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Nachtschicht | Juli 2012

Nackenhaarbotschaften
von Robert Pfeffer

Es war eine dieser verfluchten Nachtschichten, in der die Taxis in Dreierreihe am Flughafen vorwärtskrochen. Ohne Nachtflugverbot kamen Leute auch zu Zeiten an, zu denen sie eigentlich im Bett liegen sollten. Also standen meine Kollegen und ich da und sammelten müde Seelen ein. Wobei ich keineswegs frischer war. Nachts wollte ich zwar nicht mehr fahren, aber die Kasse forderte, wenigstens an den Tagen rund um das Wochenende die Karre vierundzwanzig Stunden laufen zu lassen. Mit einem tiefen Schluck aus einer dieser schmalen Dosen, mit deren Inhalt sich angeblich der uralte Menschheitstraum vom Fliegen erfüllt, endete meine Wartezeit.

Unscheinbar war sie, die Dame, die gegen halb zwei die rechte Hintertür öffnete, nur eine kleine Tasche auf den Rücksitz warf und hinterhersprang. Sie trug ein modisches Kostüm, dunkel. Sofort fiel mir der Schal auf, ein Rot, wie ich es noch nie gesehen hatte. Farbtöne nach Früchten oder Fischen schieden für mich als Mann aus, so suchte ich nach einer anderen Beschreibung, fand jedoch keine. Mein 'Guten Abend' war kaum draußen, da surrte die Zentralverriegelung die Knöpfchen hinunter, ohne dass ich irgendwas gedrückt hatte. Über meine linke Schulter sah ich versonnen auf den versenkten Stift, da meldete sich von hinten die Stimme. Sie war nur vordergründig freundlich, es fehlte ihr nicht an Bestimmtheit. So als lächle ein Bankräuber die Schalter-Angestellte mit größter Verbindlichkeit an. Um eloquent und höflich zu verkünden, dass er sie zu erschießen gedenkt, sollten nicht in kürzester Zeit die Inhalte des Safes in der angereichten Plastiktüte untergebracht sein.
„Zu meinem Schwiegersohn. Und keine Umwege.“
Der rauchige Klang war für eine Frau eine Oktave zu tief und noch dazu von einem Volumen, das zumindest den abgeschlossenen Raum eines Auto-Inneren mit spürbaren Wellen füllte. Die Härchen in meinem Nacken rieten, es sei besser, sich nicht umzudrehen. Gerade versuchte ich, die Situation über den Rückspiegel einzuschätzen, da segelten von hinten zwei Hunderter auf den leeren Vordersitz. Spuren von Rauch stiegen von ihnen auf. Zu heiße Scheine, um sie einzustecken.
„Die sind für Sie, aber nur, wenn Sie artig sind. Und jetzt los!“
Mein Blick hing an der glühenden Kohle, als der Wagen ohne mein Zutun ansprang. Trotz der Aussicht auf der Beifahrerseite der Moment meines ersten, noch zarten Aufbegehrens.
„Wollen Sie nicht auch selbst fahren? So wie ich das sehe, kein Problem für Sie. Bringen Sie das Taxi einfach wieder hierher. Oder rufen Sie mich an, sollten Sie es nicht mehr brauchen, ich hole es ab. Meine Nummer steht hier am Armaturenbrett.“
„Sie fahren!“, sprach die Lady leiser, dennoch eine Spur resoluter ... und meine Nackenhaare meldeten, dass ihnen kalt sei.
Wir verließen das Flughafengelände über die Autobahn, als mir auffiel, dass ich unser Fahrtziel gar nicht kannte.
„Wo wohnt denn eigentlich der liebe Schwiegersohn?“
„Wer hat Ihnen gesagt, er sei lieb? Und wer weiß schon immer, wo er hin will?“, wellte es aus dem Fond nach vorne.
„Hören Sie, es geht nicht darum, meinem Leben eine Richtung zu geben, sondern dem Taxi.“ Das war der Moment des zweiten Aufbegehrens. „Mag komisch für Sie klingen, aber ich hab wenig Lust, einfach in die Nacht zu fahren. Und wenn ich es mal so formulieren darf: Die Scheinchen neben mir sind ja recht reizvoll, trotzdem bin ich mir keineswegs sicher, ob diese Tour hier als wirtschaftlicher Erfolg für mich endet.“
Entweder dachte die Dame über meine vielleicht ungewöhnliche Wortwahl nach, oder es war mir tatsächlich gelungen, sie ins Grübeln zu bringen. Keine meine Vermutungen traf zu.
„Es wird Ihr Schaden nicht sein, doch das liegt ganz bei Ihnen. Folgen Sie Ihren Impulsen, dann sind wir auf dem richtigen Weg“, riet die Stimme. Meine Nackenhaare rollten sich ein, obwohl es ihnen dazu an Länge fehlte.

Die nächsten zehn Minuten verstrichen wortlos. Immer wieder wechselte mein Blick von der Straße zum Innenspiegel und zurück. Rund einen Meter hinter mir vollzog sich eine Metamorphose. Der Schal, dessen Rot ich mittlerweile zwischen der Asche eines Tennisplatzes und einem Würstchenfeuer einsortierte, war vom Hals der Dame auf ihren Kopf gewandert. Die zuvor kurzen dunklen Haare verwandelten sich und das einstmals wärmende Kleidungsstück wurde zu einer Mähne. Die modische Lady war um mindestens vierzig Jahre gealtert, die Haut wirkte plötzlich ledrig und von Furchen übersät. Ihre Veränderungen schienen Kraft zu kosten, sie atmete schwer. Durch einen zu hoch eingestellten Scheinwerfer aus dem Gegenverkehr sah ich Rauch im Fond und es roch auch danach. Das war der Moment meines dritten Aufbegehrens.
„Hören Sie, dass wir zu jemand fahren, von dem weder Sie noch ich wissen, wo er wohnt, stört mich nicht, solang wir genügend Sprit im Tank haben. Aber geraucht wird nicht, egal, wie langweilig Ihnen ist.“
Was dann hinter mir brodelte, sah aus wie der Qualm einer ganzen Packung Zigaretten, die auf einmal abbrennt. Nur mit dem Unterschied, dass er aus der Lady aufstieg, ihr aus Nase, Mund und Ohren schwelte. Die rote Mähne plusterte sich auf, als sei ihr der Blitz in jede Haarwurzel gefahren. Kleidung trug sie nicht mehr, wo die geblieben war, konnte ich durch die Schwaden nicht erkennen. Ein Fell überzog sie, gemasert und von denselben Riefen gezeichnet, die ihr Gesicht zierten.
Mein Fahrgast öffnete das Maul, schnalzte mit einer dornenbesetzten Zunge, wie eine Echse ließ sie sie hervorschnellen, die einen Käfer im Visier hat. Ich lag mental auf dem Rücken und strampelte. Meine Nackenhaare teilten mir mit, dass sie den Funkverkehr einstellen und in Kürze ausfallen.
„Wir sind da! Anhalten!“, dröhnte es gleichermaßen aus dem Schlund und den Lautsprechern meines Autos. Das Inferno auf dem Rücksitz schlug um in einen grünlichen Nebel, Blitze zuckten und ich überlegte, wie das wohl vom Gehweg aussieht, was gerade geschieht. Es stank dermaßen nach Schwefel, ein Misthaufen-Duft wäre Parfüm dagegen gewesen.
„Was zur Hölle geht hier eigentlich vor? Und wer zum Teufel sind Sie?“

Die Fensterheber taten ihren Dienst, Luft strömte herein und der Rauch lichtete sich. Die Knöpfchen der Zentralverriegelung schnellten nach oben. Auf dem Rücksitz meines Taxis saß eine diabolisch blickende Neandertalerin mit Resten von Lippenstift und sortierte ihren wirren Schopf.
„So wird es gehen“, brummte sie in einer Tonhöhe, die Membranen von Boxen einer Hifi-Anlage zum Springen bewegt. „Er hat nicht bemerkt, dass wir vorgefahren sind. Hervorragende Arbeit!“
„Wer hat nichts bemerkt?“
Als sie den Wagen verließ, wurde sie unsichtbar, nur der Gestank hielt sich hartnäckig in der Luft. Jeder der beiden Hunderter war wie eine historische Urkunde an den Kanten eingerollt und hatte einen dezent schwarzbraunen Rand.

Kurz darauf klopfte Kollege Mario an die Fahrerscheibe.
„Machst du Pause? Warum stehst du nicht vorne am Stand?“
Er hielt inne, sah auf den Beifahrersitz und musterte mich.
„Alles ok mit dir? Du siehst aus, als hättest du die Schwiegermutter des Teufels gefahren!“
Mein Blick fiel auf die schmale Dose. Sie war noch halb voll. Meine Nackenhaare machten den Vorschlag, künftig auf das Zeug zu verzichten. Nachtschicht hin oder her. Ich reichte die Büchse durch das Fenster raus.
„Bin schon ok. Hier, für dich, wenn du auf so was abfährst. Ich hab vorerst genug davon.“
Ich steckte die Scheine ein. Sie knisterten interessant. War da ein Rest von Wärme?

Version 3

Letzte Aktualisierung: 24.07.2012 - 17.28 Uhr
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