Ganz schön bissig ...
Ganz schön bissig ...
Das mit 328 Seiten dickste Buch unseres Verlagsprogramms ist die Vampiranthologie "Ganz schön bissig ..." - die 33 besten Geschichten aus 540 Einsendungen.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Helga Rougui IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Stadtleben | November 2012
statt Leben, innen
von Helga Rougui

"Hier geht es um den Tod, Junge, um nichts als um den Tod."
(The Fades 1/6, GB 2010)
"Alles ok, Paul?" – "Ja, alles ok."
(The Fades 2/6, GB 2011)



Mein Koffer ist gepackt. Ist er das? Ich tu mich schwer mit Kofferpacken. Was die Kleidung angeht, geht das meistens reibungslos. Denn die Teile, die an meinen Körper passen, nehmen nicht viel Raum ein. Aber dann.

Ich brauche Abwehrmittel. Ich brauche Heilmittel. Ich brauche Bücher.

Was letztere angeht, so träume ich von einer Lösung à la Erasmus von Rotterdam.
Eine Truhe und die gesamte relevante Literatur meiner Zeit darin verstaut.
Die für mich relevante Literatur meiner Zeit natürlich.
Das würde mein haptisches Bedürfnis befriedigen und auch die intellektuelle Übersicht garantieren, die mein Hirn von mir fordert.

Diese Zeiten sind natürlich vorbei.
Oder beginnen neu. Ich fülle mein E-Book, wie ich meinen Koffer fülle.
Muß ohne das Be-Greifen auskommen.

Und nehme im Zug weniger Raum ein.

Ich will mich dahin begeben, wo ich mich finde. Das ist nicht leicht.
Wenn ich weggehe, wen lasse ich hinter mir? Wird jemand auf mich warten – am Start, am Ziel? Es ist nicht sicher.

Meine Abwehrmittel wird keiner finden. Die sind seit meiner Kindheit so gut versteckt, daß ich sie selber nicht finde. Sie sind unbehelligt durch die sensorischen Kontrollen aller Autoritäten gelangt. Ich habe sie, als sie versuchten, sich zu zeigen, sorgsam noch viel tiefer hinuntergeschluckt. Sie sind unter Schichten und Schichten und Schichten in meinen Körperteilen versteckt.
Niemand sieht, daß ich eigentlich eine Kampfmaschine bin.
Aber die Waffen, die ich zur Verfügung hätte, haben keine Chance, sich zu befreien.

Mit der Medizin, das ist schwierig. Den Schmerz zu besiegen, ist nicht leicht. Je weniger man ihn zuläßt, um so unabhängiger ist man. Aber man zahlt in bitterer Münze - mit Angst und Feigheit und Panik und Zurückweichen. Und das alles geht wiederum in die Körperteile. Also heißt es ein Bild erstellen, ein Bild, das alle überzeugt, auf daß keine Fragen aufkommen.
Außer dir selbst wird dies Bild der einzige Schmerz sein, den du zuläßt, und du wirst dich so weit entfernen von ihm, daß du dich selbst nicht belügen mußt. Du schiebst es vor dir her wie einen Schild.
Und du sagst deinem Bild, besser wäre, du hättest den Weg gewählt, nicht zu entstehen, weder durch mich und für keinen anderen.
Ein Ritter ohne Schild ist tollkühn, aber lächerlich. Er ist ausgeliefert. Er muß sich seinen Feinden stellen.
Vor der Schwärze der Nacht versucht er, die Zielscheibe zu treffen.
Wenn er trifft, werden aus den Löchern Tränen quellen.

Und jetzt zur Mission.
Ach, ihr denkt – es gibt keine Mission?
Ich – im Aufbruch begriffen – verlasse mein Haus, gehe fort, nur ich muß fort, alle anderen nicht, sie leben ihre Leben in großer Zufriedenheit und ich sehe sie an, und sie denken, mich gibt es nicht.
Ich habe alles dafür getan, damit es mich nicht gibt.
Und ihr denkt, damit wärt ihr davongekommen?
Denkt ihr das?
Und ihr wollt nichts weiter hören?

Wenn ich gehe, dann nehme ich euch mit.
Alle.
Da ist nämlich nicht nur Angst, da ist auch Wut.
Habt ihr euch nie gefragt in euren Träumen?
Verfolgungen? Hetzjagden? Feuersbrunst und Wirbelsturm? Feinde, Dämonen, Gespenster, Ausgeburten meiner Phantasie, die in die eure eindringen? Die Häutung meiner Schreie in dieser Welt, von niemandem gehört, der Schmerz, von niemandem geteilt, aber von allen angesaugt wie eine Droge - worauf nichts bleibt als schweißüberströmt zu erwachen und zurückzusinken und wissend?

Was soll ich sagen, verstört von einer Wand zu anderen laufend. Und die Tür, die eben noch offen war, ist unsichtbar. Sie kann nicht unsichtbar sein, das ist unmöglich.
Aber doch ist es so.
Ich verliere den Glauben an mein Gelingen in dieser Welt.
Und ich möchte, daß endlich das wahre Gesicht meines Teufels sich zeige.

Keine Ablösung gibt es von all meinen Schichten, und ich brauche euch nicht für die Flucht aus dieser Welt.
Gut.

Ich würge die Zukunft heraus, das letzte Knäuel aus Blut und Sehnsucht und Reue und Hass.
Und würge und fresse und kotze mich selbst und weiß nicht, ob ich mich in zwei Teile teile oder in mehr, und würde dem gern ein Ende setzen, denn all diese Wirklichkeiten fügen sich nicht, und ich meine auch, daß das nicht meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen.
Denn bin ich Gott?
Nein -
- weder lebendig noch tot und auch nicht im Traum noch im Leben
möchte ich ER sein.
Also erlöse ich mich endlich und lasse mich gehen.

Denn ich kann bis zum Ende mir noch sehr viel Böseres richten und das ist meine einzige Freiheit, die ich jemals haben werde.
Und vielleicht sollte ich endlich damit zufrieden sein.
Was nicht geschehen wird, da ich niemals an einem Ort ankommen werde.
Und wenn, würdet ihr mich nicht erkennen.
Weil ihr nicht mit mir rechnet, schon lange nicht mehr.
Jedoch.
Das Leben ist keine Rechenaufgabe.
Und ich werde nie bereit sein für die Subtraktion.

Ich schweige jetzt, wie stets.
Ich habe mein ganzes Leben lang geschwiegen.
Im Tod werde ich meine Stimme nicht erheben können.

Im Grunde ändert sich nichts.

Letzte Aktualisierung: 24.11.2012 - 12.00 Uhr
Dieser Text enthält 5095 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.