Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Verzaubert | Juni 2012
Schnurgelhupf
von Elmar Aweiawa

Hans Ingolf Martin Glück war mit einem sonnigen Gemüt gesegnet, hatte viele Freunde und keine Feinde. Sein Leben verlief ruhig und ohne besondere Höhepunkte. Er war mit sich und der Welt zufrieden, lebte im Einklang mit der Natur und hielt sich nicht für etwas Besonderes.

Umso erstaunter war er, dass ausgerechnet ihm eines Tages ein Flaschengeist erschien.

Als ordentlicher Mensch wollte er die alte Flasche, die er im Wald auf einem Spaziergang gefunden hatte, nicht da liegen lassen. Also hob er sie auf und steckte sie in seinen Rucksack, um sie zu Hause zu entsorgen.
Gerade, als er sie in den Behälter für Glasabfall werfen wollte, sah er auf dem vergilbten Etikett einige seltsame Kringel, die sich bei näherer Betrachtung als arabische Schriftzeichen entpuppten.
„Seltsam“, sprach er zu sich, „wie kommt eine solch exotische Flasche in den Oberen Wald? Was da wohl drin war?“
Seine Neugierde ließ ihn den Korkstöpsel herausdrehen, und damit begann für Hans ein seltsames Abenteuer.

„Ich kann dir deine Frage beantworten!“, dröhnte eine Stimme durchs Zimmer, die ihn fast taub werden ließ. Zu Tode erschrocken entfuhr ihm ein Fluch.
„Verdammt!“
Niemand außer ihm befand sich im Raum, er war mutterseelenallein. Sein ängstlich im Schädel zusammengekauertes Gehirn weigerte sich, ordnungsgemäß zu funktionieren, und so reichte es nicht zu intelligenteren Äußerungen.

„ICH war in der Flasche! ICH, Schnurgelhupf, der größte, beste, beliebteste, schönste, intelligenteste ...“
„Hör auf zu brüllen!“, versuchte Hans, die Stimme zu übertönen, indem er trotz seiner Angst so laut gegen sie anschrie, wie er konnte. Er hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu, denn dieser Lärm war unerträglich. Tatsächlich schaffte er es, die Stimme zum Schweigen zu bringen.
„Wenn du mir was sagen willst“, fuhr er leiser fort, „dann versuch zu flüstern. Mir dröhnt der Kopf und die Ohren fallen mir ab.“
„Ich bin Schnurgelhupf“, ertönte es bedeutend leiser, „der größte, beste, beliebteste, schönste ...“
„Das weiß ich schon, komm endlich zu Potte!“, unterbrach ihn Hans, ganz entgegen seiner ansonsten höflichen Art. Einer Stimme ohne körperliche Präsenz gegenüber war sein Geduldsfaden jedoch um etliches kürzer als gewöhnlich.

„Ich wurde in einen Flaschengeist verzaubert.“
Schnurgelhupfs Stimme klang weinerlich, und plötzlich berührte es Hans, diesem körperlosen Schniefen zuzuhören.
„Was ist denn los mit dir? Kann ich dir irgendwie helfen?“ Ja, da war er wieder, der alte Hans. Immer hilfsbereit und ganz Gentleman.

„Die Hexe Mumpelfrunz hat mir meinen wunderschönen, eleganten, einzigartigen ...“
„Räusper!“
„... Körper weggezaubert und mich in diese Flasche eingesperrt“, beendete der Geist seinen Satz ziemlich abrupt.
„Tragisch!“, bekundete Hans sein Mitleid. „Gibt es eine Möglichkeit, dir zu helfen?“
„Ja! Wenn du das wirklich tust, werde ich dir zum Dank ... lass mal überlegen ... mein Lieblingslied vorsingen. Es fängt so an: Wenn meine heißen Lippen ...“
„Um Gottes willen! Sei still!“
Erst als Ruhe eingekehrt war, nahm Hans die Hände wieder von den strapazierten Ohren. Wie man vier Worte mit so vielen falschen Tönen singen konnte, überstieg sein an klassischer Musik geschultes Gehör. Er spürte den Schmerz bis in die Zehennägel, die er bisher für unmusikalisch gehalten hatte.

„Ich helfe dir, auch ohne Dank. Was muss ich tun?“
„Du musst dir drei Dinge wünschen. Wenn ich sie erfüllen kann, bin ich frei und bekomme meinen Körper zurück.“
„Hmm, das ist schwierig.“
„Wieso das denn?“
„Ich habe keine Wünsche. Mit geht es rundum gut. Was sollte ich mir also wünschen?“
„Nein!“, schrie Schnurgelhupf auf, „da stecke ich zweihundert Jahre in dieser engen Flasche, und wer findet mich? Ausgerechnet der einzige Mensch auf dieser vermaledeiten Welt, der keine Wünsche hat.“
Die letzten Worte stieß er so untröstlich hervor, dass sie Hans zu Herzen gingen.

„Weißt du, ich hab eine Idee. Ich könnte ja ...“
„Was?“, drängte ihn der Geist, als Hans verstummte.
„Ich wünsche mir einen Zentner Gold, hier direkt vor meinen Füßen.“
„Oh, ja, prima. Das ist eine meiner leichtesten Übungen. Siehst du, man muss nur überlegen, dann kommen die Wünsche.“
„Ich sehe aber kein Gold? Hast du etwa geflunkert?“
„Nein, natürlich nicht. Simsalabim, ruckel, ruckel, raschel, raschel, drei Mal schwarzer Kater.“
Wie aus dem Nichts erschien vor Hans ein Brocken Gold. Erst war er noch durchsichtig, doch seine Konturen wurden immer schärfer, bis der Klumpen fertig zu sein schien. Hans betastete ihn vorsichtig, überzeugte sich, dass es pures Gold war, das da vor ihm lag.

„Wow, Schnurgel, das war beeindruckend. Du hast es wirklich drauf.“
„Gell?! Ich bin nämlich der beste, größte, bekannteste, unvergleichlichste ...“ Hans verdrehte die Augen und brachte die Stimme so zum Verstummen.
„Dann zeig mir jetzt beim zweiten Wunsch, wie gut du wirklich bist. Lass das Gold wieder verschwinden!“
„Was?!“
„Hab ich genuschelt?“
„Verschwinden?!“
„Genau, damit hast du dann schon zwei Wünsche erfüllt.“
„Schon gut, ich tu’s. Du bist eindeutig der komischste Kauz, der mir in den letzten tausend Jahren begegnet ist.“
Ein Fingerschnippen ertönte und das Gold war verschwunden.
„Hey, was ist mit dem Zauberspruch?“, erstaunte sich Hans.
„Ach, das ist nur unnützes Beiwerk, eigentlich reicht es, wenn ich mir den Wunsch vorstelle. Aber du musst zugeben, dass es anders eindrucksvoller ist.“
„Ja, unbedingt“, stimmte ihm Hans zu.

„So, und was darf ich jetzt als dritten Wunsch vermerken? Noch mal einen Klumpen Gold?“
„Verflixt, das hab ich gar nicht bedacht. Ich hab ja nur noch einen Wunsch und kann ihn nicht mehr rückgängig machen. So ein Mist!“
„Du bist nicht nur seltsam, sondern auch noch ein Dummkopf, scheint mir“, amüsierte sich die körperlose Stimme.
„Wenn du mir so kommst, mein Lieber, dann überlasse ich dir den dritten Wunsch. Denk dir etwas für mich aus, mir ist es egal!“
„Unglaublich! Auf diese Idee ist noch niemand vor dir gekommen. Du bist also doch nicht so blöd, wie ich vermutet habe. Lass mich einen Augenblick nachdenken.“

Während der nächsten Minuten vernahm man ein lautes Gemurmel, denn der Geist schien nicht in der Lage zu sein, leise zu überlegen. Als Hans bereits ungeduldig wurde, verstummte endlich das Genuschel.
„Ich habe mir etwas für dich ausgedacht.“
„Und, was ist es?“, wollte Hans wissen.
„Das werde ich dir nicht sagen. Hier ist ein Brief, darin habe ich es aufgeschrieben.“
Vor Hans‘ Augen materialisierte sich ein Couvert, das in der Luft hing, bis er danach griff.
„Ich habe deinen Herzenswunsch niedergeschrieben, doch ich empfehle dir, ihn nie zu lesen. Du musst noch bestätigen, dass du mit diesem Wunsch einverstanden bist.“
„Mein lieber Schnurgel, ich hoffe sehr, du hast mich nicht reingelegt. Aber ja, ich bin einverstanden mit deinem Wunsch für mich.“

„Super! Ich bin endlich F R E I!“

Plötzlich hockte vor Hans auf dem Boden eine Kreatur, wie sie hässlicher kaum sein konnte. Eine Kröte mit dickem, rotem Bauch, Kugelaugen und einer schleimigen Haut.
„Was glotzt du denn so?“, fuhr die Kröte ihn an. „Ich verschwinde jetzt und hoffe, dass ich dich nie mehr wiedersehe. Tz, mich wünschen lassen, wo gibt’s denn sow…“
Die Stimme wurde leiser und wie die Katze bei Alice im Wunderland wurde die Kröte zusehends transparenter, und zuletzt verschwand das breite Grinsen.

***

Die Versuchung, den Brief zu öffnen, begleitete Hans sein Leben lang. Fast täglich nahm er ihn hervor, versank in seinen Anblick, wendete ihn hin und her, bis er ihn mit einem Seufzer wieder verstaute.

Ein paar Monate nach der schicksalhaften Begegnung lernte er die attraktive Bibliothekarin Hilde kennen und kurze Zeit später heirateten sie. Alle seine Freunde beneideten ihn um die harmonische Ehe, die er führte. Ein Sohn und eine Tochter komplettierten die Familie. Helena entwickelte sich zu einer begnadeten Geigerin und aus Helmut wurde ein erfolgreicher Bildhauer.

Hans selbst gründete ein Unternehmen in der Umweltbranche und machte Karriere als kompetenter Ansprechpartner für Politiker und Umweltschutzverbände. Sein Leben verlief in jeder Hinsicht so erfolgreich, dass er keinen Augenblick daran zweifelte, dass Schnurgelhupfs geheimer Wunsch maßgeblichen Anteil daran hatte.
Jahr für Jahr beging er den Tag der Begegnung mit einem großen Fest, bei dem er alle Freunde einlud und reich bewirtete. Doch nicht einmal seiner Frau verriet er den Anlass zu dieser Festivität.

Mit weit über 90 Jahren wurde er zum ersten Mal in seinem Leben ernsthaft krank.
„Meine liebe Hilde“, wandte er sich an seine Frau, die am Bett wachte, „ich weiß, dass es mit mir zu Ende geht. Sei nicht traurig. Ich hatte ein schönes Leben und gehe nicht mit Widerwillen. Meine Enkelkinder werden die Fackel weitertragen.“
„Du wirst nicht sterben, das ist Unsinn“, versuchte sie ihn zu trösten.
„Doch, ich weiß es. Ich habe noch eine letzte Bitte an dich. Wenn ich zu atmen aufhöre, nimm den großen Briefumschlag aus meinem Schreibtisch und verbrenne ihn, ohne ihn zu öffnen.“
So sehr seine Frau auch in ihn drang, er verriet ihr nicht, welche Bewandtnis es damit hatte.

Drei Tage später hörte sein Herz zu schlagen auf und Hilde dachte in den folgenden Monaten nicht mehr an seinen letzten Wunsch. Erst als sie daran ging, den Nachlass in seinem Zimmer zu sichten, stieß sie auf den Brief.
„Was um Himmels willen mag da drin sein?“, rätselte sie. Doch sie erinnerte sich noch gut, dass sie ihn nicht öffnen sollte. Sie hielt bereits ein brennendes Streichholz in der Hand, als die Neugierde überwog. Mit zittrigen Händen öffnete sie das Couvert und las mit wachsendem Unverständnis.
„Ich wünsche mir, dass der liebenswerte, hervorragende, großmütige und uneigennützige Schnurgelhupf, mein bester Freund und Wohltäter, endlich seine wahre Gestalt zurückerhält.“

***

So hatte Schnugelhupf in seiner unnachahmlichen Art Hans‘ größten Wunsch, nämlich keine Wünsche zu haben, erfüllt. Denn dieser Wunsch war genau so gut wie keiner. Aber das konnte Hilde natürlich nicht wissen.


© by aweiawa, 2012

Version 3

Letzte Aktualisierung: 22.06.2012 - 09.12 Uhr
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