Der himmelblaue Schmengeling
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Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Verzaubert | Juni 2012
Jo und Margret im Zauberwald
von Eva Fischer

Jo und Margret gehörten der Nachkriegsgeneration an. Hunger hatten sie nie kennen gelernt.
Aus dem Butterbrot mit Zuckerstreusel wurde ein Hamburger, aus dem Tante Emma Laden ein Supermarkt und schließlich ein Hypermarkt, der die Wahl zwischen Hunderten verschiedener Schokoladen und Chipssorten eher zur Qual als zur Freude gedeihen ließ. Leiblicher Hunger quälte die beiden nie. Dennoch fühlten sie sich ausgetrocknet, wobei auch keine Bewässerung durch Cola light oder Bacardi Rum helfen konnte.

Jo hatte sein Auskommen in einem Bürojob, wo sein Tagesablauf so vorhersehbar war, dass er bereits morgens gähnte, auch wenn er zehn Stunden durchgeschlafen hatte.
Margret arbeitete als Kassiererin bei Aldi, was ihr auch keine nennenswerte Abwechslung bot. Die Kunden hatten die ewig gleichen Schnäppchenjägergesichter, egal ob sie in Designerklamotten daherkamen oder im bequemen Jogginganzug.
Der Chef forderte Rekordtempo. So zog Margret Käse und Bier, Würstchen und Computer in Windeseile über den Scanner. Die Leere im Kopf wuchs in dem Maße wie die Berge in den Einkaufswägen ihrer Kunden.

Abends, nachdem Jo und Margret ihre Schnittchen mit Gürkchen vertilgt hatten, versuchten beide ihren Hunger, der sie noch immer quälte, beim Namen zu nennen.

Heißt du Müdigkeit? – Nein, so heiß’ ich nicht.
Heißt du Frust? – Hmm, schon ganz heiß.
Heißt du Langeweile? – Das hat euch der Teu... gesagt!

Nachdem beide die Not erkannt hatten, an der sie litten, beschlossen sie aktiv zu werden, und suchten eine Anti-Langeweile-Agentur auf.
Der Mann im grauen Anzug, der leider über dem Bauch spannte, (der Anzug, nicht der Mann) ließ in regelmäßigen Abständen den Kugelschreiber auf den Schreibtisch ticken. Damit suchte er wohl seine grauen Gehirnzellen in Schwingung zu bringen.
„Heureka! Ich hab’s!“, sagte er, nachdem er im Internet gegoogelt hatte und bereits bei dem Buchstaben A fündig geworden war.
„Euch fehlt ein Abenteuer.“
Jo und Margret nickten erwartungsvoll.
„Ich hätte da etwas im Angebot.

Abenteuer im Zauberwald. Besonders geeignet für zwei Personen. Garantie: Keiner kommt so raus, wie er reingegangen ist. Die Kosten hängen von der Geschicklichkeit der Teilnehmer ab. Wenn der Parcours nicht in der vorhergesehenen Zeit geschafft wird, fallen höhere Kosten für Unterbringung und Verpflegung an.“

„Ist doch logisch“, befand Jo.
„Genau“, stimmte Margret zu.
„Also, wäre das etwas für euch?“, fragte der Mann in Grau.
„Klingt gut“, meinte Jo.
„Gibt es dazu Eintragungen von bisherigen Teilnehmern im Internet?“, wollte Margret wissen.
Der Mann scrollte den Bildschirm rauf und runter.
„Nein, ihr seid die ersten, die das buchen. Im Mittelalter soll es schon einmal ein Paar gegeben haben, die im Zauberwald waren. Aber wie ihr euch denken könnt, gibt es davon keinen Eintrag im Computer.“
Der Mann lachte, dass sein Körper wackelte und sich ein Knopf seines Jacketts selbstständig machte.
„Ihr seid wahre Glückspilze. Abenteuer pur in einem quasi jungfräulichen Wald.“
Bevor sich der Mann erneut um Knopf und Kragen lachte, erklärte sich Jo bereit, den Zauberwald zu buchen.
Während er seine Unterschrift unter den Vertrag setzte, zwinkerte er dem Mann zu.
„Ein bisschen Erotik gehört doch sicher auch zum Abenteuer?“

So hatten sich die beiden den Zauberwald nicht vorgestellt.
„Der sieht stinknormal aus wie unser Hinkesforst, nur dass weit und breit keiner zu sehen ist.“
„Ich würde sagen, die Wege im Hinkesforst sind besser markiert und nicht so schmal“, meckerte Jo.
„Eine Bank oder ein Ausflugscafé habe ich auch noch nicht gesehen. Mir tun allmählich die Füße weh und Durst habe ich auch“, murrte Margret.
„Wo bleibt die versprochene Verpflegung?“ So Jo.
„Und eine Unterkunft kann ich auch nicht entdecken“, klagte Margret.
„Es wird nämlich immer dunkler und die Bäume immer dichter. Ich rufe jetzt die Agentur an und beschwere mich.“
Resolut nestelte Margret ihr Smartphone aus dem Survival- Rucksack. Die Cola light und die Snickers hatten sie schon vor Stunden verzehrt.
„Funkloch!“
„Das hat uns noch gefehlt!“

So verbrachten Jo und Margret die erste Nacht ihres Lebens außerhalb eines Bettes und fern eines Kühlschrankes oder einer Raststätte.
Sie litten das erste Mal Hunger und Durst, hatten ziemliche Angst, denn es war so still und dunkel, als ob man sie bei lebendigem Leib begraben hätte.
Jo vermisste die Selbstbedienung seines Fernsehers mitsamt dem langweiligem Abendprogramm und Margret hätte zu gern mit einer Freundin telefoniert. Was nützte das größte Abenteuer, wenn man es nicht mitteilen konnte?
Sie fielen in einen unruhigen Traum, wo Wölfe ihre Zähne fletschten, Bären sie bedrohlich anknurrten und eine Stimme schnurrte:
„Wir werden den Weg schon finden.“
Doch eine andere Stimme fügte hinzu:
„Aber sie fanden ihn nicht. Sie gingen die ganze Nacht und noch einen Tag von Morgen bis Abend, aber sie kamen aus dem Wald nicht heraus, und waren so hungrig, denn sie hatten nichts als ein paar Beeren, die auf der Erde standen.“

Morgens wurden sie nicht von einem nervigen Wecker geweckt, sondern von der Kälte, gegen die der Anorak von Jack Wolfskin auch nichts auszurichten vermochte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit bohrten sich einige Sonnenstrahlen durch das Dickicht, wärmten ihre steif gewordenen Glieder und gaben den Blick frei auf eine Lichtung, wo ein See sanft schimmerte.
Margret zog ihre Jeans, ihr Sweatshirt, ihren BH und ihr Höschen aus und sprang begeistert in das Wasser. Jo tat es ihr gleich.
Noch nie hatte sie ein Bad so erfrischt.
Neben dem See sahen sie einen Tisch, der war gedeckt mit allen Köstlichkeiten, die sie sich hungernd vorgestellt hatten, also mit frischen Brötchen, köstlicher Marmelade, knackigem Schinken, weichgekochten Eiern und duftendem Kaffee.
Noch nie hatte ihnen ein Frühstück so gut geschmeckt.
Ihre gute Laune stieg so schnell wie das Thermometer. Jo fühlte seine Kräfte in jeden Winkel seines Körpers zurückkehren, was Margret gefiel. Er nahm sie nach langen Ehejahren wieder zärtlich in die Arme, strich ihr über die apfelgroßen Brüste, drang lustvoll in ihr Innerstes.
Sie fand, der Zauberwald war ein voller Erfolg, und genoss die Zeit, die so sanft dahinplätscherte wie das Wasser im See.

Eines Tages sah Jo eine weiße Hirschkuh auf der Wiese äsen.
Neugierig folgte er dem Tier und gelangte so immer tiefer in den Wald. Er fürchtete schon, sich verlaufen zu haben und wollte umkehren,
Plötzlich erkannte er die Umrisse eines Hauses mit einem merkwürdigen Dach.
Die Ziegel glichen Monitoren. Als er näher trat, erkannte er weibliche Brüste, die waren praller als Melonen, saftiger als Pfirsiche und süßer als Kirschen.
Während er gebannt auf das seltsame Spektakel schaute, öffnete sich die Tür. Eine Blondine mit langen schwarzen Stiefeln und einem samtigen Wams, der kurz hinter dem Po schon sein Ende fand, lächelte ihn freundlich an.
„Komm nur rein, mein Süßer! Ich bin sicher, wir werden zusammen jede Menge Spaß haben.“

Margret hatte bald gemerkt, dass Jo nicht mehr da war, und suchte ihn im Wald. Auch sie kam zu dem merkwürdigen Haus.
Was verschandelt denn dieser Puff die Landschaft hier, dachte sie und klopfte an die Tür. Eine aufgetakelte Nutte öffnete.
„Hey, du Landpomeranze, zieh Leine! Deine Zeit ist abgelaufen. Dein Jo hat jetzt Besseres zu tun.“ Damit knallte sie der verdutzten Margret die Tür vor der Nase zu.

Da stand Margret nun und überlegte, wie sie Jo retten könne aus den Klauen der bösen Hexe. Sie wich keinen Meter von dem unwirtlichen Haus, auch nicht, als die Sonne hinter den Bäumen verschwand.

So fand sie die Hexe am nächsten Tag.
„Anstatt hier so dumm herumzustehen, mach dich lieber nützlich, du dämliche Stalkerin!“, fauchte sie Margret an. „Putz die Küche! Danach kannst du eine Pizza in den Ofen schieben und ein paar Drinks mixen. Neue Accessoires von Beate Uhse bräuchten wir auch! Nimm dein dämliches Smartphone und bestelle sie!“

Margret tat, was die Hexe ihr aufgetragen hatte. Sie wollte Jo finden und mit ihm fliehen.
Doch ihr Mann lachte nur. „Das hier ist ein schickes Bungalow und die Matratze super bequem. Mit Angelina wirst du dich auch noch anfreunden. Mach dich locker und komm zu uns ins Bett!“

„Hör auf ständig zu flennen, du gefühlsduselige Kuh!“, schalt sie die Hexe und verpasste ihr ein paar kräftige Ohrfeigen, als sich Margret weigerte, beim flotten Dreier mitzumachen.

Am nächsten Morgen nahm Margret den Haustürschlüssel vom Bord, wo die Hexe ihn hatte unvorsichtigerweise hängen lassen, und sperrte die beiden in ihren „Käfig“. Kaum hatte sie abgeschlossen, verwandelte sich der Schlüssel in glühende Kohlen, so dass sie ihn hastig zu Boden warf. Alsbald entstand ein gewaltiges Feuer. Da lief sie weg, so schnell sie ihre Füße tragen konnten.

Am Ufer des Sees angekommen, ließ sie sich nieder, lauschte dem Summen der Bienen, dem Zwitschern der Vögel, schaute in den azurblauen Himmel, wo weiße Wölkchen einander jagten.

Es geht doch nichts über die zauberhaften Worte eines Liebesromans, dachte sie, während sie Rosamunde Pilcher auf ihr Smartphone lud.

Und, wenn sie nicht gestorben ist, dann liest sie noch heute.




2.Fassung

Letzte Aktualisierung: 24.06.2012 - 15.07 Uhr
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