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Sehnsucht | September 2012

Worte wie Zuckerwatte
von Angelika Gerber

Den Porsche lassen wir mitten auf dem Waldweg stehen. Noch sind die Sitze warm, das Kondenswasser rinnt im Innenraum an den Scheiben herunter. Ein Beweis, dass dort vor kurzem jemand geatmet, gesprochen, gesessen hat.

„Es ist so verdammt dunkel hier.“
„Das hat die Nacht eben an sich.“
„Ja, schon, aber ich sehe nichts. Gar nichts, nicht einmal die eigene Hand vor meinen Augen.“
„Du hast beide Hände auf meinem Po.“
„Oh.“
„Lass sie dort, sie halten ihn warm.“
„Sie haben sich einfach verirrt, du weißt schon, weil es so finster ist.“
„Sagtest du bereits!“
„Macht dir die Dunkelheit denn nichts aus? Hast du keine Angst, es könnte uns jemand auflauern?“
„Nein, ich mag es, wenn es dunkel ist. Man sieht den Dreck nicht mehr, nur die Sterne, den Mond, Silhouetten, weiche Linien. Die Dunkelheit macht vieles schöner. Du passt doch auf mich auf, oder?“
„Ich versuche es. Mir gefällt es besser, wenn die Sonne alles zum Leuchten bringt, die Farben sind intensiver. Man sieht jede Gefahr.“
„Vor was sollten wir beide schon Angst haben?“
„Du weißt genau, dass es vorbei ist, wenn sie uns erwischen.“
„Weiß ich eben nicht. Ich glaube, es ist alles möglich, wenn man will.“
„Willst du?“

Sie schweigt. Ich kann ihre Antwort erahnen, aber es genügt mir nicht.
„Sag es, ich möchte es von dir hören.“
Das Streichholz, das ich entzünde, bringt zischend Licht ins Dunkel.
Ein Lächeln umspielt ihren Mund, ihre eisbergblauen Augen blitzen mich an. Ihr Blick lässt mich schwindeln, als stände ich auf einer Klippe über dem Eismeer.
Schon lange ist es keine Kopfsache mehr, sie hält mein Herz in ihrer Hand, die viel zu zerbrechlich ist für solch ein Gewicht. Das Licht erlischt, zurück bleibt nur eine Spur Schwefel in der Luft und die Antwort auf meine Frage.
„Du willst,“ seufze ich.
„Hmm.“
„Ich kann dir nicht mehr geben als das hier.“
„Weiß ich“, ihre Stimme klingt brüchig.
„Es ist besser als nichts“, sage ich.
„Ja, sicher viel besser,“ antwortet sie mit einer Traurigkeit, die mir einen Stich versetzt.
„Gehen wir ein Stück. Irgendwohin, wo mehr Licht ist, ich will dich sehen“, flüstere ich und suche nach ihrer Hand.
„Nein, lass uns hier bleiben. Du kannst mich spüren. Besser als nichts.“ Ihr Lachen klingt geweint. Sie drückt sich an mich. Mir wird augenblicklich heiss, ihr Körper fühlt sich so verdammt gut an.
Dieses Begehren macht mich wahnsinnig. Sie will nur mich, nie zuvor kannte ich das Gefühl so geliebt zu werden. Es ist wie eine Sucht. Ich will mehr davon. Mehr von ihr.

Meine Hände finden ihre, umschließen sie, ziehen sie sanft aber bestimmt mit sich.
Die Lichter der Stadt weisen uns den Weg aus dem Wald. Ich atme auf. Hier ist mir wohler. Sie zögert im letzten Schatten des Waldrandes: „Bist du sicher? Hier kann man uns viel leichter entdecken. Man weiß ja nie, wer vorbeikommt.“
„Mag sein, aber es ist auch leichter zu sehen, was in dir vorgeht,“ bestimme ich und ziehe sie mit mir.
„Das ist nicht wichtig“, flüstert sie.
„Doch mir ist es wichtig!“
Sie entwindet sich meinem Griff, rennt aus dem Schatten ins Licht:
„Und was geht in mir vor?“
„Ganz klar. Du verzehrst dich nach mir, die Entfernung zwischen uns ist viel zu groß, du merkst gerade, dass du einen Fehler gemacht hast. Komm zuurüüüüück“, rufe ich inbrünstig und imitiere gekonnt Rose in Titanic, die sich nach ihrem Jack verzehrt.
Ihr Lachen schallt zu mir herüber. Es klingt herrlich.
Sie balanciert über einen Baumstamm, leichtfüßig wie eine Ballerina, ihr Rock wippt hin und her. Am Ende des Stammes springt sie grazil herunter, rennt zu mir, wirft sich in meine Arme:
„Du siehst wirklich so aus, als wolltest du die Flucht ergreifen vor mir. Tu es nicht! Lass uns die Nacht zum Tag machen, irgendwo tanzen gehen, wo dich keiner kennt. Den Moment genießen. Lass einfach für eine Nacht alles los.“
Ich schüttle ungeduldig den Kopf, immer wieder diese kindischen Ideen. Es steht zu viel auf dem Spiel, wann begreift sie es endlich?
Sie stampft mit dem Fuß auf, als sie meine Antwort erkennt. Kickt gegen eine Wurzel, tut sich weh, wehrt sich gegen den Schrei.
„Das Thema ist durch. Du kennst die Regeln“, rufe ich.
„Ich mag Regeln nicht.“
„Weiß ich, du erwähnst es jedes Mal.“
„Heute zum letzten Mal“, sagt sie und schaut mir direkt in die Augen.
„Wie meinst du das?“ Ich halte die Luft an, suche in ihrer Mimik nach Anzeichen für einen Scherz. Finde keine. Ihre Augen füllen sich mit Tränen: „Ich kann so nicht mehr weitermachen.“

Als wir uns in den Porsche setzen, ist der Sitz eiskalt wie die Stimmung zwischen uns. Keine Worte, nur Gedanken, die hin und her wirbeln. Wozu auch? Es wurde schon zu viel gesagt.
Mein Herz schmerzt mit solcher Macht, dass es kaum auszuhalten ist. Ich versuche es auszuschalten. Ohne Erfolg.
***
Als ich nach Hause komme, sehe ich schon von Weitem das Licht in unserem Schlafzimmer.
Er ist noch wach. Mist. Ob er etwas ahnt? Hier mag ich das Licht nicht, das Lügen widert mich an.
Mit der Lesebrille auf der Nase sitzt er kerzengerade mitten auf dem Bett, klappt das Laptop geräuschvoll zu und sieht mich erwartungsvoll an. Nur an der gerunzelten Stirn sehe ich seine Anspannung, seine Stimme klingt ruhig: “Da bist du ja! Und, wie war die Sitzung? Habt ihr eine Lösung gefunden?“
Während ich mein Kleid ausziehe, schüttle ich energisch den Kopf: “Nein, nicht wirklich. Es scheint so, als müssten wir noch ein Meeting ausmachen. Keiner will nachgeben.“
„Und ihr habt solange gebraucht, um das herauszufinden? Dauernd musst du dir die Nächte um die Ohren schlagen, es wird Zeit, dass es ein Ende hat. Du weißt, wie unruhig die Kinder im Moment schlafen. Ich habe auch eine Arbeit, selbst wenn sie dir unwichtig erscheint. Man muss nicht in der Politik sein, um zu erkennen, dass es so nicht weiter geht, meine Liebe.“
Ich stimme ihm zu.
***
Mir gehen seine Worte nicht mehr aus dem Sinn: “Es wird Zeit, dass es ein Ende hat.“ Ja, verdammt nochmal, er hat Recht. Nur welches Ende? Es kann mich meine Karriere kosten, wenn ich so weiter mache. Es gibt so viel zu verlieren. Nie wollte ich, dass mir so was passiert. Verdammt nochmal, ich bin ein Kopfmensch. Jetzt muss ich stark sein, es gibt Wichtigeres als meine Gefühle. Es geht hier um meine Arbeit, meine Familie, um alles was ich bisher erreicht habe. Das werde ich nicht aufgeben. Für nichts und niemand.

***

„Und wie dunkel findest du es heute?“, frage ich mit einer Stimme, die mir fremd erscheint.
„Ziemlich dunkel“, antwortet sie.
„Aber ist es nicht so dunkel, wie es dunkel war, als es das letzte Mal hier dunkel war?“
„Nein, ich glaube, es ist heute heller, nicht so dunkel, wie es dunkel war, als wir das letzte Mal hier waren.“ Sie klingt genauso komisch.
„Hast du die Entscheidung dabei?“, sie ergreift meine Hand und drückt sie so fest, dass es weh tut.
„Ja, ich habe sie getroffen.“
„Kann ich sie noch ändern?“, fragt sie vorsichtig.
„Nein.“
Sie atmet tief ein, meine Hand auf ihrem Herz spürt, wie es viel zu schnell pocht.
Ich bin mir sicher, meines ist schneller.

In meinem Kopf waren die Worte noch leicht wie Zuckerwatte, jetzt, ausgesprochen, hängen sie zwischen uns in der Luft wie Blei. Die Angst vor meinem Entschluss greift mit ihren Klauen nach mir. Mir ist kalt.
Gewohnt stürmisch zieht sie mich in ihre Arme, mit einem einzigen Kuss lösen sich die Klauen von meiner Brust. Eng aneinandergepresst beginnt unsere Zukunft. Keine Worte, nur Gedanken, die hin- und herwirbeln. Im Einklang.
Ich bin froh, dass es dunkel ist.


Version 3 © Angelika Gerber

Letzte Aktualisierung: 27.09.2012 - 06.56 Uhr
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