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Rivalität | Mai 2012

Unser Nucki
von Wolf Awert

„Sabine, du musst mich mittags nicht von der Schule abholen.“
Die Zeiten, dass mein Sohn mich Mama rief, waren schon lange vorbei.
„Bus fahren kann ich nun wirklich alleine.“
„Ach ja, junger Mann? Dann sag ich dir mal was. Du musst zweimal umsteigen, und wenn es nur einmal nicht klappt, bist du erst um kurz vor Drei zuhause. Dann ist das Essen kalt und meine gesamte Nachmittagsplanung im Eimer.“
„Aber in der Schule reden sie alle über unser Auto.“

Also daher wehte der Wind. Meinem Sohn war unser Nucki wohl nicht fein genug. Zugegeben, Nucki war nicht der Schnellste, und das Standgas verstellte sich ständig. Da halfen vor jeder Ampel nur zwei Dinge. Mit dem Gas spielen und beten, dass der Motor nicht ausging. Aber ein neues Auto konnte ich mir nicht leisten. Jedenfalls nicht so lange mein Ex sich mit den Unterhaltszahlungen so spröde anstellte. Na ja, er hatte eben auch nicht immer einen Job.
Rote Ampel.
Mist! Zu spät gesehen. Nucki schüttelte sich noch einmal unwillig, und schon war er aus.
„Da, du hast ihn schon wieder abgewürgt.“
Wie ich dieses wehleidige Gejaule in der Stimme meines Sohnes hasste. Vor allem, wenn sein Vorwurf nur so heraustriefte.
Gelb.
„Sabine, mach.“
Hinter uns hupte jemand.
Grün.
Nucki machte einen Hüpfer nach vorn.
„Was macht der neuerdings für einen Krach?“
Meinem Sohn entging aber auch nichts.
„Da scheint ein Löchslein im Auspuff zu sein“, sagte ich. „Ist doch egal. So lange er noch fährt.“
Wer kein Geld für Reparaturen hat, muss Dinge auf die leichte Schulter nehmen.
„Oh Mann. Auch das noch. Jetzt wird man dich in der Schule schon hören, wenn du um die Ecke kommst.“
„Es gibt Schlimmeres.“
„Hast du ’ne Ahnung. Könntest du zur Abwechselung nicht mal einen Mechaniker kennen lernen, anstatt mit diesem Sparkassenheini loszuziehen? Papa konnte die Kiste wenigstens selbst reparieren.“
„Ja, aber dafür verstand Papa nichts von Frauen.“
„Was gibt es da schon groß zu verstehen.“
Konnte manchmal ganz schön den Großkotz spielen, mein Herr Sohn.
„Wenn dein Vater sich mal … Ach lassen wir das.“
Die Ampel war rot. Ich spielte mit dem Gasfuß. Nucki röhrte auf.
„Schau mal“, sagte mein Sohn. „Das ist ein Auto“, und fuhr mit seinem Arm unter meiner Nase hindurch, sodass ich gar nicht anders konnte, als meinen Kopf zur Seitenscheibe zu drehen.
Viel sehen konnte ich nicht. Knallgelb und flach wie eine Flunder. Ich trat gerade noch rechtzeitig aufs Gaspedal. Nucki hatte schon wieder zu husten angefangen. Ich brachte den Motor im letzten Moment wieder hoch und trat gleich noch einmal nach.
Die Flunder kopierte uns, ließ ihren Motor aufheulen. Klang richtig unangenehm in den Höhen. Beinahe schon aggressiv.
Gelb.
Der Sportwagen machte einen Satz nach vorn, die Reifen pfiffen ein wenig und bei Grün sah ich nur noch rote Bremslichter auf gelbem Grund. Die Flunder war schon an der nächsten Ampel, bevor ich richtig gestartet war. Nucki ruckelte, hüpfte, ich gab noch einmal Zwischengas. Wir fuhren. Gute hundert Meter weiter stand ich wieder neben der Zitronenflunder.
Es war Rot.
Der Fahrer grinste mich an. Ich bemerkte es aus den Augenwinkeln und schaute stur geradeaus. „Roooaaar“, brüllte Nucki.
Hatte da mein Sohnemann grade was von sattem Sound gemurmelt?
Gelb.
Dieses Mal hatte ich die richtige Drehzahl für einen guten Start und schoss ab. Vielleicht hatte der Rennfahrer neben mir auch nicht aufgepasst, aber für mindestens zehn Meter lag ich vorn, bevor er mit von Null auf Hundert in Nullkommanix an mir vorbeibretterte.
Bis zur nächsten Ampel. Die war erwartungsgemäß wieder rot, und der Fahrer der Flunder hatte aufgehört zu grinsen.
So langsam hatte ich den Bogen raus, und Nucki machte mir den Löwen. Nach einem tiefen Knurren, brüllte er seine Wut raus und fing zum Schluss sogar an zu fauchen. Hoppla, ich hatte wohl übertrieben. Was machte es, dass er vorn mit seinen runden Scheinwerfern ganz lieb guckte und hinten den Asphalt nässte wie ein Kind seine Windeln. War eh mehr Wasser als Benzin. Auf das Herz kam es an. Und sein Herz war das eines Kämpfers.
Trotzdem mussten wir die nächste Runde abgeben. Ich kam erst bei Spätgrün so richtig in Gang, hatte eine Fehlzündung und schaltete zu früh.
„Mensch, Sabine“, hörte ich meinen Sohn klagen.
Nucki hustete, als hätte er sich verschluckt, spuckte Blut, Schweiß und Tränen, fing sich wieder und sprang los wie ein Känguru.
Ja, ja, das hatte ich echt verbockt, aber meine rennfahrerische Fehlleistung hatte auch ihr Gutes. Ich erreichte die nächste Ampel so spät, dass sie bereits auf Grün schaltete. Ich brauchte noch nicht einmal das Gas wegzunehmen und rauschte souverän über die Kreuzung. Neben mir hörte ich einen Jubelschrei:
„Mensch, Mama, den packst du.“
Der Sportwagen blieb chancenlos zurück. Selbst sein Start mit quietschenden Reifen konnte ihm auf dieser Etappe den Sieg nicht mehr bringen.
Die letzte Ampel. Wir hatten die Stadtausfahrt erreicht. Hier würden sich unsere Wege trennen. Ich ließ Nucki noch einmal röhren. Dezent, versteht sich. Etwas gönnerhaft. So wie es sich Sieger nun mal leisten können. Der mit der Flunder tippte viel zu nervös auf sein übersensitives Pedal. Sein Rennwagen klang, als würde er hyperventilieren.
Bei Gelb war er auf und davon.
„Wow“, sagte mein Sohn und blieb dann lange Zeit ganz still. Na klar, gegen so eine Rakete kamen wir nicht an. Aber vielleicht in ein paar Jahren. Ich könnte mich selbständig machen. Hätte auch schon eine Idee. Wenn ich vielleicht …
„Sabine?“
„Ja?“
„In drei Jahren kann ich meinen Führerschein machen. Meinst du, wir haben dann den Nucki noch? Das ist vielleicht eine geile Karre.“

Letzte Aktualisierung: 27.05.2012 - 19.12 Uhr
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