Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Stadtleben | November 2012
‘n alten Baum soll man nicht verpflanzen
von Anne Zeisig

“Im Dorf kannst net bleibn, Mama. Da bist ohne an g`scheit`s Geschäft, ohne Doktor und hast keine Pflegehilfe net.”
Da habe ich das Madl in England Jura studieren lassen, und sie redet immer noch wie eine Bäuerin daher.
“Da kauf i a nette Seniorenwohnung in der Ruhr-Stadt und da hast alles, was du in deinem Alter brauchen tätst.”
Offenbar verdient sie mit der Rechtsverdreherei der Gummiparagraphen recht gut.
“Versteht denn der Richter immer, was du sagst?”, habe ich sie mal gefragt.
“Was für a Frag’n. Schriftdeutsch kann i, Englisch und Französisch, Mama, hast dös vergess’n?”
Ich schüttele den Kopf.
“I mag mein Dialekt, Mama, damit bin i’ aufg’wachsen.”
Ich wischte mir unauffällig über meine feuchten Augen.

Also habe ich mich vom alten Sepp und dem Herrn Pfarrer verabschiedet und bin ins Ruhrgebiet gezogen, weil es dort viele Seniorenresidenzen gibt, sagte meine Marie.
“So günstig, Mama, dös hast hier herobn in Bayern nicht. Und du bist unter Deinesgleichen, weils da eh alle überaltert sind.” Außerdem meinte meine Tochter, diese Altenwohnung sei eine gute Investition in die Zukunft, das täte sich für sie auch steuerlich rechnen.
“Aber Mama! Des is keine Altenwohnung nit! Des ist a Seniorenappartement in a Residenz!”

Zu meiner kleinen Wohnung in der sechsten Etage bringt mich ein Aufzug, welcher mich fast bis aufs Klo befördert, und die Dusche ist auch barrierefrei. Die Zimmertüren sind extrem breit. Wenn ich in den nächsten Jahren zwanzig Kilo oder mehr zunehmen sollte, da passe ich immer noch durch. Allerdings ist eine Gewichtszunahme bei der gesunden Verpflegung nicht denkbar. Viel Rohkost mit Roggensemmeln, welche sie hier Brötchen nennen, aber keine Semmelknödel mit Schweinshaxe und dunkler Soße. Wenn es einen Sonntagsbraten gibt, dann mit Kartoffeln als Beilage und wässrigem Bratenfond.
Im Speisesaal bindet uns ein Senior-Roboter die Lätzchen um, sobald wir Platz genommen haben. Einmal hat so ein Elektronikkerlchen meiner Tischnachbarin, der Kaminski, das Bindebändchen am Hals derart fest zugeschnürt, dass sie blau angelaufen ist. Ich habe ihr mit einem beherzten Schnitt das Leben gerettet.
Seitdem sind wir Freundinnen und die Kaminski beschwert sich nie mehr beim Personal darüber, dass die Messer stumpf seien.

Wenn man die Eingangsshalle betritt, sieht ‘s aus, wie damals in dem Drei-Sterne-Hotel auf Mallorca im Jänner, und auch der Altersdurchschnitt ist derselbe.
“Mama! Dös is ka Eingangshallen, dös is a Lobby mit Ledersofas und Abstellecke für die Gehwägelchen.”
“Rollatoren”, verbessere ich mein Madl.
“Und da schau her! Italienischer Jura-Marmor an die Wände und am Boden.”
“Jura-Marmor? Ich hatte keine Ahnung, dass Jura auch was mit Steinzeug zu tun hat.”
Marie stöckelt eilig durch die Halle zum Aufzug.
Hier im Haus gibt es auch eine Friseurin. Monique ist die Herrin über Bürsten und Trockenhauben.
Sie beherrscht den Seniorinnen Einheitslook aus dem Eff-Eff: Vorne große Wickler, hinten kleine und einen Hauch Silberfestiger fürs Volumen. In meinem Dorf tragen die Ochsen einen Ring durch die Nasenlöcher, hier findet Monique diesen Schmuck für sich “affengeilsupi”. Sie trägt die Ringe nicht nur in den Nasenlöchern, sondern auch an den Augenbrauen. Ursprünglich kommt sie aus Berlin, aber da hat sie pro Stunde nur gut drei Euro verdient. “Hier verdiene icke mehr und bin meeen eeeegener Boss.” Ihre Freundin betreibt im hinteren Salonteil Pediküre für Diabetikerfüße.
Gegenüber befindet sich eine Gemeinschaftspraxis für Geriatrie und daneben gesellt sich Herr Pasekowsky mit seiner Apotheke. “Mein Sortiment ist allumfassend, aber Schwangerschafts-Test und Kondome gehören hier eindeutig nicht dazu!”
Marie wollte nämlich Kondome kaufen. Dabei hätte ich so gerne ein Enkelkind.
“Geh weg, Mama! An g´scheiten Kerl für dene notwendige Befruchtung findest allemale nicht, außerdem plärren Kinder und sind a unkalkulierbares Armutsrisiko.”
Und nebenan, in dem kleinen Cafè, gibt es keinen Guglhupf aus Hefeteig mit Rosinen.
“Da hast alles, was d’ brauchst, Mama”, wiederholt Marie sich und bestellt einen ‘Latte’.
“Und warum steht das Senioren-Haus mitten in der Innenstadt?”
“Aber Mama! Dös is kein Haus nit, dös is a Residenz! Und in derer City pulsiert das Leben! Willst inmitten von einem Park wohnen? Alles Grün drumherum wie auf ‘m Friedhof?”
“Aber ich will unter Bäumen flanieren.”
“Mama. Umaherlauf´n kannst auch in derer Fußgängerzonen, wo dich keine Autos nicht belästigen täten und Bäume hams da alleweil auch in die Kübel gepflanzt.”

Neulich war ich mit der Kaminski in der Fußgängerzone.
“Kind! Das ist unfallgefährdend! Ständig fährt dir jemand mit einem Rollator in die Hacken oder haut dir Krücken vor die morschen Hüftknochen. Und dann erst die Preisschilder in den Schaufenstern! Knallrote übergroße Ziffern vor gelbem Hintergrund!”
“Geh Mama! Des is seniorengerecht wegen die Sehbehinderten und wenn ihr Alten unter euch net Rücksicht nehmen könnt, so is dös nit mei Problem net; dafür habts ihr an Seniorenbeauftragten.”

* * *
Letzte Woche habe ich die Kaminski ins Museum begleitet.
“Hier gibbet Kibernetisches und Wanderinstallationen aus der Fünfziger-Epoche. Nierentische und Tubenlampen. Da kannze glatt vergessn, dat die hauseigenen Nieren und Tuben verbraucht und alt sind.”
“Der Herr Pfarrer hat immer gesagt: ‘Jeden Abend ein Bierchen für die Nierchen’.”
“Die verstaubten Bierpüllekens vonne dichtgemachten Brauereien kannze dich im hintern Teil anguggen. Allet wat du hier siehs, is noch aus diesem Kulturgedöhne vom Metropolenjahr übriggeblieben. Abba dat beste is hier in der Museums-Pinte die Currywurst, weil die Kult is.”
“Die ist kalt?”
“Nee! Kult! Wenne die Wurst ma gegessen hass, da vergisste glatt deine Brötchenklöße.”
“Semmelknödel.”
“Dat is doch egal, zur Currywurst gibbet immer Pommes.”
Und dann zeigte sie mir einen freischwingenden Lederstuhl vom Designer BENZ. Ich wusste nicht, dass der neben Autos auch Bürostühle herstellt. Ein Waschbecken von VILLEROY & BOCH lag auf dem Boden und war mit Seife verschmiert.
“Dat is wegen dem Sinnbildlichen, dat auch unterm miesen Dreck noch Glanz is. Man soll sich von dat Äussere nich täuschen lassen.”
“In München war ich auch einmal im Museum. Da standen schmutzige Badewannen. Meine Tochter meinte, das sei als Metapher zu verstehen.”
Meine Freundin Kaminski pfiff durch ihre dritten Zähne. “Wenigstens ist deine Kleene keine Kulturbanausin.”
Ich seufzte. “München mag ich nicht. Ist aber wenigstens in Bayern.”
“Und da gibbet keine Altenbleibe für dich?”
“Zu teuer.”

* * *

Gülan, die hier die Wohnungen putzt, hat mir zum Beten und Innehalten den Tipp mit der Moschee gegeben, weil ich keine Kirche in der Nähe gefunden habe.
Die Kaminski klärt mich auf: “Zunächst war da noch ‘ne Filialkirche, bisse die dann komplett dicht gemacht habn aus mangels an Beteiligung. Da solltn die Katholiken rübergehen zu den Evangelen und eine Ökumene bilden, aber da hättesse auch gleich am heiligen Fußball-Sabbat die Schalker Kicker mit den Borussenzecken in eine Synagoge einsperren können.”
Die Moschee ist jedenfalls seniorengerecht ausgestattet. Flauschig warme Teppiche gegen kalte Knöchel und immer eine Tasse heißen Tee mit viel Zucker.

“Jeden zweiten Samstag kannze auffe stillgelegten Kanzel von der entweihten Kirche deine eigene Schreibe vorlesen. Die Zuhörer werden mit buntem Licht eingelullt anstatt mit Weihrauch. Und sonntags spieln se klassisches Gedöhne von Mozart, Bach und wie se alle so heißen, diese berühmten Kompostierer.”
“Keine Volksmusik?”
Sie schüttelt ihren Kopf. “Abba hier inne Residenz gibbet einmal im Monat ‘ne Ü-70-Fete. Musik vonne Beatles, Elvis und Konsorten. Allet schön und gut, aber wat willze machn, wenn die Kerle zum Schwofen zu gebrechlich sind.”
“Im Dorf hat i mei Kirchn! Und mei Kirchweih mit die Bläser in derer Scheunen auf ‘m Tanzboden!”
“Wat is los mir dir! Jezz redest du datselbe Kauderwelsch wie deine Tochter.”
“Schuld ist mein Heimweh”, flüstere ich leise und wische mir die Tränen weg.

* * *
Gestern Abend hat mich der Herr Pfarrer angerufen.
Im Nachbardorf hat sich ein junger Doktor mit Familie niedergelassen. Seine Frau führt neben der Praxis einen mobilen Pflegedienst.
Und die Meierin hat mit der Wuchingerin einen Dorfladen eröffnet.
“Kannst die Mansarde im Pfarrhaus beziehen. Meine Haushälterin hat ‘s in die Stadt verschlag’n.”
“Altenresidenz?”
“Der Gustl, ihr Sohn, hat g’meint, das sei ‘s Beste. Nun hilft mir der Sepp so gut er kann.”
“Pfarrer, ich habe da eine für alle Beteiligten gute Lösung.”
Ich hieve sofort meinen Koffer zum Packen aus dem Abstellraum.

Gülan und ihre Familie kommen mit, denn beim Pfarrer verdient ‘s mehr als bei der Ausbeuter-Reinigungsfirma. Und ich werde als Leih-Oma ihre drei Kinder betreuen, denn einen Kindergarten haben wir längst nicht mehr, seit viele junge Familien in die Stadt verzogen sind.
“Dat Rezept für ‘ne anständige Currysoße krisse von mich mit, damit euer Pfarrer auch wat Handfestes zwischen die Zähne kricht und nich nur Puten-Döhner mit Brötchenknödel.”
Schade, dass die Kaminski nicht mitkommt.
“ ‘n alten Baum soll man nicht verpflanzen.” Ich stimme ihr zu und umarme meine Freundin.
“Kannst mich an Kirchweih besuchen.”
“Abba nur, wenn der Sepp ‘n guter Tänzer is.” Sie zwinkert mir zu.

* * *

“Geh! Mama! Des kannst ma net antun! Was mach I hernach mit dem Seniorenappartement?”
Ich schließe den Reißverschluss meines Koffers. “Des kannst fürs Doppelte an einen reichen Griechen verkaufen und verscherbelst alleweil die auf Morden programmierten Senior-Roboter dazu. Die können dene ihre Politiker den Hals zuschnür’n, damits ersticken und kein Unheil nimmer anrichten können.”

© anne zeisig, endversion

Letzte Aktualisierung: 19.11.2012 - 23.40 Uhr
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