Ganz schön bissig ...
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Verzaubert | Juni 2012
Französischer Zauber
von Johanna Sibera

Ich erinnere mich, dass Cornelius sehr oft vom Départment Gironde in Aquitanien gesprochen hat und dass alle diese Namen einen großen Zauber auf mich ausgeübt haben, damals wie heute. Sie sind ja auch wunderbar: Soulac-sur-Mer in der Region Aquitaine – der Klang zergeht im Ohr und auf der Zunge und macht das Herz weit. Komischerweise ist mir nie die Idee gekommen, einmal dort hinzufahren, was ja nicht so unmöglich gewesen wäre. Aber weder mit Christian, meinem ersten Mann, noch mit Friedrich, von dem auf subtil-quälende Weise meine zweite Ehe für mich zur Prüfung gemacht worden war, hatte sich die Gelegenheit zu dieser Reise ergeben; und eigentlich war das alles in diesen Jahren auch gar nicht so wichtig. Nachdem das paarweise Leben dann ein Ende gefunden hatte, kam für mich das große Aufatmen. Und ich war so beschäftigt mit diesem freien Atmen, mit diesem Aufatmen, mit dieser wunderbaren Luft um mich herum, dass ich zunächst gar keine Zeit und Lust hatte, Pläne zu machen, gar Reisepläne zu fassen und diese auch zu verwirklichen. Kurz gesagt, ich war zufrieden mit meinem Dasein, so, wie ich es mir, allein auf mich gestellt, eingerichtet hatte.

In dieser Zufriedenheit lief mir Cornelius über den Weg, ganz zufällig, an einem Tag im April. Unsere letzte Begegnung war lange her. In der Bank, in der ich vor vielen Jahren gearbeitet hatte, war er so eine Art Vorgesetzter für mich gewesen, also kein Totalchef, um es salopp zu sagen, sondern einer, der in der Abteilung etwas zu reden hatte, nicht gerade das letzte Wort, aber doch allerhand. Unvergesslich wird mir die Geduld sein, mit der er meine Einschulung – wenn man meine ersten drei Monate Arbeitszeit so nennen will – betrieben hat. Ich erkannte auch bald, dass er einer der Gescheitesten, wenn nicht der Allerklügste war, in der Männer- und Frauenriege dieses hierarchischen Banksystems, und damit wurde er in meinen Augen automatisch zum Oberboss und was er sagte, hatte für mich Gewicht, dann kam lange nichts.

Aber meine Bankzeit ist auch Geschichte, so wie meine beiden Ehen, meine zwei Katzen und der Hund, die schon lange tot sind, und mein alter VW-Käfer, der ein hässliches Ende an einer völlig unschuldigen Birke in einer strengen Straßenkurve genommen hat.

Und da war Cornelius. Wir trafen uns in einer Buchhandlung, vor dem großen Tisch, an dem der sogenannte „Bücherfrühling“ herrliche Knospen trieb, wie in allen städtischen Buchgeschäften im Lenz. Ich sah zuerst seine blätternden Finger und erkannte sie nahezu augenblicklich – diese immer leicht gebräunten, schönen Hände mit den auffallend hellen, fast weißen Nägeln; ein Kontrast, der sich mit fortschreitendem Sommer noch zu verstärken pflegte. Diese Hände waren ungefähr das Einprägsamste, was ich mir von Cornelius gemerkt hatte; sein übriges Äußeres war eher durchschnittlich bis recht angenehm zu nennen, groß war er, das ja, und sehr gescheit, ich habe es schon gesagt. Obendrein hatte er sich stets äußerst frankophil gegeben, in der französischen Sprache war er bestens bewandert und Frankreich das Land seiner ewigen Urlaubsträume.

Eigenartiger Weise gab es bei unserem Wiedersehen wenig Herumreden, keine mehr oder weniger inhaltsleeren und sinnlosen Floskeln, wie es so oft bei Menschen ist, die sich lange nicht gesehen haben, sich aber nicht wirklich trauen, von oberflächlichen Themen weg zu kommen. Wir hatten einander kurz betrachtet und jeder bei sich festgestellt, dass der jeweils andere älter geworden war, natürlich, wie sollte es anders sein nach fast fünfzehn Jahren. Damit war das Thema auf stillschweigende Weise erschöpft und nicht mehr erwähnenswert. Der nächste Punkt, den wir bei mehreren Gläsern Rotwein besprachen, war unser derzeitiger Familienstatus; auch diese Frage war bald geklärt – wir waren beide allein stehend, ungebunden, sozusagen frei; fast scheue ich mich, dieses ungeheure Wort einfach so dahin zu sagen. Im Laufe weniger weiterer Sätze stellte sich heraus, dass dieser Zustand bei Cornelius ein noch sehr neuer war; eine fast dreijährige Beziehung zu einer ziemlich viel jüngeren Notariatsanwärterin war vor Kurzem in die Brüche gegangen. Wenn er traurig darüber war, so zeigte er es nicht, ich fragte auch nicht weiter, sondern nahm es einfach zur Kenntnis.

Was dann kam, war aber sehr interessant: Er erzählte mir von seinem für Mai geplanten Urlaub, in dem die geflohene Juristin einen festen Platz gehabt hatte, inklusive Flugreservierung und detaillierter Reisepläne, Ziel: Frankreich, genauer gesagt das Medoc.

Ich will hier nicht von Reisefieber und Kofferpacken erzählen, nicht vom Kauf von angeblich schlanker machenden Badeanzügen samt meerblauen Strandpantoletten, nicht von der Freude, die mir Cornelius mit seinem Vorschlag, den Frankreichurlaub mit ihm zu verbringen, gemacht hatte, und auch nicht mit den zwangsläufig bei mir auftretenden Überlegungen und Zweifeln im Hinblick auf diese gemeinsame Unternehmung. Ich möchte stattdessen vom unwiderstehlichen Geruch der Seekiefernhaine erzählen, die glänzende Gewässer mit ihren wogenden Armen umhüllen, ehe sie zur silbernen Küste des Atlantiks auslaufen. Ich möchte vom Ufer der Gironde erzählen, hinter dem die berühmten Weinberge von Saint Estephe der Erkundigung harren. Wir gehen dort nebeneinander her, vielleicht manchmal Hand in Hand, das wundert keinen und mich eigentlich auch nicht. Soulac-sur-Mer, an der äußeren Nordspitze des segelförmigen Landstrichs des Medoc, ist unser Zielort. Fragile, tanzende Dünen betreiben ihre Bewegungsspiele zwischen Wind und Ozean. Habe ich den Zauber dieser Landschaft schon erwähnt? Ja, und ich will mich nicht wiederholen. Draußen im Meer steht Frankreichs prächtigster Leuchtturm, der Phare des Cordouan. Ein großer französischer Historiker, so erzählt mir Cornelius, studierte in der Mitte des 19. Jahrhunderts dieses „weiße Phantom“ von der Küste aus. Cornelius kann ihn wörtlich zitieren: „Manchmal stand er triumphierend im Strahlenhof der Sonne; dann wieder schwebte er blass und undeutlich im Nebel und verhieß nichts Gutes. Was auch immer vom Meer her kam, man schob es ihm zu…“

Ich spüre jetzt nur den magischen Geruch der Atlantikluft und den Harzduft der Seenkiefernwälder. Cornelius und ich kennen uns seit einer Ewigkeit, vermehrt um die Tage, die wir in dem kleinen Hotel verbringen; wir haben da zwei Zimmer. Selten sind wir dort, wir unternehmen Ausflüge nach Montalivet und Le Porge; vermutlich gehört es zum Zauber der Dünenlandschaft, dass wir einander im Sand umarmen. Ich fühle mich prinzipiell hässlich in meinem schwarzen Badeanzug, aber selten hat die Magie der Cote d`Argent so im Handumdrehen eine neue Schönheit erschaffen. Mag es anderen auch schon so ergangen sein? Es ist warm im goldenen Licht der Küste, doch unversehens zieht eine Wolkenbank auf, Regenschauer jagen über die Landschaft und lassen uns aneinander Schutz suchen. Natürlich trinken wir Rotwein, so manches Glas, gut verteilt über die Tage, Hunger verspüre ich überhaupt nicht.

Eine Woche ist vorbei, von Toulouse aus werden wir die Rückreise antreten. Am letzten Abend gehen wir durch die Stadt, die belebt und genährt wird vom Atem Südfrankreichs; wir wandern zwischen den Häusern, ihre Mauern sind getönt von den rosa Schatten der herein fallenden Nacht. In einem Café kehren wir ein, noch einmal zwei oder drei Gläser Rotwein. Cornelius Hände liegen auf dem Tisch, braune, schöne Hände mit auffallend hellen Nägeln.

Letzte Aktualisierung: 09.06.2012 - 15.20 Uhr
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