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Sehnsucht | September 2012

Fortsetzung folgt – Hommage à GRRM
von Helga Rougui

Eine Stunde nach Mitternacht.
Gut, daß sie sicher in ihrem Bett liegt.
Sicher?
Nachdem Jon erstochen wurde, wie kann man sich da jemals wieder sicher fühlen?
Und – wurde er wirklich, endgültig erstochen? Man kann nie sicher sein.

Es ist vorläufig zu Ende.
Es fühlt sich an, als baumelten Fäden lose im Raum, abgerissen.
So viele offene Fragen. Was wird aus den Spielern?
Sie wälzt sich unruhig hin und her, kann nicht glauben, daß es vorbei ist.
Vorläufig.
Keiner kann wissen, wie lang die Pause dauern wird.

Sie versucht zu rekapitulieren, was angesichts der Fülle der Figuren nicht ganz einfach ist: einige sind unwiderruflich tot.
Andere schweben zwischen den Welten, zwischen den Körpern, von wieder anderen glaubt man, daß sie tot sind, doch es könnte sein, daß es sich um eine falsche Fährte handelt, die mit Bedacht einzig zum Zweck der Verwirrung gelegt wurde.
Wer wird übrigbleiben, wer wird das Rennen machen, wer wird den Sieg erringen?

Keine Antworten zu diesem Zeitpunkt.

Vier Monate lang, ohne Ablenkung, ohne Anderes, ohne Atem.
Sie fand sich fast von Anfang an hinein. Sie legte wallende Kleider an, auch Kettenhemden und Helme bei Bedarf, hinter denen sie ihre violetten Augen verbarg. Morgens, wenn sie das Haus verließ, gürtete sie ihr Schwert und ritt auf ihrem Schlachtroß davon, zu Tjost und Kampf. Wenn sie ihr Smartphone benutzte, schickte sie Raben, dunkle Schwingen, dunkle Worte, und sie briet Wachteln in Honig und kochte Berge von Rüben und übergoß sie mit Butter.
Eine perfekte steinerne Welt entstand: Burgen wurden besetzt, Dörfer verbrannt und Städte jenseits der Meere erobert, Wüsten wurden durchquert und Stürme auf den wütenden Wellen bezwungen.
Häfen, Seeleute, Schiffe, Priester, Huren, Heiler. Wölfe.
Gemetzel, Wunden, Blut und Tod.
Und Macht und Gier und Schwäche.
Wut, Verrat.
Und Liebe, furchteinflößend.
Sie durchquerte sonnendurchglühte Landstriche und schneeverwehte Wälder, begegnete denen, die nicht mehr lebten und denen, die zu überleben versuchten.
Die Würfel fielen, die Verlierer verloren und die Sieger trugen den Sieg davon.

Aber das Ende ist noch nicht erreicht.

Und nun kann sie nichts anderes tun als warten.
Und für die gute Gesundheit des Meisters beten, der hoffentlich just in diesem Moment seinen Federkiel schwingt, um sein Werk der Vollendung zuzuführen.

Schatten nisten in den Ecken des Schlafgemachs, Welten verschwimmen, verfließen, wer weiß schon, was wirklich ist und was in Träume verflochten.
Nichts ist sicher. Niemand ist sicher. Die Bilder tanzen im Kopf.

Sie stützt sich auf einen Ellbogen, verlangt nach einem Becher Gewürzwein, die Dienerin legt einige Holzscheite nach, das Kaminfeuer flackert hell, sie legt sich unter den Fellen zurecht, die ihre Schlafstatt bedecken, und bevor sie endlich ruhiger wird, denkt sie an all die, die sie begleitet hat ohne Unterbrechung vier Monate lang – manche gingen, neue kamen, und jetzt die losen Fäden, die wollen, daß man sie verknüpfe - Jon an der Mauer, Bran in den Bäumen, Cersei auf der Burg, Varys mit dem Dolch, Theon im Lager, Jaime mit Brienne, Viktarion auf See, Tyrion bei den Söldnern, Danaerys und die Drachen .... und der Greif ...

... all die, die da draußen sind und die mit ihr warten, was mit ihnen geschehen möge.

Letzte Aktualisierung: 22.09.2012 - 00.43 Uhr
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