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Verzaubert | Juni 2012

In der Wachau
von Reiner Pörschke

„Oh Gott, tun mir meine Knochen weh! Und alle Klamotten sind nass!“, jammerte Mia und warf sich auf das Bett in der kleinen Privatpension in Grein. Abrupt änderte sich dann der Tonfall, sie fauchte: „Und rühr mich heute Abend bloß nicht an! Ich schmeiß dich aus dem Bett!“ Das war deutlich. So kannte ich sie noch gar nicht, meine Freundin, die sonst so beherrschte junge Dame aus der Marketingabteilung unserer Firma. Es gab für sie nun kein Halten mehr: „Diese blöde Idee, hier tagelang im Regen Fahrrad zu fahren, die konnte auch nur von dir kommen, du verhinderter Bauer. Hätte ich doch auf Selma gehört und wäre mit ihr nach Barcelona geflogen. Da könnte ich jetzt auf der Rambla shoppen und mit feurigen Spaniern flirten! Ich Idiot!“

Allerdings, es war meine Idee gewesen, den Donauweg entlang zu radeln, von dem ich schon so viel gehört hatte. Ich antwortete nicht, ließ sie allein und verließ die Pension, ging noch die paar Meter zum Fluss hinunter und sah in der Dämmerung auf das rauschende Wasser. Durch das Mondlicht bildeten sich immer wieder helle Strudel auf kleinen Wellen, die miteinander zu spielen schienen. Oder sah ich nach einer Weile schon tanzende Wassernixen und Flussgeister? Spät ging ich zurück in unser Zimmer. Mia schlief nach der Anstrengung des Tages inzwischen tief und fest. Erst konnte ich mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen, dann gab ich der schlafenden Prinzessin aber doch einen zärtlichen Kuss auf die Stirn, wo noch ein paar Zornesfalten zu sehen waren.

Am nächsten Morgen radelten wir weiter. Die Luft duftete frisch, wie eine Mischung aus Wasser, Heu und Kräutern. Keiner sprach. Ich nicht, weil Worte diese Morgenstimmung nur gestört hätten. Mia aus Trotz und Wut, die immer noch nicht verraucht waren. Beides schien sie allerdings auch zu beflügeln. Mit Todesverachtung trat sie in die Pedalen. Ich sah sie oft nur noch von hinten und hatte manchmal Mühe ihr zu folgen. Sportlich war sie als Hobbytänzerin ja. Oder gaben ihr die vielen kleinen Hinweisschilder am Weg „Wien“, „Wien“, „Wien“, die schicke Boutiquen wie in Barcelona versprachen, neue Kräfte?

Es würde ein warmer, sonniger Septembertag werden. Na wenigstens das, kein Regen wie gestern hinter Linz, als Mia zum ersten Mal die Nerven durchgegangen waren! Sie hatte mich angeschrieen: „ Am nächsten Bahnhof steige ich in den Zug und fahre nach Hause!“ Erst im letzten Moment hatte sie ihren Plan aufgegeben und mir noch einen Tag „Bewährung“ eingeräumt.

Jetzt hörten wir nur das Surren unserer Räder, gelegentlich Vogelgezwitscher und Entengeschrei. Und dann war da natürlich das fortwährende Glucksen und Rauschen des Stromes, den wir immer in Reichweite zu unserer Rechten sahen. Schiffe fuhren nur selten vorbei, riesige, rostige Schleppkähne aus Bulgarien oder Rumänien, die mit undefinierbarer Fracht nach Osten zurück in ihre Heimat stampften.

Heute Morgen hatten wir bei unserer Wirtin, Frau Hametner, noch gut gefrühstückt. Für ihre Pensionsgäste hatte sie einen kräftigen Kaffee gebraut, der durch die ganze Stube duftete, und in aller Frühe frische Semmeln beim Bäcker besorgt. Mia hatte allerdings die Augen verdreht, als sich die alte Dame in ihrer Küchenschürze auch noch wie selbstverständlich zu uns gesetzt und wie mit alten Bekannten unterhalten hatte. Unsere Wirtin hatte das gottseidank nicht bemerkt. Mit einem Gesicht, das in jedem Augenblick Liebenswürdigkeit, Ruhe und Glück ausstrahlte, fragte sie nach dem Woher und Wohin. Ja, der Hauptweg nach Krems ginge zwar auf dem linken Ufer weiter, aber sie empfahl uns, ab Spitz auf der rechten Flussseite zu fahren und dort die Nebenstrecke zu nehmen: „Werdet’s schon sehn, wie schön’s dort ist!“ Für mich sahen ihre Augen in diesem Augenblick etwas rätselhaft aus. Ein paar belegte Semmeln hatte sie uns schließlich vor dem Abschied noch als Proviant aufgedrängt.

Zwei, drei Stunden lang ging es schnell vorwärts. Viele Radler, wie nach dem Start in Passau, waren nicht mehr mit uns unterwegs. Wir hatten nun die Wachau erreicht, grüne Hügel, verfallene Burgen links und rechts des Flusses. Alle paar Kilometer durchquerten wir malerische Städtchen und Dörfer am Ufer, wo die Gärten um die Wette blühten. Fachwerkhäuschen standen in verwinkelten Gassen. Dunkelgrüne Trauben prangten an Weinstöcken, die sich hinter den letzten Häusern die Hügel hinaufzogen.
Mittags kamen wir zum „Nibelungenhof“ und aßen im Gastgarten eine köstlich gefüllte Kalbsbrust mit gemischtem Salat, was Mias Laune merklich aufhellte. Erste freundlichere Blicke waren mir vergönnt. Und trotz oder wegen der Kilometer, die heute noch auf uns warteten, verzichteten wir beide nicht auf den grünen Veltliner, den Wein, der in der Wachau wächst und hier immer so wunderbar schmeckt.

Bei Spitz überquerten wir die Donau mit der altertümlichen Seilfähre und erreichten das nächste kleine Städtchen am Ufer, Rossatz. Dort führte der Weg plötzlich von der Donau ab. „Sollen wir nicht doch zurück und weiter auf dem linken Ufer fahren?“, fragte Mia, inzwischen in bester Stimmung. „Ach was“, erwiderte ich, „Frau Hametner hat uns doch empfohlen, am Ende bis Krems die Nebenstrecke rechts zu nehmen. Sie wird schon wissen, warum!“ Wir fuhren landeinwärts weiter. Die Sonne war inzwischen auf ihrem Höhepunkt angekommen, 30 Grad waren fast erreicht. Vielleicht lag es aber auch an dem Glas Veltliner zuviel. Jedenfalls träumte ich auf dem Fahrrad nun ein wenig vor mich hin. Als ich wieder aufschaute, traute ich meinen Augen kaum, Äpfel -, Pflaumen- und Birnbäume, so weit das Auge reichte. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, kein Auto zu hören, nur unser kleiner Radweg wand sich wie eine Schlange durch diesen unermesslichen Obstgarten. Die ersten Blätter waren heruntergefallen, lagen auf dem Weg und malten fantastische Bilder in grün, rot, gelb und braun. Die Äste neigten sich uns entgegen, die reifen Früchte wuchsen uns buchstäblich in den Mund. „So stell ich mir das Schlaraffenland vor“, rief Mia begeistert und griff sich vom Fahrrad aus einen reifen Apfel. „Schmeckt super“, rief sie mir lachend mit dicken Backen zu.

Die Luft hatte sich weiter aufgeladen, ich brauchte eine Pause. „Lass uns anhalten, wir sind ja bald in Krems!“, schlug ich vor. Wir entdeckten einen Heuschober, der Schatten und etwas Kühle bot, und breiteten dort drinnen unsere Decke aus. „Weißt du“, sagte ich zu Mia, die jetzt in meinem Arm lag, „ so ähnlich muss es im Paradies gewesen sein. Nur Natur, Früchte, Wasser und goldener Wein in Reichweite, was will man mehr?“ „Geht mir auch so, Adam“, wisperte sie und nestelte an meinem T-Shirt herum, „ deshalb will ich jetzt deine Eva sein!“ Zärtlich küsste sie mich immer wieder, und wir liebten uns in unserem Heubett wie nie zuvor. Danach schliefen Adam und Eva im Paradies ein.




ã Reiner P.

Letzte Aktualisierung: 20.06.2012 - 10.25 Uhr
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