Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Verzaubert | Juni 2012
Bezaubernd
von Hartmuth Malorny

Der Schleier lag dicht und klebrig über meinen Augen. Wenn ich etwas sah, dann nur den rosafarbenen Brei, der meine Welt bis in den letzten Bildpunkt benebelte. Dauernd fuhr mir ein Stachel in die Haut und schockierte meine Seele. Jede Nacht endete so wie der Tag begonnen hatte, nämlich in einem Molotow-Cocktail explodierender Gefühle. Die wenigen Handlungen außerhalb dieser Atmosphäre geschahen eher beiläufig, ich funktionierte nur aus Gründen der Beweglichkeit. Fremde Moleküle beherrschten mich, sowie völlig unbekannte Verhaltensatome. Um das mal verständlich auf den Punkt zu bringen: Ich hatte mich verliebt.
Wer seine Sinne unter Kontrolle halten will, sollte sich nicht verlieben. Die Natur hat das auch nicht vorgesehen, sie beschränkt sich auf Fortpflanzung zur Arterhaltung, und der Geschlechtsakt ist kein Spaß und oft ein mühsames Unterfangen, manchmal endet er tödlich.
Weiß der Teufel, warum der Mensch trotz dieser Erkenntnis in das ewige Muster verfällt, sein Denken und Tun all jenen anzugleichen, die sich schon vorher der Lächerlichkeit preisgegeben hatten.

Natürlich lag mein Fall ganz anders, schließlich hatte ich mich nicht in irgendjemanden oder irgendetwas verliebt, sondern in Isi. Nein, ich bin kein Depp aus der Provinz, kein notgeiler Filou aus dem Randbezirk einer Metropole, und erst Recht kein analytischer Kleingeist. Nein, ich bin viel schlimmer.
Bevor ich Isi das erste Mal begegnete, waren meine Augen klar und die Sinne mittelscharf. Danach ging es rapide bergab.
Hotel America - Mallorca, Fluchtpunkt und Begegnungsstätte. Es war Hochsaison. Wir hatten uns hier verabredet, jeder mit einer Beschreibung, dem Photo und der Handynummer des anderen, sowie dem Funken Hoffnung, dass man sich nicht gleich am ersten Tag auf den Geist gehen würde. Letzten Abend hatte mich ein entnervter Busfahrer vor dem Hotel abgeladen, ich trug meine Zwei-Euro-Ray-Ban-Sonnenbrille, war leicht betrunken, ging sofort aufs Zimmer, trank dort weiter und schrieb Isi eine SMS: „Bin angekommen.”
Aber Isi empfing nicht mehr nach 23 Uhr. Funkloch?
Vor dem Speisensaal begrüßte mich livriertes Personal. Ich trat ein und drehte mich mehrmals um die eigene Achse, wegen dem Blickwinkel und der Möglichkeit, die ich besaß, falls mir etwas nicht gefiel, wie James Dean aus einem Bild zu verschwinden, um anderenorts aufzutauchen. Isi stand am Wasserspender, ein leeres Glas in der Hand, scheinbar uninteressiert am Drumherum, ein bisschen verloren und sichtlich unentschlossen. Und weil ich sie sofort erkannte und auch mit schönen Bildern wenig anzufangen weiß, ging ich wieder raus. Aber sie wusste, dass ich hier war, es war unmöglich mich sechs Tage lang vor ihr zu verstecken. Ich flüchtete durch den Personaleingang zur Küche, kriegte einen kurzen Überblick wie das Buffet zubereitet wurde, kam mir lächerlich vor und folgte einem Bediensteten, der eine neue Fuhre in den Speisensaal schob. Nun hatte Isi ein Glas Wein in der Hand und hielt nach etwas Ausschau - womöglich nach mir oder ihrem Platz.
„Hey”, sagte ich, und tippte ihr leicht auf die Schulter.
Vor Schreck ließ sie ihr Glas fallen: „Wo kommst du denn her? Aus der Küche? Ich hab dich gar nicht gesehen.”
Anschließend rempelten wir jeden an, der uns keine Zwei-Meter-Spur Platz ließ. Anschließend tranken und aßen wir, redeten wenig und lachten mehr, wir schwiegen in den richtigen Momenten, also meistens, und warteten auf die Nacht, und in der Nacht ließen wir Glückshormone frei. Danach wurde mein Gang gravitätischer und mein Lächeln debiler, ich sagte Sätze, von denen ich nicht ahnte was sie bedeuteten, und Isis Verhalten stimmte auch nicht mit der Normalität überein.

Damals wusste ich nicht, das Isi seit ihrer Kindheit Nitroglyzerin getrunken hatte und vor Gebrauch gut geschüttelt werden musste. Und sie wusste nicht, dass ich zum Frühstück pures Strychnin nahm. Heute nähern wir uns im Affekt, jedes Mal aufs Neue, wie zwei Diktatoren die zuerst darüber diskutieren ob sie Krieg wollen, und natürlich wollen wir ihn - um kurz danach Frieden zu schließen. Dann folgen magische Momente, entrückt und verzaubert mit einem Sendungsbewusstsein auf höchstem Empfang.

Ein Schleier liegt über meinen Augen. Nicht nur Methylalkohol kann blind machen, auch die Liebe. Allerdings habe ich andere Substanzen intus, keinen vergällten Alkohol, sondern reines Heroin, und das gleich aus zwei Gründen: Erstens, um die euphorisierende Wirkung zu verstärken, die ich mit Isi erlebe, zweitens deswegen, weil Isi meine Venen für ganz passabel hält. Sie selbst ist viel zu fickrig, ich muss ihr längst den Arm abbinden und betätscheln, damit sie sieht, welches Blutgefäß in der Lage ist das Zeug aufzunehmen. Nüchtern verhalten wir uns erbärmlich, quasi sinnfrei und gegen jede Regel eines gut funktionierenden menschlichen Kontakts. Also grenzüberschreitend. Borderline. Krieg entsteht auch dann, wenn unser Dealer drei Tage Urlaub macht.

Seit der Begegnung im Speisensaal des Hotels America ist eine Menge passiert, zwei Jahre sind vergangen - alle beide gleich lang, aber verschieden breit. Danach waren wir nie länger als fünf Tage zusammen, weil wir es nicht länger als drei Tage aushielten. Einen Tag später wollten wir wieder zusammensein.
„Hey”, sagt Isi, „muss ich dir alles immer erklären?”
„Ne, du wiederholst dich dauernd.”
„Und warum ist es dann so schwer mit dir?”
„Mit mir? Wer tickt denn hier nicht richtig?”
Das hätte ich nicht sagen sollen. Die Rollos in ihrem Apartment sind runtergelassen, ich will nicht, dass sie sieht wie verletzlich ich bin, sie hält mich für eine Teermaschine mit Blaulicht - langsam, aber höchst entschlossen. Und das bin ich auch. Es ist nun mal so, dass wir uns zuerst verlieren müssen, um dann neue Grenzgebiete abzustecken, die wir uns erobern.
Jetzt herrscht Waffenruhe, für ein paar Stunden, und falls das wie ein Gewinnerthema aussieht, muss ich mich vor dem Sieg fürchten.

Letzte Aktualisierung: 26.06.2012 - 21.41 Uhr
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