Futter für die Bestie
Futter für die Bestie
Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Verzaubert | Juni 2012
Nimmersattland
von Martina Bracke

Als zweiter Torhüter war Fred gar nicht so schlecht. Zwar interessierte ihn das Spiel nicht sonderlich, doch an seinem massigen Körper allein prallte so mancher Ball ab. Meist fand die runde Kugel aber ihren Weg links oder rechts an ihm vorbei. Hin und wieder streckte er sich auch aktiv einem Schuss entgegen. Mit glanzvoller Parade fing Fred dann den fliegenden Hamburger ein, in den sich der harte Lederball in seinen Augen verwandelte, hielt ihn fest mit beiden Händen und erntete einen seltenen Applaus.
Und wieder rückte der Sturm der gegnerischen Mannschaft vor. Fred versuchte, sich zu konzentrieren, seinem Hungergefühl freien Lauf zu lassen. Er sah, wie der linke Außenverteidiger einen doppelten Cheeseburger in die Mitte lenkte, dort kämpften jetzt drei, vier Spieler um den Burger, während Fred das Wasser im Mund zusammenlief. Kurz verlor er ihn aus den Augen, doch dann hatte der Stürmer freie Schussbahn. Der Cheeseburger hob ab, stieg höher und höher. Fred verfolgte die Flugbahn, fixiert auf diesen einen Punkt, roch förmlich zart schmelzenden Käse auf heißem Hackfleich, flog ihm entgegen, bekam mit seinen Händen das Objekt der Begierde zu fassen – und verspürte einen stechenden Schmerz in seinem Kopf, bevor ihn das Bewusstsein verließ.
Tausend Sterne flimmerten und flackerten durch das Universum. Als greller Blitz zuckte eine Sternschnuppe auf ihrer letzten Bahn. Fred wünschte sich Menü 3 mit einem XXL-Becher Popcorn und Cola.
Durst.
Die Sterne verloren ihren unruhigen Glanz, stattdessen drang gleichmäßige Helligkeit durch Freds geschlossene Lider. Vorsichtig öffnete er sie einen Spalt, ein Waldmeistereisgrün wogte ihm entgegen. Ermutigt tastete er nach dem Gras, dessen Halme sich merkwürdig dick anfühlten. Weißliches Puder umschloss jeden einzelnen. Mit einiger Mühe riss er einen heraus, nahm sich Zeit, ihn zu betrachten und biss hinein. Ein süßlicher Geschmack belebte seine Zungenspitze, wanderte weiter, wandelte sich und prickelte angenehm sauer im Rachenraum. Mit Genuss kaute Fred den Waldmeister-Grashalm und rupfte bereits einen zweiten aus der Wiese.
Allmählich gewahrte er, dass sein Schmatzen das einzige Geräusch blieb, und setzte sich mühsam, nicht ohne leichte Kopfschmerzen, auf. Sein Blick wanderte umher, die Wiese dehnte sich weit aus. Fasziniert bemerkte er Farbtupfer, streckte nach einer weiß-rosafarbenen Blume seine Hand aus. Marshmallow, durchzuckte ihn ein Gedanke und schon biss er in die weiche Masse. Begeistert streckte er sich nach der nächsten Blüte und kam so ein paar Meter vorwärts.
Endlich hatte er genug und erhob sich. In der Ferne leuchteten einige Bäume. Über die gummiweiche Wiese strebte er darauf zu, nicht ohne hin und wieder Marshmallows zu naschen.
Als er sich das nächste Mal bückte, zuckte seine Hand zurück. Die Halme bewegten sich. Etwas bewegte sich zwischen den Halmen. Fred blieb wie versteinert stehen. „Ich bin unsichtbar!“, dachte er.
Doch dann konnte er nicht widerstehen, äugte nach unten auf den Boden. Etwas Kleines, Schwarzes schob sich langsam vorwärts. Fred neigte sich vor, um besser sehen zu können, und lachte laut auf. Eine Lakritzschnecke robbte sich durch die Wiese. Fred, ganz mutig, packte ihr gerolltes Haus und hielt sie in die Höhe. Ein wenig zappelte sie, dann stellte auch sie sich lieber tot.
„Ob man dich wohl essen kann?“, meinte Fred gutmütig. Es stand außer Zweifel, dass er natürlich keine lebende Schnecke verzehren würde, auch wenn sie aus Lakritz sein mochte, was vielleicht keineswegs so sicher war.
Behutsam setzte er die Schnecke wieder ab, die noch eine ganze Weile reglos blieb, bevor auch sie sich weiter vorwärts tastete.
Fred steuerte derweil wieder auf die Bäume in der Ferne zu, weit ausschreitend, doch sie schienen nicht näher zu kommen. Stattdessen gab der Boden unter Fred immer mehr nach, weniger Halme und Marshmallow-Blumen streckten sich ihm entgegen. Braun kam weicher Untergrund zum Vorschein. Fred überlegte noch, ob er auch den Boden einmal kosten sollte, als ihn Geräusche zusammenzucken ließen. Erst ein lautes „Quak“, dann ein ganzes „Quakquakgetöse“. Fred hielt sich die Ohren zu, stand wieder stocksteif. Nur seine Augen wanderten weiter auf der Suche nach der Quelle des misstönigen Konzertes.
In einiger Entfernung schien so etwas wie ein Teich zu sein. Jedenfalls eine große braune Fläche. Und wenn er genau hinsah, bewegten sich dort auch viele kleine Punkte. Langsam schlich er vorwärts. Dann konnte er die Punkte identifizieren. Rotweiße, gelbweiße und grünweiße Gummifrösche, fast dem Braun des Teiches gleichende Schokofrösche. So kannte er sie jedenfalls vom Kiosk, der ihn an jedem Schultag magisch anzog. Selige Zeiten, als er noch Schokofrösche essen konnte, weil sie sich eben nicht bewegten.
Dafür traute er sich aber, den Teich zu probieren, obwohl die große braune Masse nicht so einladend wie eine Tafel Schokolade aussah. Doch tatsächlich. Der Teich schmeckte nach Vollmilchschokolade. Fred schleckte sich alle Finger ab, tauchte sie immer wieder hinein und lutschte genüsslich. Einmal hüpfte sogar ein Frosch auf seine Hand, doch die zog er ganz schnell wieder fort und der Frosch versank für einen Moment im Teich, tauchte aber gleich wieder auf und Fred seufzte erleichtert.
Doch allmählich bekam er wieder Durst. Das Wasser lief ihm nicht mehr im Mund zusammen, die Sonne brannte und die Bäume standen irgendwo am Horizont. Fred raffte sich auf und ging weiter. Allmählich drang in sein Bewusstsein, dass Gras normalerweise kaum genießbar war, ein Teich nicht aus Schokolade sein sollte. Irgend etwas stimmte nicht mit der Welt.
Sein Durst verstärkte sich nur. Ab und zu griff er zwar müde nach Marshmallow-Blumen, die hinter dem Teich wieder vermehrt wuchsen, doch so richtig schmeckten sie ihm nicht. Außerdem bekam er davon immer mehr Durst. Dafür näherte er sich aber doch den Bäumen.
Als er schon recht nah schien, versperrte ihm ein langer, fast schwarzer Fluss den Weg. Es sprudelte stark in dem Fluss, dunkle Stromschnellen mit hellbraunen Schaumkronen wirbelten vor ihm durch die Landschaft. Der Gedanke an Cola durchzuckte ihn. Er ließ sich nieder und schöpfte mit beiden Händen aus dem Fluss. Für lange Zeit gab er sich dem Colagenuss hin, schlürfte immer wieder.
Cola und Cheeseburger.
Cheeseburger. Irgendwie erinnerte Fred das an etwas. Er wusste aber nicht, was es war. So blieb er sitzen, blickte auf die Bäume, die ihm als Ziel gedient hatte und nun so unerreichbar weit entfernt schienen.
Lange Zeit verging. Fred saß einfach nur da.
Durst.
Müde bin ich, dachte er. Er legte sich auf die Waldmeisterhalme und schloss die Augen. Weiße Mäuse huschten durch seine Gedanken. Eine, zwei, unendlich viele weiße Mäuse. Ob ich euch esse? Nein, ihr seid niedlich.
Durst. Dann schlief Fred endgültig ein.
„Wasser!“, röchelte Fred, öffnete die Augen und sah in die Augen seiner Fußballfreunde.
„Gott sei Dank, er lebt!“, rief der Trainer, der irgendwie Wasser aus seinen Augen verlor.

© mb2013, 1. Version

Letzte Aktualisierung: 22.06.2012 - 20.11 Uhr
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