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Jagd | Oktober 2012

Vier auf einen Streich
von Reiner Pörschke

Kunden haben die unangenehme Angewohnheit zu meckern. Zumindest tun sie dies bei mir telefonisch im Callcenter, in dem ich arbeite. Sind sie zufrieden, hüllen sie sich in schweigsame Glückseligkeit, von der ich leider nichts mitbekomme.

Es ist Freitag.
Noch vier Stunden und ein paar Minuten trennen mich vom Wochenende.
Ich halte den Hörer auf Abstand. Sollen sie sich doch die Seele aus dem Leib brüllen!
Ich denke an heute Abend. Meine Gedanken wandern zum Kühlschrank im Büro, wo die Joghurtbecher, Butterdosen und Käsereste meiner Kollegen aufgereiht sind. Heute habe ich mein Paket dazwischengequetscht.

„Natürlich haben Sie recht. Wir werden Ihrer Beschwerde sofort nachgehen. Sie hören bald wieder von uns.“
In so viel Gummi bleibt jedes Messer stecken. Drei Lügen gegen eine halbe Stunde Geifer und Gebelle.
Noch zweieinhalb Stunden ...

18.00 Uhr.
Das ist meine Startzeit. Schon fast hektisch fahre ich den Computer herunter, werfe einen letzten Blick auf das Telefon und verabschiede mich von meiner Kollegin.
Endlich Wochenende, nichts hält mich noch auf.

Ich schnappe mir das Paket aus dem Kühlschrank, spurte zu meinem Opel und reihe mich nahtlos in den Feierabendverkehr ein, der leider nur stockend vorankommt. Aber nichts kann mir jetzt die gute Laune verderben. In ziemlich genau 25 Minuten werde ich die Haustürschwelle überschreiten mit meinem kostbaren Paket unter dem Arm, das ich in der Mittagspause in der „Delikatessa“ erstanden habe.

Wohnung und Küche sind leer. Gott sei Dank! An diesen kostbaren Freitagabenden brauche ich weder Helfer noch Zuschauer. Ich schütte mir ein Gläschen Cognac ein und stelle RTL Radio mit den „besten Hits aller Zeeiiten“ auf volle Lautstärke.
Abba plärrt los:
“So when you're near me, darling can't you hear me, SOS, düdüdüdü.
The love you gave me, nothing else can save me, SOS, düdüdüdü ...”
Düdüdüdü, das ist gut! Loslassen, mich fallen lassen. Ich schicke die Erinnerung an lästige Kunden endgültig ins Nirwana des Vergessens.
Jetzt mach’ ich nur noch, was ich will, nämlich Rouladen.

Sorgfältig wickle ich aus dem Papier drei blutige Fleischlappen heraus, tupfe sie mit Krepppapier ab. Mit Löwensenf, Cayennepfeffer und etwas Salz übertünche ich die rote Farbe. Ich bin Ästhet und der Meinung, dass Fleisch zwar gut schmecken, sich aber nicht unbedingt als Teil eines Tieres outen muss. Ich lege dünne Scheiben Schinken und Käse darüber, wickle alles um kleine Gurkenstückchen. Rot, grün, weißes Salz. Das sind doch die Farben Italiens! Angenehme Wellen von Erinnerungen an Strand, Meer und Wärme breiten sich in mir aus. Mit großer Befriedigung stelle ich zudem fest, dass ich die Rouladen wieder perfekt hinbekommen habe. Sie liegen jetzt wie Drillinge auf dem Küchentisch, wo sie ergeben auf die große Bratpfanne warten. Da habe ich mir den nächsten kleinen Cognac mehr als verdient.

Während das Olivenöl in der Pfanne heiß wird und ich die Rouladen unter Zischen und Knallen anbrate, sehe ich einen schwarzen Punkt an der weißen Küchenwand. Ich starre noch konzentriert hin, als sich der Punkt auf einmal bewegt. Das ist doch wohl nicht wieder eine ...
Doch! Die Scheißfliege zeigt keinerlei Respekt, achtet den Feierabend hier in meiner Küche nicht, schwirrt auf mich zu und um meinen Kopf herum, im Zickzack, als hätte sie auch bereits an meinem Cognac genippt.

Der Lappen von der Spüle ist mir am nächsten. Er ist um vieles größer als dieses kleine Vieh.
Wäre doch gelacht, wenn ich es damit nicht erschlagen könnte.
Katzen haben bekanntlich sieben Leben, wie viele hat eine Fliege?
Denn irgendwie hat sie meinen Angriff überlebt, aber bin ich ein Waschlappen?
Ich brauche nur die richtige Waffe, um dieses Tier zur Strecke zu bringen.

Was könnte besser dazu taugen als das breite Messer, mit dem ich gerade meine Rouladen bestrichen habe. Schon in der Steinzeit ging der Mann doch mit einem Messer auf die Jagd, oder war es nur ein Faustkeil? Egal! Dass an meinem Messer noch etwas Löwensenf klebt, kann die tödliche Wirkung für das Insekt jedenfalls nur erhöhen. Ich schlage zu ...
Mist, nun hat die weiße Wand gelbe Flecke, und dieser Dreikäsehoch putzt sich vor mir genüsslich seine Flügel auf dem Küchentisch, nur wenige Zentimeter von meinen Rouladen entfernt. Mir ist so, als schaue er mich mit seinen Glubschaugen sogar noch höhnisch an.

So geht das nicht weiter! Hier hilft nur Gift, ein Insektenspray. Ich eile in den Keller. Warum bin ich nicht eher darauf gekommen?
Aber auch der Feind hat Verstärkung geholt. Als ich mit dem Spray bewaffnet wieder in die Küche komme, tummeln sich dort bereits vier Fliegen. Nun gilt es strategisch zu denken. Versprühe ich das Gift in alle vier Ecken oder warte ich, bis sich die Biester an einer Stelle versammeln? Ich denke nach und warte ab. Ein weiterer Schluck Cognac gibt mir die nötige Geduld des Jägers. Okay, ich sollte die Pfanne herunterschalten. Das Fett ist schon fast schwarz und die Rouladen haben eine gefährlich dunkelbraune Farbe angenommen.

Die Viecher stört das am wenigsten, sie sind ganz gierig auf eine Roulade. Drei sitzen schon lauernd in der Nähe der Pfanne, die vierte wird bald dazukommen. Darauf wette ich ...
Bingo, der Feind hat sich versammelt, mein Angriff kann starten. Ich hülle die vier in einen Giftnebel, drücke ordentlich auf das Ventil der Spraydose. Leider fallen sie nicht sofort tot um, sondern fristen irgendwo auf dem Boden ihre kärglichen letzten Minütchen. Ein Hustenanfall hält mich davon ab, den Fluchtweg meiner Quälgeister genauer zu verfolgen.

Da öffnet sich die Haustüre und ein Schwall Frischluft bringt meinen Bronchien Erleichterung. Hinter dem Nebel erkenne ich meine bessere Hälfte.
„Mein Schatz, was machst du da? Oh, es riecht nach leckeren Rouladen. Mmmhhhh, klasse!“

Das hätte ich gern gehört, zumal nach diesem harten Kampf.
Das war es aber leider nicht, sondern:
„Bist du verrückt, mit diesem Gift in der Küche herumzufuhrwerken?! Und das verbrannte Zeug kannst du in den Müll werfen. Ich esse jedenfalls keinen Bissen davon.“

„Sieben auf einen Streich!“, wie hat das tapfere Schneiderlein das nur geschafft?

Das muss wahrhaft ein Märchen sein.

Letzte Aktualisierung: 05.10.2012 - 14.43 Uhr
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