Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Verzaubert | Juni 2012
Marionette und Mondstein
von Christina Mayrhofer

Lysander war sich sicher: heute würde Mama endlich mit ihnen zurück nach Hause kommen. Schließlich war sie schon so lange im Krankenhaus. Sie musste doch endlich mal gesund sein!
Doch als sein Papa und er das leise Krankenzimmer betraten, in dem immer so komisch roch, saß seine Mama noch im Bett. Immerhin war ihr Haar, das ihr wegen der Therapie ausgefallen war, wieder etwas gewachsen, aber ihr Gesicht war weiß. Sofort lief Lysander zu ihr, um ihr einen Kuss aufzudrücken. Sie lachte und begrüßte ihn und seinen Papa erfreut.
Papa nickte bloß. Er hatte schon seit sie von zu Hause weggefahren waren nichts mehr gesprochen. Lysander fand sowieso, dass er in letzter Zeit sehr still war und das Funkeln das sonst in seinen Augen lag war ebenfalls verschwunden.
„Ist dein Krake endlich weg?“, fragte Lysander hoffnungsvoll, als er von Mama abließ.
„Es heißt Krebs. Nein, mein Welpe, leider nicht“, antwortete sie.
„Aber du kannst doch endlich nach Hause kommen, oder?“
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und sie sah Papa an. Es war das gleiche Lächeln, das sie jedes Mal aufsetzte, wenn sie Lysander enttäuschen musste.
„Ich habe ein Geschenk für dich, mein Welpe“, sagte sie rasch. Lysander war nicht dumm und wusste, dass sie ihn bloß ablenken wollte. Trotzdem fragte er: „Was denn?“
Seine Mama nahm eine Puppe, die auf dem Nachttisch neben ihr saß. Sie hatte blonde Locken, wie einst seine Mama gehabt hatte, und blaue freundliche Augen. Seltsame Fäden liefen von ihrem Kopf, ihren Händen und Füßen zu einem Kreuz zusammen.
„Ich bin ein Junge, Mama. Ich spiele nicht mit Puppen“, sagte Lysander etwas enttäuscht.
„Das ist keine einfache Puppe, das ist eine Marionette. Damit kann auch ein Junge spielen“, meldete sich plötzlich Papa zu Wort. Er kam her und nahm die Marionette, um ihm zu zeigen, was man damit anstellen konnte. An den Fäden ziehend bewegte er ihren Kopf und ließ sie einen Tanz aufführen. Lysander lachte und klatschte begeistert in die Hände.
„Ich will auch!“, rief er und nahm die Marionette entgegen. Doch als er es versuchte, sah das Ganze gleich nicht mehr so toll aus und seine Eltern lachten.
Lysander ließ beleidigt den Kopf hängen.
„Lass den Kopf nicht hängen, Welpe. Mit ein wenig Übung kannst du es auch bald so gut. Außerdem ist das eine ganz besondere Marionette. Falls du einmal traurig bist, weil ich nicht da bin, wird sie dich aufheitern.“
„Und wann kommst du wieder nach Hause?“, fragte Lysander.
„Ich weiß es nicht, aber ich bin immer bei dir, auch wenn du mich nicht sehen kannst.“
„Du kommst doch wieder nach Hause, oder?“
Wieder dieses zaghafte Lächeln. „Sei nicht traurig, mein Welpe.“

Lysander schreckte auf. Wieder einmal hatte er von dem letzten Mal, als er seine Mama gesehen hatte geträumt. Sein Papa meinte, es wäre nun fast ein halbes Jahr her, dass sie fort gegangen war. Lysander wusste nicht was ein halbes Jahr war, doch ihm kam es wie eine Ewigkeit vor, dass er sie das letzte Mal gesehen hatte.
Benebelt von seinem Traum knipste er seine Nachttischlampe an und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Es musste spät sein und das Mondlicht schien durchs Fenster. Lysander entdeckte die Marionette, die auf einem Regal saß. Tränen stiegen ihm in die Augen.
Mittlerweile konnte er gut damit umgehen und er hätte es zu gern Mama gezeigt um sie stolz zu machen.
„Warum bist du fort gegangen, Mama?“, fragte er an die Marionette gewandt. Er sprach oft mit ihr, als könnte er durch sie zu Mama vordringen. Schließlich hatte sie doch gesagt, die Marionette würde ihn aufheitern.
„Ich vermisse dich. Bitte komm zurück zu mir!“, schluchzte er und vergrub sein Gesicht in seinen Armen. „Wieso hast du mich verlassen?“
„Ich bin doch bei dir, Welpe.“
Lysander erschrak und hörte prompt auf zu Schluchzen. Sein Blick glitt durchs Zimmer. Nichts. Er schluchzte weiter.
„Sein nicht traurig, mein Welpe!“
Lysander riss den Kopf hoch und da stand die Marionette plötzlich vor seinem Bett. Ihr Lächeln war warm und erinnerte Lysander an Mama.
„Bist du meine Mama?“, fragte er ungläubig und sie nickte.
Freudig hob er sie zu sich hoch. „Wie bist du da rein gekommen?“
„Mein Geist konnte durch deine Liebe in hierher gelangen und in der Marionette Zuflucht finden.“
„Das ist ja toll!“
„Ja, ich weiß. Und ich bin gekommen um dir heute Nacht etwas zu zeigen. Geh zum Fenster und öffne es“, sagte Mama.
Lysander tat wie geheißen und dann plötzlich schwebten sie hinaus und er machte einen freudigen Seufzer als die Sommerluft ihn einhüllte. Er fühlte sich frei und jubelte, während sie immer höher stiegen. Unter ihnen funkelten die Lichter der Stadt, über ihnen die Sterne.
So flogen sie weiter und verließen die Stadt um auf einem Feld zu landen.
„Da!“, sagte seine Mama und er schaute sich um.
Plötzlich stiegen aus dem Gras rote Fünkchen hoch und es wurde immer mehr. Von einem Moment auf den anderen war die Luft erfüllt von glühenden Lichtern und es wirkte als stünde das Feld in Flammen.
Lysander stieß einen Laut des Staunens hervor.
„Das sind Glühwürmchen. Folgen wir ihnen!“, sagte Mama.
Die Glühwürmchen bildeten einen Kreis um sie, als sie mit ihnen gingen, kamen ganz nah und flogen dann wieder weg.
Nach einiger Zeit kamen sie zu einem großen, spiegelglatten Teich dessen Wasser silberblau schimmerte. Die Glühwürmchen tauchten ein und verwandelten sich in silberne Fische die schon bald in den Teich verschwanden.
„Spring hinein, mein Welpe“, sagte seine Mama sanft.
„Aber ich kann noch immer nicht schwimmen.“
„Das macht nichts, vertrau mir.“
So sprang Lysander hinein und das warme Wasser umfing ihn. Wundersamerweise konnte er unter Wasser atmen und sogar schwimmen. Er tauchte den silbernen Fischen nach, die auf ein grünliches Leuchte am Grund des Teichs zuschwammen. Von draußen hatte man es gar nicht sehen können. Als Lysander den Grund erreichte, erkannte er dass das Leuchten von einem Fels ausging, der Blasen entstehen ließ. Diese trieben hoch und wurden immer größer und größer. Eine davon schloss sich um Lysander und seine Mama und trug sie wieder hoch.
Sie tauchten aus dem Teich und die Blase schwebte den Sternen entgegen. Im Mondlicht schillerte sie in Regenbogenfarben und Lysander musste an Seifenblasen denken.
„Wo fliegen wir hin?“, fragte er.
„Zum Mond. Da ich nicht so weit fliegen kann, nehmen wir diesen Weg“, sagte Mama.
So flogen sie zu dem Halbmond und die Blase zerplatzte an der oberen Spitze, sodass sie auf den Boden plumpsten. An der unteren Spitze saß ein Mann und angelte.
„Wer ist das?“
„Das ist der Mann im Mond. Er fischt nach Alpträumen um Kinder davor zu schützen“, antwortete Mama.
„Aber ich habe auch oft Alpträume“, sagte Lysander betrübt.
„Das liegt daran, dass deine Trauer zu groß ist. Aber du musst wissen, dass ich immer da bin. Ich sehe dich, bei allem was du tust und behüte dich und deinen Papa.“
„Wenn du immer da bist wie kommt es, dass ich dich nicht sehen oder hören kann?“
„Weil ich einer anderen Welt lebe, als du und dich deshalb anders erreiche. Wenn du ehrlich zu dir selbst bist, weißt du aber, dass du mich immer gespürt hast. Da drin.“ Die Marionette legte ihre Hand auf seine Brust.
„Musst du denn wieder dahin zurück wo du herkamst? Bleibst du nicht bei mir?“, fragte Lysander.
Seine Mama lächelte ihr zaghaftes Lächeln und er fühlte sich, als hätte sie ihn soeben geschlagen.
„Aber woher weiß ich dann, dass ich nicht alles geträumt habe?“
Die Marionette stand auf und ging zum Mann im Mond, um mit ihm zu reden. Daraufhin gab er ihr etwas und sie kam zurück.
„Was ist das?“, fragte Lysander, als sie es ihm einen runden, milchigen Stein überreichte.
„Mondstein. Ich schenke ihn dir. Jetzt müssen wir wieder zurück. Es wird bald hell.“
Sie reichte ihm die Hand und schon schwebten sie der Erde entgegen. Der Mann im Mond winkte ihnen und schon bald wurden die Häuser seiner Heimatstadt größer.
Im Zimmer angekommen nahm die Marionette ihren Platz auf dem Regal ein und Lysander drückte sie ein letztes Mal.
„Ich hab dich lieb. Denk dran: ich bin immer da, wenn du mich brauchst, mein Welpe!“
„Ich hab dich auch lieb, Mama.“
Die Puppe wurde starr und dann umfing ein warmer Lufthauch seinen Körper, als würde jemand Unsichtbares ihn umarmen.

„Mama war heute Nacht hier. Ihr Geist war in der Marionette und wir waren gemeinsam am Mond“, sprudelte es aus Lysander heraus, kaum kam sein Papa am Morgen zur Tür herein.
„Das hast du bloß geträumt“, sagte Papa mit traurigem Lächeln.
„Doch! Sie hat mir sogar einen Stein vom Mond geschenkt! Ich zeig ihn dir!“, sagte Lysander. Der Stein war jedoch nicht an der Stelle, wo er ihn hingelegt hatte.
Mehr als enttäuscht sank er in sich zusammen. Sein Papa hatte Recht. Er hatte nur geträumt…
Mit den Tränen kämpfend zog er sich an und ging mit Papa hinaus zum Auto, da er in den Kindergarten musste. Sein Papa legte tröstend die Hand auf seinen Kopf.
Als Papa den Wagen aufschloss und Lysander hinten einstieg, machte er eine Entdeckung.
„Papa! Was liegt denn da vorne?“
Papa folgte seinem Blick und wirkte erstaunt. „Ich weiß auch nicht was das ist. Das Auto war verschlossen und ich habe nichts liegen gelassen…“ Er beugte sich von draußen ins Auto und nahm das kleine Ding, das auf dem Armaturenbrett lag. Dann riss er erstaunt den Mund auf.
„Lysander, sieh dir das an!“, sagte er mit strahlenden Augen. Sie funkelten zum ersten Mal seit langer Zeit. Lysander schaute auf das Ding in der Hand seines Vaters. Es war der Mondstein.

Letzte Aktualisierung: 23.06.2012 - 15.00 Uhr
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