Ich war kaum ein Mann geworden, als mich das Schicksal traf, und so schrie es in mir und es brodelte und wütete, dass ich vor Angst und Schreck, vor Rage und Erschöpfung gleichermaßen zitterte. Gab es einen Gott, und mit welchem Gewissen schlief er, jetzt, wo er mich zum Mörder gemacht hatte? Die Verzweiflung, die an dem verhängnisvollen Tag unschuldig mit süßer Wehmut anfing und am Abend mir in Schmerz und Schuld und Ausweglosigkeit die Kehle zuschnürte, dass es unvorstellbar schien, sie könnte mit dem Tode enden - ja, mit den Jahren verliert sie sich in der Abstumpfung. Und dann, ganz leise und von der Welt entrückt, stiehlt sich ein unwirklicher Friede in die Seele, und ihm folgen die Bilder aus der Jugend, die hoffnungsvollen Pläne jener Zeit, und die silberhellen, leisen Echos früher Liebeleien. Ein Wink mit den Augen, eine Aufforderung mit dem Fächer, ein geschicktes Füßchen unter dem Tisch: alle Episoden verdichten sich zu einer einzigen kleinen Geschichte, und diese Geschichte spendet Trost, bis mit dem Sterben die Verzweiflung ihren festen kalten Würgegriff zum letzten Mal ansetzen wird. So habe ich es bei Gennadij und bei Wladimir beobachtet, und so holte der Tod gestern Pjotr. Ich will aufschreiben, was mir widerfuhr, bevor meine Erinnerung auch die letzten Schleusen passiert hat und zum Rinnsal aus Mythen wird.
Über meine ganze Kindheit hinweg arbeitete mein Vater daran, mir sein Prinzip - jeder Soldat trägt den Marschallstab im Tornister und jeder Untertan das Ministersiegel in der Rocktasche - in meine Seele einzuschmieden wie einen elastischen Kern in eine gute Klinge. Als ich mit den anderen Kindern meines Standes in einer Mini-Uniform in die Kadettenakademie einrückte, galt das Führungsprinzip meines Vaters allerdings nichts. Nach meiner militärischen Erziehung sollte ich Frankreich kennenlernen und schrieb mich an der Sorbonne ein. Mein Drang zum weiblichen Geschlecht half mir sehr. Bald konnte ich nicht nur französisch sprechen wie die Franzosen sondern auch in allen europäischen und einigen orientalischen Zungen gewisse Anweisungen, anatomische Benennungen und Beleidigungen vortragen. Nach meinem Examen holte er mich aus Paris ab, hielt auf der Heimreise mehrere Fassungen seiner berühmten Predigt von den Offizieren, die aus der Mannschaft herangezogen werden müssten, und ordnete an, dass ich für Onkelchen Paschas Moskauer Kontor als Kurierbursche arbeiten sollte.
Der Mann stellte sich als Geheimpolizist vor. Ich hätte einen Verschwörer gegen den Zaren getötet, sagte er, aber es wäre wohl anzunehmen, dass auch ich keine Treue kennte. Mit einem Griff in meine Rocktasche förderte er die Papiere zutage und triumphierte. Ein Händel unter politischen Verbrechern, das hätte er sich schon gedacht, und ob ich einzuziehenden Besitz lieber gleich zu Protokoll geben wollte, in Sibirien sei er mir eh verboten. Als mir der Prozess gemacht wurde, war mein Vater schon aus Moskau abgereist. Seitdem lebe ich in der Verbannung, mit einem Ring im Socken.
Letzte Aktualisierung: 22.09.2012 - 21.07 Uhr Dieser Text enthält 9793 Zeichen.