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Stadtleben | November 2012
Deutschlandreise
von Susanne Ruitenberg

Sandra hängte die Uniform in den Spind, zog ihre Zivilklamotten an und sah auf die Uhr. Zwei Überstunden. Aber das war egal, was erwartete sie schon daheim?
„Tschüss, bis morgen“, riefen ihre Kolleginnen ihr zu und verließen den Umkleideraum. Sie alle hatten ein richtiges Zuhause, eine Familie.
Ob sie je wieder so etwas haben würde?
Sie verließ das Hotel und ging Richtung U-Bahn. Automatisch zog sie die Kapuze ins Gesicht und sah sich sorgfältig in alle Richtungen um.
„Wir können nichts machen“, hatte der Polizeibeamte gesagt. Ohne Beweis, dass er sich genähert hat. Ohne echte Straftat. Einstweilige Verfügung hin oder her.
Und wenn ich tot bin, geschieht dann etwas, ist das Straftat genug?
Kurz hielt sie inne. Sie musste in die U4 Richtung Norden. Oder war das in der letzten Stadt gewesen? Panik erfasste sie, ließ ihr Herz losgaloppieren. Sie wusste ihre Adresse nicht mehr! Zu oft hatte diese gewechselt seit vier Jahren.
Ruhig, Sandra, ermahnte sie sich.
Schillerstraße zwölf, richtig.
Nicht Akazienweg zehn, das war die vorletzte Stadt gewesen.
Davor gab es Brunnengasse fünf. Und Schubertweg fünfundzwanzig. Und ganz früher, in einem anderen Leben, hatte es mal ein Haus gegeben, ein schönes Haus in der Otto-Hahn-Straße acht.
Bis die Gewalt einzog. Bis er ständig seine Wut an ihr ausließ. Bis sie endlich genug Mut angesammelt hatte, um auszuziehen.
Doch er hatte sie gefunden. Wieder und wieder.
In jeder neuen Stadt.
Ihre Tasche war immer gepackt. Sie besaß ohnehin nichts mehr, das ihr etwas bedeuten könnte. Wichtige Papiere trug sie ständig am Körper, in ihrem Rucksack.
So zog sie von möbliertem Zimmer zu Personalunterkunft zu möbliertem Zimmer. Eine Arbeit fand sie immer. In jeder Stadt gab es Hotels, und die freuten sich im Allgemeinen über Zimmermädchen, die der deutschen Sprache mächtig waren und nicht auf Kopftuch und lange Hose zum Uniformkleid und schweinefreies Personalessen bestanden. So schlug sie sich durch. Deutschlandreise mal anders. Ohne Spielbrett und Holzfigürchen. Auf die Sandra-Art. Familie hatte sie keine. Freunde auch nicht mehr. Wie ein willenloses Holzfigürchen schob das Schicksal sie hin und her.
Die U-Bahn fuhr ein. Automatisch scannte Sandra die Anwesenden. Niemand kam ihr bekannt vor.
Vorletzte Haltestelle. Sie stand auf. Ging zum Ausgang und wurde von einem Schwung Feierabendmenschen auf den Bahnsteig gespült. Versuchte, sich im Pulk zu bewegen. Genoss das Gefühl von Nähe.
Kurz bevor sie die Rolltreppe erreichte, erstarrte sie mitten in der Bewegung.
Die Silhouette unverkennbar. Er fixierte den vorderen Waggon. Der breite Nacken, der sich im Zorn tiefrot färben konnte. Die gedrungene Gestalt. Der Bürstenhaarschnitt. Früher war sie immer im vordersten Waggon gefahren, um zur Not den Fahrer ansprechen zu können. Das wusste er.
Er begann sich langsam zu drehen. Sie schoss nach rechts, zwischen zwei Müttern mit Kinderwagen hindurch, zum anderen Ausgang, sprintete die Treppe hoch – sie trug Turnschuhe, anderes Schuhwerk besaß sie nicht mehr – die Straße entlang, zu ihrem Haus. Hektisches Wühlen nach dem Schlüssel, der nie in der Tasche war, immer greifbar in der Hosentasche.
Das Schloss zitterte, als sie versuchte aufzuschließen.
Was, wenn er schon wusste, wo sie wohnte? Oder war er nur zufällig an dieser Station?
Egal. Hinein ins Zimmer. Schäbiges Zimmer. Nichts deutete darauf hin, dass es überhaupt bewohnt war. Sie zahlte immer im Voraus, monatsweise. Den Schlüssel würde sie per Post schicken. Wieder einmal.
Die Tasche geschnappt und raus. Fluchtweg B – die Fluchtwege legte sie beim Einzug fest. Hinüber zur anderen Bahnlinie. Auf direktem Weg zum Bahnhof. Ticket lösen. In eine andere Stadt. Egal welche. Weit weg.
Es gab in Deutschland noch viele Städte. Irgendwann würde er des Spiels überdrüssig werden.
Vielleicht.
Oder sie erwischen.
Vielleicht.
So oder so hätte das Ganze dann ein Ende.
Vielleicht.

©Susanne Ruitenberg
Version 2

Letzte Aktualisierung: 27.11.2012 - 11.21 Uhr
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