Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Nachtschicht | Juli 2012
Ein komischer Kauz: eine Geschichte fĂĽr die Anderen
von Hajo Nitschke

Ich ben wie ich ben. De eine kenne mich, de andere kĂĽnne mich!
(Konrad Adenauer)


“Huh – Huhuhu – Huuuh!“


Das ist Henry. Henry ist ein Waldkauz. Seinen wirklichen Namen kenne ich nicht. FĂĽr mich ist er einfach nur Henry. Das klingt so nett kauzig.

Und das hier unten bin ich. Richtig, dieser windschiefe Lulatsch auf dem Weg zwischen Waldrand und Vorgärten. Ach so, mein Name: Nennen Sie mich Hajo. Hans-Joachim klingt zu vornehm.

Henry und ich – zwei nachtaktive Bewohner eines Kölner Vorortes nahe dem Flughafen. Damit sind Protag und Antag vorgestellt und der Leser weiß sofort Bescheid (hier bitte sich einen Smiley denken, leider habe ich keinen zur Hand). Was Protag und Antag bedeutet, muss ich nicht erklären. Das weiß sogar Henry.


“Huh – Huhuhu – Huuuh!“


“Jev ens Rauh, Henry!“
FĂĽr Sie: 'Gib mal Ruhe, Henry!'
Aber der Typ denkt nicht daran. Sind seine Artgenossen nur während der Balzzeit zu hören, ist für ihn immer Balzzeit. Doch wenn es darauf ankommt, verweigert er im letzten Moment das Ja-Wort, ist immer noch Single. Und sehr eindimensional in seiner Sprache. Höchst selten folgt ein 'Wuwuwuwu' als Zugabe, wenn ihn eins der Weibchen besonders antörnt. Was offenbar nicht oft geschieht, wenn aber doch, dann heftig.

Ausgerechnet dieses Viertel hat Henry zu seinem Revier bestimmt. Sein karger Wortschatz verfolgt mich bis an meinen Schreibtisch, auch bei geschlossenen Fenstern. Das erschwert die Konzentration beim gehobenen literarischen Schreiben, wie zum Beispiel bei diesem Text hier.

Ein einziges Mal bekam ich ihn zu Gesicht. Es war schon spät. Sie waren alle verschwunden: keine pieselnden Hunde, keine knutschenden Liebespaare, niemand mehr mit einer Bierflasche am Mund oder einem Handy am Ohr. Nur ich, den er wohl nicht mehr erwartet hatte. Ausgerechnet in der Nähe einer Laterne war sein Ansitz und er beobachtete mich, den im Verhältnis zum kurzen Rumpf viel zu großen Kopf mir zugewandt. Die schwarzen, lidlosen Augen unter dem grauen Gesichtsschleier kontrollierten jeden Schritt. Als ich eine falsche Bewegung machte, riss er den gelben Krummschnabel auf:


'Huh -Huhuhu – Huuuh!'


Was immer das auch heiĂźen mag. Vielleicht dies:
'Tot – Ich mach euch tot!'

Ich ahmte es nach, da passierte etwas Außergewöhnliches: Er variierte den Sound! Das klang so:
'Huhuhuhu – Huhuhu Huhuhu!'

Dann breitete er die graubraunen Schwungfedern aus und rauschte davon. Nie wieder hörte ich diese Variation.



Aber jetzt belauert er mich wieder. Ich spüre das. Ein Blick den Weg entlang – niemand zu sehen. Vielleicht hockt er im Geäst in der Nähe dieser Laterne. Ich wühle mich, die Hände schützend vor dem Gesicht, durch Büsche und Zweige, fort vom Weg, immer tiefer ins Gehölz. Da! Ganz in der Nähe:


“Huh – Huhuhu – Huuuh!“


Kann auch sein, es heiĂźt:
'Satt – Macht mich jetzt satt!'
oder
'Tot – dunkel und tot!'

Wäre ich eine Wühlmaus, mir würde das Pfeifen vergehen und das Mäuseblut in den Adern schockgefrieren. Keine Zeit mehr für ein Testament! Und wäre ich ein Regenwurm, würde ich mich im Erdkern verkriechen, nicht zu atmen wagen und drei Kreuze schlagen, sollte ich mich noch einer ungeteilten Zukunft erfreuen dürfen. Aber zum Glück gehöre ich nicht zu Henrys Beuteschema.

Während ich mich durchs Gestrüpp schlängele, versuche ich, die Welt mit seinen Augen zu sehen. Bin plötzlich selber Henry, fliege unhörbar wie ein Phantom über mein Jagdrevier, erspähe ein leichtsinniges Eichhörnchen – und schwupps, stoße ich nieder und schlage es an Ort und Stelle. Reiße den Kopf ab, zerfetze mit meinen scharfen Klauen den Leib, knete alles gut durch und schlinge den Happen mit Genuss hinunter. Bon appetit.

Halt! Sie verstehen das falsch! Ich bin immer noch ich und kein Kleintier-Fleischwolf, sondern versuche nur, die Welt aus anderen Augen zu verstehen.
Die Vision geht auch schon vorbei, aber ich muss aufstoĂźen (nach Ihnen, bitte).
Ich bin über Wurzeln gestolpert und habe mir die Hände an Dornen zerkratzt: Jetzt trete ich den Rückzug an. Endlich der Weg. Sicherer Boden unter den Füßen.


“Hans – alles ist gut!“


Er versteht mich einfach nicht, der Dummbatz. Unterstellt mir immer nur Mord und Totschlag. Da zuckelt er von dannen, seinen im Verhältnis zum Körper viel zu kleinen, unverschleierten Kopf schüttelnd. Vor Kurzem ließ ich ihn bewusst auf ein paar Schritte herankommen. Wollte ihn aus der Nähe sehen. Komischer Heini. Keine Federn, keine Flügel, der schnabellose Mund als Waffe ungeeignet und höchstens fähig zu diesen genetisch bedingten Gefühlsritualen, bei denen die Zweibeiner in unästhetischer Weise ihre Essöffnungen aneinanderpressen.
Er nennt mich Henry. Aber meinen richtigen Namen hat er natĂĽrlich nicht verstanden. Obwohl ich ihm deutlich akzentuiert zurief:
'Ich bin der Joe – Jev Bützchen, Fuzzemann!'


Jetzt ging der Wahnsinnige sogar noch auf die Pirsch, um mich im Dickicht aufzustöbern. Dieser Trampel! Niemand ist so laut- und regungslos wie ich. Aber gut, dass er das einsah. Der soll hübsch auf dem Weg bleiben und sich am besten wieder hinter seine Mauern verkriechen. Möchte wissen, was der da bis in die Morgenstunden treibt. Das Licht geht erst aus, wenn hier in den Zweigen und den Vorgärten meine Nachspeise zwitschert, ich danach das Gewölle der Nacht entsorge und mich zur Ruhe setze.




“Huh – huhuhu – Huuuh!“


Ob das wirklich sein Fraßlied ist? Was könnte es sonst noch bedeuten? Eine Silbe und nochmal vier?
'Hans – Hau dich aufs Ohr!' – Das wäre ein ganz neuer Ansatz.


Wenn alles gut ist, dann hört sich auch alles gut an. Kein Abschlachten unschuldiger kleiner Vögelchen, liebenswerter kleiner Waldmäuschen oder gar possierlicher kleiner Eichhörnchen. Eine heile Welt, in der ein Killer-Kauz seine bisherigen Opfer beweint und um Absolution bittet, um künftig nur noch von Gräsern und Blättern zu leben.
Leck mich in de Täsch (muss ich das noch übersetzen?): Was einem nachts doch so alles in den Sinn kommt ...


Der nächtliche Ausflug über meinen Käuzchenweg, wie ich ihn nenne, dient dem Sammeln von Ideen, Wort-Clustern und Handlungssträngen. Ich schiebe Henrys Nachtgesang erst mal beiseite und versuche, an meiner Geschichte zu feilen, deren erster Teil immerhin schon gespeichert ist und mit
'Huh – Huhuhu – Huuuh!' beginnt.

Der Weg geht sich im Schein der Laternen angenehm. Gestrüpp und Geäst dagegen haben meine Kleidung derangiert und mir einige Kratzer eingebracht. Aber es war einen Versuch wert. Der Weg ist sonst allzu bequem: langweilig, immer dasselbe. Gäääääähn …
Der Ausflug ins Unterholz verschaffte Abwechslung.


“Hans – alles ist gut!“


Seine neue Interpretation war wenigstens nicht mehr so defätistisch. Wenn nur seine Müdigkeit nicht wäre! Der Dämel weiß gar nicht, was Schlaf ist. Nachts schlurft er hier den Weg auf und ab oder hockt in seinem Mauerwerk. Möchte wissen, wann der jagt. Sieht ausgehungert aus, irgendwie tut er mir leid.




Nur noch wenige hundert Meter, dann bin ich zuhause. Aber wie ich die Geschichte anlegen soll, ist mir noch nicht klar. Dem einen schreibe ich zu gewalttätig, dem anderen zu wenig eigenschöpferisch. Mal gefährde ich mit despektierlichen Tabubrüchen die Jugend, mal ist der Kontrast zwischen Gut und Böse zu klein und der Stil zwar brillant, aber „nicht mein Ding“. Diesem fehlen „Charme und Wärme“, jenem gerät meine Schreibe zum moralischen Overkill. Hier ist sie polemisch überstylt und da entzieht sie sich sowieso erfolgreich dem Prädikat 'Pädagogisch wertvoll': „Kenne mer nit ,,bruche mer nit, fott domet!“
Eine Lösung muss her, die es ALLEN recht macht, denn immerhin ist es meine vierzigste Geschichte: ein kleines Jubiläum. Da möchte man doch gefallen und wenigstens nicht Letzter werden..


Die Erfahrung lehrt mich, nicht das zu schreiben, was ich möchte (wonach mir der Schnabel gewachsen ist, wäre ich ein Waldkauz), sondern das, was in die Behaglichkeit der Zielgruppe passt. Beschaulich, gepflegt, die vorgegebene Route nie verlassend, allzeit gefällig und gediegen. Zuverlässig auf dem Boden gewohnter Fährten einen liebevollen Gedankenaustausch fördernd und (auch mir) die Möglichkeit eröffnend, eigene Erfahrungen und Lebensweisheiten klug und mit understatement beizusteuern. Je wunderschöner und kleiner etwas ist und je mehr aufbauende Moral es enthält, desto besser kommt es an.

Also werde ich jetzt mal jede Schärfe sowie eine ganze Dimension weglassen: die Tiefe, und den Text in der Art friedlicher Waldorf-Kindergarten-Pädagogik fortschreiben. Raus aus dem Unterholz, dafür sichere Schritte auf gewohntem Weg und Steg:

Ein kleines, liebes, verloren gegangenes Eulenkind werde ich auf selbigem auflesen, es zuhause aufpäppeln und ihm unablässig das Köpfchen kraulen, bis ich es in die Freiheit entlassen kann. Was selbstredend weh tun, mir aber einen letzten dankbaren Blick aus Eulenaugen sichern wird. Und Applaus der Leser auf breiter Front, denn sie erkennen die Moral und verstehen auf Anhieb die Krönung, die beschauliche, stramm positive Auslegung von 'Huh – Huhuhu – Huuuh!', nämlich:

'Gut! – Alles ist gut!'


So was verspricht Nachhaltigkeit: Man darf hoffen. Diese feine Option wird den Rezensenten erst recht bewundernde Statements abnötigen. Jetzt wird man mich mit – wohlwollenden – Kommentaren abduschen und mich im Weihrauch der Huldigungen baden lassen. Gewusst, wie ...

Mit derart erhebenden Gedanken finde ich mich vor meiner Haustür wieder und trete fast auf eine tote Maus. Sie liegt, drapiert mit Gewölle und winzigen Knöchelchen, auf meiner Fußmatte. So klein, so süß. Und so besinnlich. Man hat ihr die kleinen Pfoten gefaltet und die Äuglein geschlossen. Ein wunderschönes Geschenk. Oder eine Belohnung, weil endlich alles gut ist? Genau das hab ich jetzt gebraucht: Eine gute Mischung von Rührung und harter Realität, absolut ausgewogen – und nirgends aneckend. Schon habe ich es so niedergeschrieben.

Brother, you make me happy!



„Suche nicht, apart zu scheinen,
wandle auf betret'nen Wegen.
Meinst du, was die And'ren meinen,
kommt man freundlich dir entgegen.“

(Wilhelm Busch)



@ Hajo Nitschke, Version 2

Letzte Aktualisierung: 16.07.2012 - 21.13 Uhr
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