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Nachtschicht | Juli 2012

In der Eile der Nacht
von Barbara Hennermann

Eiskalte Dunkelheit waberte im Raum.
Als er das Licht anknipste, wurde das Chaos sichtbar.
Ihm war sofort klar, dass dies nicht in einem Tag würde beseitigt werden können. So setzte er sich eine persönliche Frist.

Die ersten Arbeiten verliefen durchaus zufrieden stellend.
Wie immer, wenn die Unordnung besonders groß war, sah er nach grober Trennung der einzelnen Elemente bereits eine Verbesserung des großen Ganzen.
Nun galt es, an die Einzelheiten zu gehen.

Zuerst musste das blasse Einheitsgrau in eine farbige Vielfalt verwandelt werden. Er verwendete Rot, Braun, Weiß, Rosa und viele andere Farben, die er großzügig über alle Flächen verteilte. Vor allem sparte er nicht an Blau und Grün. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen und er war am Ende des Tages sehr zufrieden mit dem, was er geschafft hatte.

Um die bunte Vielfalt zum Leuchten zu bringen, brachte er am nächsten Tag weitere Lichter an. Nun besonnte tagsüber helles Licht die prächtigen, frischen Farben. In der Nacht nahmen sie sich im silbernen Schein gedämpft zurück, um für den folgenden Tag neue Leuchtkraft zu gewinnen. Auch dies erschien ihm sehr gelungen zu sein.

Was ihn noch störte, war die etwas statische Unbeweglichkeit, die den Raum nun auszeichnete. Schön, aber leblos. So sann er über Möglichkeiten nach, ihn mit Leben zu füllen. Er setzte Fische ins Wasser und entließ Vögel in die Luft. Letztere begannen sofort zu tirilieren und Nester zu bauen, während erstere in ruhigen Bahnen ihr neues Reich erkundeten. Wiederum war er mit seinem Tagwerk zufrieden und legte sich am Abend dieses Tages mit dem Gefühl zur Ruhe, etwas Sinnvolles vollbracht zu haben.

Am Morgen des folgenden Tages betrachtete er mit Wohlwollen, was inzwischen an Verbesserungen erfolgt war. Zweifellos hatte er dem einstmals unbewohnbaren, ja abstoßenden Raum eine durchaus angenehme Atmosphäre verliehen, die sich sehen lassen konnte. Dennoch war er nicht ganz zufrieden mit seinem bisherigen Werk. Das Gezwitscher war nett, doch es füllte den Raum nicht. Die Fische konnten ohnehin außer etwas Blubbern oder Mit-Dem-Schwanz-Peitschen wenig an Lautäußerungen beitragen. Die Buntheit der Farben wirkte aufdringlich, da übermächtig. Er erkannte, dass der Boden des Raumes in irgendeiner Form gefüllt werden musste, um dem Leben wirklich so Rechnung zu tragen, wie er sich das anfangs gedanklich vorgestellt hatte.

Also setzte er Tiere darauf, die ihm gerade in den Sinn kamen. Kleine Antilopen ebenso wie große Löwen, Hunde, Katzen, Schlangen und alle, deren er noch habhaft werden konnte. Als dieser Tag sich dem Ende zuneigte, fühlte er sich zwar angestrengt, aber doch voll Freude über das, was er an diesem Tag alles hatte schaffen können.

Er stellte sich auf die Türschwelle und betrachtete sein Werk der letzten sechs Tage. „Nicht schlecht“, schmunzelte er vor sich hin. „Ich hab´s tatsächlich geschafft, wie ich es mir vorgenommen hatte. Morgen kann ich Pause machen und ausruhen.“ Denn die Frist, die er sich gesetzte hatte, waren genau sieben Tage gewesen. Sechs zum Gestalten, einen zum Ausruhen.

Als das Nachtlicht die Farben des Tages verblassen ließ, das Gezwitscher der Vögel allmählich verstummte, die Fische das Blubbern einstellten und die Hyäne ihren Schrei ins All entsandte, beschlich ihn der Gedanke, es könnte doch noch etwas fehlen an seinem Meisterwerk. Etwas, das Tag wie Nacht den Raum beleben und nutzen konnte. Etwas, das die Tiere beherrschen würde. Etwas – und es fiel ihm nicht leicht, das vor sich selbst zuzugeben! – das ihm sein Alleinsein durch sprachlichen Gegenpart ein wenig auflockern konnte. Es musste etwas sein, was mehr war als jedes Tier, aber doch viel weniger als er selbst. Nur was?

Die Zeit drängte, denn die Nacht schritt fort und er wollte um keinen Preis sein selbst gesetztes Ziel – sechs Tage schaffen, am siebenten ruhen! – verfehlen. Männlichen Geschlechtes waren ihm seine Prinzipien doch wichtig …
Ein mit dem Schwanz peitschender Fisch riss ihn aus seinen Gedanken. Ärgerlich blickte er auf das Wasser, das ihm Mondlicht wie Kristall blinkte. Und er erblickte sich selbst in diesem Kristall …

Wie gesagt, die Zeit drängte.
Ob die spontane Idee gut war, würde sich später zeigen.
Er beschloss nämlich, ein Abbild seiner selbst zu formen.

Rasch und mit bloßen Händen griff er in die Erde, vermischte sie mit Wasser, formte auf die Schnelle eine etwas schiefe Figur, deren Ähnlichkeit mit ihm nur flüchtig war. Zur Verbesserung des Trockenvorgangs pustete er sie an, so lange, bis sich das unansehnliche Etwas zu regen begann.

„Wo bin ich?“, lispelte es. „Und wer bin ich überhaupt?“
„Still, mein Sohn“, entgegnete ER. „Du bist eine Notlösung. Aber was konnte ich auf die Schnelle jetzt Besseres erschaffen?“ Dann überlegte ER kurz. „Nun gut, ich will dich Adam nennen. Hast du mich verstanden?“
Das Etwas nickte heftig mit dem Lehmkopf und winkte zum Zeichen des Verstandenhabens mit der Hand. Es blickte sich im schimmernden Nachtlicht um. Ganz offensichtlich begann es, bestimmte Regungen in seinem Kopf und vor allem in seinem Körper wahrzunehmen.

„Was soll ich hier zwischen all den Geschöpfen, die mir unähnlicher nicht sein könnten?“ monierte es dann. „Und was soll ich mit dir, der du mir nur ein alter Mann zu sein scheinst?“
„Hoho“, sprach Gott „du machst mir ja gleich ordentlich Freude! Ich wollte einen Gefährten und Ansprechpartner in dir finden!“ Doch Adam quengelte weiter: „Ich glaube kaum, dass wir viel Freude aneinander haben werden. Ich brauche Gesellschaft, die mir ähnlicher ist als du.“
Gott begann bereits, seine Spontanidee insgeheim zu bereuen. Andererseits, er hatte diesen Adam wohl etwas selbstsüchtig zum Leben erweckt, wenn er ehrlich war. Und Gott ist nun einmal immer ehrlich.
Also atmete er tief durch und sprach: „Nun denn, dann will ich mich bemühen, dir gerecht zu werden.“

Und während die Nacht sich dem siebenten Tag zu nähern begann, versetzte er Adam in Tiefschlaf, entnahm ihm eine Rippe und formte – diesmal mit großer Vorsicht und Bedacht – eine zweite Figur, zarter als die erste, mit ansprechenden Formen und in weiten Teilen ohne besondere äußere Ähnlichkeiten mit sich selbst. Nach der obligatorischen Trockenpustung und bevor sie selbst sich äußern konnte, raunte er ihr zu: „Du sollst Eva heißen und Adams Gefährtin sein. Er wollte das so. Nun musst du zusehen, wie du mit ihm zurecht kommst.“
Da warf Eva ihre langen, blonden Haare zurück, lächelte ihn hinreißend an und flüsterte verschwörerisch: „Lass das nur meine Sorge sein, lieber Gott!“ Flugs stupste sie Adam mit ihrem makellosen, aber dennoch spitzen Ellenbogen in die noch verbliebenen Rippen und rief: „Aufwachen! Jetzt beginnt das Leben!“

Nachdem die Morgensonne bereits mit ihren ersten Strahlen die Nacht zu vertreiben begann, verließ Gott fluchtartig den Raum, den er mit so viel Kreativität und Überlegung neu geschaffen hatte. Er flüchtete sich in den siebenten, arbeitsfreien Tag – seinen Tag! – und beschloss, von nun an zwar Anteil nehmend, jedoch unangreifbar aus der Ferne zu beobachten, wie es weitergehen würde mit seiner Schöpfung.

©hb 7/12 SL 2

Letzte Aktualisierung: 14.07.2012 - 16.57 Uhr
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