fasste sich an den Bauch und besah mit aufgerissenen Augen seine blutverschmierten Hände.
„Ich hatte den Sherry vergiftet, damit dieser Wettkampf endlich ein Ende hat. Aber die Wirkung hat zu lange auf sich warten lassen. Ich wusste nicht, dass Diana heimlich davon trinkt.“
Dann kippte Kevin rücklings um und bliebt liegen.
„Was hast du getan?“, fragte Duke Patrick entsetzt.
Earl Robert betrachtete die Waffe in seiner Hand. Er ließ sie fallen und würgte. Sein Oberkörper wölbte sich. Er versuchte die Schmerzen zu unterdrücken. Sein Mund füllte sich mit Mageninhalt und er übergab sich bis er kurz darauf erstickte. So starb er neben seiner geliebten Diana.
Duke Patrick indessen floh voll Angst.

Und was geschah nach diesem Ende?

Der Lord hielt den Brief in der Hand. Seine Geschäfte in der Stadt hatte er abgebrochen. Das Dienstmädchen hatte für ihn spioniert und herausgefunden, dass die Lady ihn betrogen hatte.
Seine Kutsche nach Hause lenkte ein vertrauenswürdiger Mann, der sich dieser Sache annehmen würde.
Der Lord wusste, es konnte die Sache zwar nicht ungeschehen machen, aber die Genugtuung würde reichen müssen.
Er sah aus dem Kutschenfenster, entdeckte Patrick, den er abgrundtief hasste und dann - wie seine Kutsche auf ihn zuhielt und Duke Patrick davor lief.
Die Pferde schreckten. Die Kutsche kippte in den Graben.
Der Lord konnte sich nicht mehr halten. Er schlug mit dem Kopf gegen das Holz und brach sich das Genick.

Letzte Aktualisierung: 27.05.2012 - 19.02 Uhr
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