Mainhattan Moments
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Sehnsucht | September 2012
Freiheit in Ewigkeit
von Christina Mayrhofer

Frei sein bedeutet nicht, tun zu können was man will.
Frei sein bedeutet unbeschwert lachen zu können.


„Ich bin unschuldig! Bitte, glauben Sie mir!“
„Sie behaupten also, Ihre Frau und Ihre beiden Kinder nicht getötet zu haben?“
„Wenn ich es doch sage: ich habe sie geliebt!“

Tom sah elend aus. Sein bleiches Gesicht wirkte wie das eines Toten und seine dunklen Augen schienen nicht richtig zu sehen. Sebastian setzte sich ihm gegenüber.
„Hallo, Tom.“
Sein älterer Bruder nickte bloß. Obwohl Tom erst vor zwei Wochen seine Haft angetreten hatte, kam es Sebastian wie eine Ewigkeit vor.
„Wie geht es dir?“, fragte Sebastian behutsam.
„Das siehst du doch!“
Sebastian seufzte und lehnte sich zurück. Es fiel ihm schwer, seinem Bruder in die Augen zu blicken.
„Weshalb siehst du mich nicht an? Du glaubst auch, dass ich es war, stimmt’s?“
Sebastian riss den Kopf hoch. „Nein!“
„Lüg mich nicht an.“ Obwohl Tom es ruhig sagte, zuckte Sebastian zusammen. „Ich habe sie geliebt!“
Sebastian schluckte. Ihm war plötzlich ganz heiß. „Ich weiß, Tom … ich weiß.“

Tom saß starr auf seinem Bett. Wenn er sich in der Zelle befand, bewegte er sich nie. Ab und zu schaute er aus dem Fenster, guckte aber dann gleich wieder woanders hin. Er ertrug es nicht, den blauen Himmel zu sehen.
Der einzige Trost daran war, dass seine Familie an einem besseren Ort war, als er. Da oben, in der ewigen, blauen Freiheit. Am liebsten wäre er durch die Gitter geflogen, zu ihnen hinauf. Schwebend … glücklich …

„Du musst mir helfen, Sebastian! Ich kann einfach nicht mehr!“
„Wie stellst du dir das vor? Sie könnten mich erwischen!“, antwortete Sebastian kopfschüttelnd.
„Na gut, vielleicht hast du Recht. Dann muss ich das eben alleine hinkriegen“, meinte Tom.
„Bitte, tu das nicht!“
„Das musst du verstehen. Die glauben, ich war das! Ich will hier raus!“

Telefonschellen.
„Ja?“, hob Sebastian verschlafen ab.
„Sebastian“, erklang die Stimme seiner Schwester Isa.
„Was ist? Es ist halb Sechs Uhr morgens!“, murrte Sebastian.
„Tom ist tot! Er hat sich die Pulsadern aufgeschnitten!“

Sebastian las zum x-ten Mal die letzten Worte, die sein Bruder auf einen Zettel geschrieben hatte.
Freiheit in Ewigkeit.
Er konnte es noch immer nicht glauben, dass Tom es wirklich getan hatte. Nie hätte er gedacht, dass sein Bruder tatsächlich seine Familie und die Freiheit so vermisste. Dass er dafür sogar den Tod in Kauf nahm …
Sebastian hatte sie auch geliebt. Toms Ehefrau, Nathalie. Lange Zeit glaubte er sogar, dies mehr zu tun, als Tom selbst. Eifersucht hatte ihn geplagt und als er Nathalie endlich seine Liebe gestand … wies sie ihn ab. Doch genug der düsteren Gedanken! So durfte es nicht weitergehen!

Die Türklingel.
„Verflucht!“ Sebastian sah von seiner Reisetasche auf, um dem unwillkommenen Besuch zu öffnen. Es war seine Schwester.
„Isa, was willst du?“
„Dir auch einen guten Tag, Sebastian“, sagte sie sarkastisch und drängelte sich an ihm vorbei, in die Wohnung.
„Ich habe keine Zeit für dich!“, stellte er sofort klar.
„Wieso? Bist du nach einem Jahr zu dem Entschluss gekommen, wieder einmal zu putzen?“, spottete seine Schwester, während sie sich umsah.
„Nein! Ich bin gerade am Packen!“
Überraschung trat in Isas Gesicht. „Tatsächlich? Wohin willst du verreisen?“
„Das geht dich nichts an!“
„Ausgerechnet jetzt? Toms Beerdigung ist in drei Tagen“, sagte Isa verständnislos.
„Ich will nicht dabei sein.“
„Warum nicht?“
„Weil ich das nicht aushalten würde. Außerdem war ich kein guter Bruder, für Tom“, sagte Sebastian.
„Nicht nur für Tom“, sagte Isa neckisch und gab Sebastian einen Klaps auf die Schulter.
Sebastian verdrehte genervt die Augen.
„Spaß beiseite! Abzuhauen bringt jetzt auch nichts! Los, komm mit mir nach Hause und trinken wir einen Kaffee!“
Isa wollte ihn mit sich ziehen, doch Sebastian riss seinen Arm los. „Lass mich in Ruhe! Ich habe meine eigene Art, um mit Trauerfällen fertig zu werden! Kaffee hat mir da noch nie geholfen!“
„Schon gut! Brüll doch nicht gleich so rum!“, sagte Isa beleidigt.
„Ich werde noch heute verreisen und nichts kann mich umstimmen! Jetzt geh, damit ich meine Ruhe habe!“
Er schubste Isa mit sanfter Gewalt hinaus.
„Eines sage ich dir, Sebastian“, sagte sie erzürnt, bevor er die Tür schließen konnte, „die Vergangenheit holt dich so oder so ein. Egal ob du hier bist oder am anderen Ende der Welt!“

Die Tasche war voll gepackt. Es war mittlerweile spät geworden. Sebastians Augen brannten. Das Ticken der Uhr kam ihm so laut vor, wie ein startendes Flugzeug. Seinen eigenen Flug hatte er nicht angetreten. Isas Behauptung stimmte. Die Vergangenheit würde ihn stets einholen, egal wo er war. Seine Gedanken wären nie frei, wenn er jetzt davonlief.
Sebastian stöhnte. Dann erhob er sich, nahm seine Schlüssel und machte sich auf den Weg zur Polizei. Es war an der Zeit ein Geständnis abzulegen.

Letzte Aktualisierung: 13.09.2012 - 13.39 Uhr
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