Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Stadtleben | November 2012
Tretminen
von Ingo Pietsch

Eine Gruppe Enten umkreiste fliegend den Stadtpark, um schließlich im großen Teich in der Mitte der Gartenanlage zu landen.
Tristan Woyzchak beobachtete die Vögel und ließ sich von den ersten Sonnenstrahlen des Herbstmorgens wärmen.
Er genoss die frische Luft und die Ruhe, ehe Schulkinder mit ihren Fahrrädern das erholsame Idyll unsicher machten.
Gelegentlich kamen ein Jogger oder ein Nordic-Walker vorbei, was ihn aber nicht störte, solange sie genügend Abstand hielten.
Tristan war Rentner und ruhte sich gerne im Park aus.
Weiter die Sonne genießend, gesellte sich eine ältere Dame zu ihm auf die Bank.
Eigentlich hatte er für sich allein sein wollen, doch war es hier gerade so gemütlich, dass er sich kein Stück bewegte.
„Einen schönen guten Morgen!“, begrüßte ihn die Frau und stellte ihre Handtasche zwischen sie.
Tristan sah mit einer knappen Kopfbewegung zu ihr hinüber und nuschelte etwas Ähnliches zurück.
„Sind Sie hier oft im Park?“, wollte sie wissen und nestelte dabei an ihrer Tasche herum, bis diese offen stand.
Langsam wurde es Tristan unangenehm. Er zog die Beine an und setzte sich gerade hin. Dabei knackte es hässlich in seiner Wirbelsäule. Er hatte wohl zu lange so krumm gesessen.
„Es ist so schön ruhig hier. Finden Sie nicht?“ Die Frau sprach ihn so liebevoll an, als rede sie mit einem kleinen Kind und zog dabei einen Plastikbeutel mit Brotresten aus ihrer Tasche.
Die Ruhe war endgültig dahin. Tristan machte Anstalten aufzustehen, aber ein stechender Schmerz zog sich durch seinen Rücken. Mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte er sich wieder.
„Was schauen Sie denn so böse drein?“ Die Dame beugte sich zu ihm herüber.
„Mein Rücken!“, presste Tristan durch die Lippen.
„Oh ja, das kenne ich. Wir sind ja beide nicht mehr so jung.“ Sie tätschelte ihm das Knie.
Tristan wünschte sich, die alte Dame würde endlich verschwinden.
„Sie müssen wissen, ich habe schon drei Enkelkinder!“
Tristan ergab sich in die einseitige Konversation. Weglaufen konnte er nicht.
Während die Dame erzählte und erzählte, warf sie ihr Brot Richtung Ententeich.
Mit lautem Schnattern näherten sich die Vögel den sinkenden Brotkrumen und tauchten danach.
Tristan schloss die Augen und entspannte sich. Der Schmerz ließ langsam nach.
Ein Hund bellte in weiter Entfernung. Tristan riss die Augen auf.
Die Dame lockte die Enten zur Bank.
„Mögen Sie auch Tiere?“
Ehe er antworten konnte, sagte die Frau: „Ich hatte früher eine Katze. Aber das ist schon sehr lange her.“ Sie sah ihn leidvoll an.
Er muss wohl sehr traurig ausgesehen haben, deshalb fragte sie: „Haben Sie auch ein geliebtes Tierchen verloren?“
Der laute Hund näherte sich.
Das Brot war inzwischen aufgebraucht. Doch die Enten suchten unentwegt weiter.
„Geht schön in euren Teich zurück!“ Die Dame zeigte mit dem Finger zum Gewässer.
Die Enten allerdings watschelten zu Tristan hinüber. Sie schnappten nach seinen Hosenbeinen.
„Ich glaube sie mögen Sie.“
Mehrmals erwischten sie seine Waden. Er verkniff sich einen Fluch, zog die Beine an und hüpfte, erstaunlich schnell für sein Alter, auf die Bank.
Dabei knackte es so laut in seinem Rücken, dass er das Gefühl hatte, es schalle durch den ganzen Park.
Aber der Schmerz war weg.
Die Enten machten kehrt und die Dame blickte sehnsüchtig in die Ferne.
Jetzt war ein guter Zeitpunkt zum Verschwinden.
Ein Jogger in Begleitung eines Hundes, passierte die Bank. Der Hund blieb kurz stehen, knurrte Tristan an und rannte dann hinter seinem Herrchen her.
Tristan beobachtete die beiden, wie sie auf die Wiese hinter ihm liefen. Der Jogger hob einen Stock auf und warf ihn weit davon.
„Los Fiffi! Hol Stöckchen!“
Die alte Dame hatte sich auch umgedreht und machte einen glücklichen Eindruck, als sie den bellenden Vierbeiner auf dem Gras hüpfen sah.
„Ein schönes Tier“, sagte sie.
Im gleichen Moment gab es einen ohrenbetäubenden Knall und Fiffi flog mit ausgestreckten Beinen wie ein Kreisel ins nächste Gebüsch.
Erdklumpen und Grasreste regneten zu Boden.
Der Jogger war auf die Knie gegangen.
„Was war das denn?“, wollte die alte Dame wissen. „Vielleicht eine alte Fliegerbombe?“
In Tristans Augen lag ein unheimlicher Glanz. „Vielleicht hat da jemand die Nase voll von diesen kläffenden Tölen, die überall ihre Hundehaufen hinterlassen und alles und jeden anpinkeln.“
„Fiffi!“, rief der Jogger verzweifelt.
„Wer könnte denn so gemein sein?“
„Jemand, der genug hat von Tieren, die ihm die Ruhe rauben.“
Fiffi hatte sich unterdessen wieder aufgerappelt und war auf dem Weg zu seinem Herrchen.
Eine weitere Detonation schleuderte den heulenden Hund in die entgegengesetzte Richtung. Und noch mehr Explosionen beförderten das Tier wie eine Flipperkugel im Zickzack über das Grün.
Herrchen warf die Arme über den Kopf.
„Aber muss dieser Jemand gleich zu so drastischem Mitteln greifen? Was für ein Jemand tut so etwas?“
Tristan zog die Arme seiner Jacke hoch. Sie waren bedeckt mit roten Pusteln. „Die waren vor fünf Minuten noch nicht da.“ Er stand auf und erklärte: „Dieser Jemand ist vielleicht allergisch auf Tiere und will nur seine Ruhe! Aber hier lauern diese Viecher an jeder Ecke: Hunde, Katzen, Ratten, Enten. Nirgends ist man vor ihnen sicher. Irgendeiner musste doch nun mal etwas dagegen unternehmen!“
Eine Explosion in der Nähe und eine weiter weg erschütterten den Park.
Wasser spritzte zur Bank und Federn fielen wie Schnee vom Himmel.
Tristan sah die restlichen Enten davonflattern. „Jetzt sind die nervigen endlich Viecher weg!“
Sirenen von Rettungsfahrzeugen näherten sich dem Park.
„Nur ist es mir hier inzwischen zu laut.“
Er war im Begriff zu gehen, als mehrere Donnerschläge aus Richtung Busbahnhof und Fußgängerzone die Luft erfüllten.
Er drehte sich noch einmal zu der alten Dame um, die ihn mit offenem Mund und tropfenden Haaren anstarrte: „Und passen Sie auf, wo Sie hintreten!“

Letzte Aktualisierung: 23.11.2012 - 18.45 Uhr
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