Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das? Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten- Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
Die Nacht, in der ich Sherlock traf von Elmar Aweiawa
Vom Schreiben kann man leben, wenn man erstens talentiert ist, zweitens GlĂŒck und drittens einen guten Verleger hat. Mir war das nicht beschieden, und so musste ich mir eine andere Verdienstquelle suchen. In Anbetracht meiner insgesamt eher bescheiden zu nennenden FĂ€higkeiten bewarb ich mich um den Posten eines NachtwĂ€chters in der gröĂten Bibliothek unserer Stadt.
Besonders interessant fand ich den Raum mit Erstausgaben berĂŒhmter BĂŒcher. Dort hielt ich mich oft auf und blĂ€tterte in den wertvollen Folianten. Zeit hatte ich genug. Nur einschlafen durfte ich nicht, sonst verlor ich meinen Job.
Eines Nachts schreckte ein seltsames GerĂ€usch mich auf. Doch bevor ich reagieren konnte, spĂŒrte ich eine scharfe Klinge an meinem Hals.
âWo ist dieser Schurke?â, schrie mich der Besitzer des HalsabschneidegerĂ€tes an.
âWer? Was? Wie?â
âStell dich nicht dumm! Wo ist Peter?â
âWelcher Peter? Ich kenne mindestens drei.â
âNoch so eine Antwort und du bist einen Kopf kĂŒrzer!â
Langsam wurde mir mulmig, obwohl die Situation so skurril war, dass ich vermutete, mich in einem Traum zu befinden. Doch die Schneide des Messers war verdammt scharf und real. Der Blutstropfen, der mir den Hals herunterlief, fĂŒhlte sich unglaublich echt an.
âIch weiĂ nicht, welchen Peter Sie meinen.â
âEs gibt nur einen Peter. Wo ist Peter Pan?â
Nein, das konnte nicht sein. Das war unmöglich! Der Mann, der seinen SĂ€bel gegen meine Kehle drĂŒckte, konnte nicht ...
âHook ...?â
âHa, du kennst mich? Dann kennst du auch Peter. Wo ist er?â
Ich wandte den Kopf, um meinen Widersacher in Augenschein zu nehmen. Die Wut in seinen Augen war glaubwĂŒrdig, und es war eindeutig nicht gut Kirschenessen mit ihm.
âJa, Ă€hem, wie soll ich es sagen ...? Peter und du, ihr seid nur Romanfiguren.â
âAch, was du nicht sagst? Und mein SĂ€bel stammt auch nur aus einem Buch, was?â
Der Druck am Hals wurde gröĂer und ein weiterer Blutstropfen suchte sich einen Weg nach unten.
Verdammt, der Mann hatte recht. Der bestialische Gestank, der von ihm ausging, war zu real, um eingebildet zu sein. Zwischen Hook und Seife musste Todfeindschaft herrschen oder eine InkompatibilitÀt grundsÀtzlicher Art vorliegen.
Doch nein! Wie konnte ich so etwas auch nur denken. Hook gab es nicht wirklich!
âBelĂ€stigt dich dieser Mann?â, unterbrach eine helle Stimme meine Ăberlegungen.
âMeinen Sie mich?â, fragte ich zurĂŒck.
âSiehst du sonst noch einen Typen, an dessen Hals gerade herumgeschnippelt wird?â
Das dunkelhĂ€utige BĂŒrschchen, das mit seinen altklugen Bemerkungen nicht gerade zur EntschĂ€rfung der Situation beitrug, war höchstens 16 und dĂŒnn wie ein Hungerhaken. Keine Hilfe also in meiner Lage.
Doch Hook interessierte sich plötzlich mehr fĂŒr ihn als fĂŒr mich und lieĂ mich los, um sich auf den Knaben zu werfen. Kaum war er einen Schritt auf ihn zugetreten, stĂŒrzte sich ein anderer Junge von hinten mit einem dicken KnĂŒppel auf den bĂ€rtigen SeerĂ€uber und schlug ihm mit voller Wucht gegen die Beine. Hook sank in die Knie und stĂŒrzte vornĂŒber.
âNichts wie weg!â, brĂŒllten die beiden Jungs, und ohne lange zu ĂŒberlegen, rannte ich hinter ihnen her, wĂ€hrend Hooks ohnmĂ€chtiges GebrĂŒll uns durch die GĂ€nge der Bibliothek verfolgte.
âKlasse, Tom, das haben wir prima hinbekommenâ, klatschten sich die beiden ab, als wir endlich stehen blieben. Ich war völlig auĂer Atem, ganz im Gegensatz zu meinen neuen Freunden, die sich munter unterhielten und begeistert von ihrem Streich waren.
âDanke, ohne euch wĂ€re ich verloren gewesenâ, schaltete ich mich ins GesprĂ€ch ein.
âWas wollte der alte Hook von dir?â, fragte der, den ich schon als Tom kannte.
âGarantiert wollte er wissen, wo er Peter findetâ, kam mir sein Freund zuvor. âEr ist stĂ€ndig hinter ihm her, doch er erwischt ihn nie. Peter ist viel zu clever fĂŒr den alten KĂ€ptân. Er ist so grenzenlos dumm.â Er kicherte. âDer hat immer noch nicht geschnallt, dass Tom und Huck nur im Doppelpack auftreten.â
Tom und Huck! NatĂŒrlich. Wie konnte ich das erst jetzt bemerken?
âKann es sein, dass du in Wirklichkeit Huckleberry heiĂt?â, wollte ich mich vergewissern, und Hucks Nicken bestĂ€tigte mir, was ich bereits wusste. Ich war in eine abgedrehte und aberwitzige Geschichte geraten.
âHabt ihr wirklich keine Angst vor Hook?â, wollte ich wissen. âEr sah gefĂ€hrlich aus.â
âEs gibt nur einen hier, den man fĂŒrchten mussâ, antwortete Tom.
âUnd wer ist das?â
âDu wirst ihn an seinem Holzbein erkennen.â
Kaum hatte er seinen Satz beendet, erklang ein âTock, Tock, Tockâ, das langsam nĂ€her kam.
âWenn man vom Teufel redetâ, wandte sich Huck missbilligend an seinen Freund.
âVerflucht, das ist John. Am besten, wir verschwinden.â
Mittlerweile vertraute ich den beiden und nahm mit ihnen ReiĂaus.
âWer war der Kerl?â, wollte ich wissen.
âLong John Silver.â
âIrre! Sucht er immer noch die Schatzinsel?â
âKlar, ist so eine Art Hobby von ihm. Aber woher weiĂt du das? Kennst du ihn? Ich sehe dich heute zum ersten Mal hier.â Tom schaute mich misstrauisch an.
âJa, ich bin neu hier. Und will auch schleunigst wieder weg. Hab nur keine Ahnung, wie ich das anstellen soll.â
âIst es ein vertracktes Problem?â, wollte Huck wissen.
âYepp!â
âEin sehr vertracktes?â
âIch denke.â
âDann ist es ein Fall fĂŒr Sherlock.â
âWas?! Der ist auch hier? Den will ich unbedingt kennenlernen. Er kann mir bestimmt helfenâ, gab ich mich zuversichtlicher, als ich war.
Die Suche nach Sherlock Holmes war aufwĂ€ndig. Wir begegneten unterwegs dem GroĂinquisitor (gefĂ€hrlich), Jim und Lukas (samt Emma), Lady Macbeth (sehr gefĂ€hrlich) und endlich Mr. Watson, der uns zum gröĂten Detektiv der Literaturgeschichte brachte.
âEin interessantes Problemâ, kommentierte der meine ausfĂŒhrliche Schilderung. âNatĂŒrlich ist Ihre PrĂ€misse nicht real, denn dass wir hier alle Romanfiguren sind, ist blĂŒhender Unsinn.â
âNein! ...â, wollte ich protestieren, doch mit einer herrischen Armbewegung wischte er meinen Einwand beiseite.
âDoch ich liebe RĂ€tsel und wir tun mal so, als wĂ€re die PrĂ€misse korrekt. Jetzt kommt es darauf an, von dieser gegebenen Grundlage aus richtige SchlĂŒsse zu ziehen. Denn SchlĂŒsse sind wie KĂŒsse, sodass je zwei zusammen einen ergeben.â
Sein heiseres Lachen erfĂŒllte den Raum, und ich staunte nicht schlecht, dass eine Romanfigur Shakespeare zitieren konnte.
âWenn alle Menschen in diesem GebĂ€ude Romanfiguren sind, die aus einem der BĂŒcher in der Bibliothek des Museums stammen, dann ergibt sich zwingend ... na, was wohl?â
âĂhem, keine Ahnungâ, gab ich zur Antwort. Auch Tom und Huck schĂŒttelten den Kopf.
âDass auch Mr. Aweiawa eine Romanfigur istâ, bewies Watson seinen geschulten Verstand, âund das Buch, dem er entsprungen ist, steht in dieser Bibliothek.â
âRichtig! Prima, Mr. Watson. Und welche Frage mĂŒssen wir uns als nĂ€chste stellen?â
âDafĂŒr sind Sie zustĂ€ndig, Mr. Holmesâ, zog sich der MusterschĂŒler aus der AffĂ€re.
âDann wollen wir gemeinsam ĂŒberlegen, wer als Autor dieses Buches infrage kommt. Wie uns Herr Aweiawa erzĂ€hlt hat, schreibt er selbst Geschichten und veröffentlicht sie bei Schreib-Lust. Kann es nicht sein, dass er eine Geschichte geschrieben hat, in der er selber vorkommt?â
âNatĂŒrlich, das habe ich. Schon öfters. Aber wie soll uns das weiterbringen?â
âIn der Bibliothek stehen nur BĂŒcher berĂŒhmter Autoren, und keiner von denen kann ĂŒber den doch ziemlich unbedeutenden Mr. Aweiawa geschrieben haben. Das können wir mit einer vernachlĂ€ssigbaren Fehlerwahrscheinlichkeit annehmen.â
Tja, da musste ich ihm recht geben.
âNichtsdestotrotz befindet sich ein Buch in dieser Bibliothek, in dem Herr Aweiawa eine Rolle spielt. Es kann erst kĂŒrzlich dort hingelangt sein, sonst wĂ€re er frĂŒher bei uns aufgetaucht. Wenn ich dann noch die Tatsache ins KalkĂŒl ziehe, dass ein gewisser NachtwĂ€chter Zutritt zur Bibliothek hat, der Geschichten schreibt, und zwar, wie er eben zugegeben hat, auch solche ĂŒber sich selbst, ergibt sich zweifelsfrei folgender Schluss: ...â
Er verstummte und wir alle hielten die Luft an.
âNa, Mr. Watson?â
âDass er selber ...â
âHaargenau!â Sherlock klatschte in die HĂ€nde und strahlte ĂŒber beide Backen.
âMr. Aweiawa hat ein Buch dort deponiert, in dem er selber vorkommt.â
âĂuĂerst klug kombiniert, Mr. Holmes. Doch leider weiĂ ich nichts davon, und das widerlegt Ihre Schlussfolgerung.â
âKeineswegs. Wenn Sie eine Romanfigur sind, haben Sie den Wissensstand der Person, die Sie zur Zeit der Niederschrift waren. Das Buch aber haben Sie erst deponieren können, nachdem es geschrieben war. Ergo ...â
Seiner Logik war ich nicht gewachsen. Direkt unheimlich!
âGut, Sie haben recht. Doch wie mir diese Schlussfolgerungen helfen sollen, von hier zurĂŒck in die Wirklichkeit zu kommen, ist mir immer noch schleierhaftâ, gab ich zu bedenken.
âIst doch ganz einfach. Wir suchen das Buch, verbrennen es, und schon sind Sie verschwunden. ZurĂŒck in der RealitĂ€t.â
âKlar, warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Auf, suchen wir das Buch!â
Gemeinsam stĂŒrmten wir durch die Bibliothek. Sie war riesig und es schien ein hoffnungsloses Unterfangen, besagtes Buch in absehbarer Zeit zu finden, denn die BĂŒcher waren nicht nach dem Alphabet sortiert.
âDas Alphabet wĂŒrde uns sowieso nicht weiterhelfenâ, kommentierte Sherlock meine Niedergeschlagenheit angesichts des ersten Misserfolgs.
âWieso?â, wollte ich unglĂ€ubig wissen.
âWeil Sie, Mr. Aweiawa, das Buch mit Sicherheit nicht irgendwo so hingestellt haben, dass es in absehbarer Zeit gefunden werden kann. Ăberlegen Sie sich mal den Skandal, wenn herauskĂ€me, dass ein Buch von minderwertiger QualitĂ€t hier deponiert worden ist.â
Langsam ging mir Herr Holmes mit seinen Ăberlegungen auf den Wecker.
âSie haben es versteckt, und was bietet sich da mehr an als ...â
Beherzt griff er in eine LĂŒcke hinter der Heizung und zog ein Heft hervor.
âDie Nacht, in der ich Sherlock trafâ, las er den Titel vor. âUnd der Autor: Elmar Aweiawa.â
Seine triumphierende Stimme erhöhte keineswegs meine Sympathie fĂŒr den alten Knaben.
Schon zĂŒckte er ein Feuerzeug, blĂ€tterte das Heft auf, und die Seiten fingen Feuer. Sollte er am Ende recht behalten und ich verschw...