Ganz schön bissig ...
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Stadtleben | November 2012
Fantasie geht vor Komfort
von Harry Michael Liedtke

Frank Mahn als Beamten zu bezeichnen, wäre zwar formal korrekt gewesen, seiner beruflichen Tätigkeit jedoch nicht unbedingt angemessen. Er war in der Tat ein Bediensteter der Kommune, sein Arbeitsterrain aber mitnichten ein lauschiges Büro. Frank hatte einen ungewöhnlichen Job, auch wenn sich die Berufsbezeichnung nicht so anhörte. Er war Leerstandsmanager.
Konkret ausgedrückt, er kümmerte sich darum, dass verödete Einkaufstraßen aufgefrischt wurden und leer gewordene Läden, Geschäfte, Büros, Lokale oder Kulturstätten nicht leer blieben. Als Stadtmarketingexperte und Makler vermittelte er Immobilien an Investoren, brachte Einzelhändler, Hausbesitzer und Politiker an einen Tisch, begleitete beratend Firmengründungen und half mit, von der Schließung bedrohte Unternehmen am Standort zu halten. In der gegenwärtigen Geschäftsklimaphase, die von einer lang anhaltenden Konsumzurückhaltung der Verbraucher geprägt war, stellte das durchaus einen Vollzeitjob dar, erst recht in einer Großstadt.
Heute widmete sich Frank seinem gegenwärtigen Lieblingsprojekt. Eine Neueröffnung stand an. Ein abgewirtschaftetes Hotel war runderneuert worden und nahm den Betrieb wieder auf, allerdings nicht in herkömmlicher Form. Die Absteige war einer dieser aussichtslosen Fälle gewesen, praktisch nicht zu retten, zumindest nicht auf normalem Wege. Gerade deshalb war das Hotelprojekt für Frank zu einer Herzensangelegenheit geworden. Es hatte sich ihm die seltene Gelegenheit geboten, mal ganz anders an die Sache ranzugehen. Eine willkommene Abwechslung zum gewohnten Prozedere, das ja allermeistens aus drögen, zähen Verhandlungsmarathons bestand. Hier war hingegen Kreativität gefragt gewesen. Man hatte ungewöhnliche Ideen benötigt, und die waren von Frank eingefordert worden.
Um den Bau wieder flott zu machen, hatte er ihn Künstlern, Architekturstudenten und Designern aus dem Umland als Plattform zum Austoben bereitgestellt. „Macht was draus“, hatte er ihnen gesagt. Und sie hatten was draus gemacht! Die Grundkonzeption war von den kreativen Köpfen beibehalten worden, es wurde weiterhin im Haus beherbergt, aber beim Wie hatte man mit alten Traditionen verzückt gebrochen. „Hotel Weitblick“ hieß die Einkehrstätte nun, und keines der insgesamt 25 Zimmer glich dem anderen. Jede der Kemenaten war nach einem anderen Konzept gestaltet worden. Da gab es zum Beispiel die so genannte Punkerklitsche, einen Raum, der schon beim Ein- und nicht erst beim Auszug völlig verwüstet war, inklusive zertrümmerter E-Gitarren, einem eingeschmissenen Fernsehapparat und (künstlichem) Erbrochenen an der Wand und auf dem Fußboden. Auch gewöhnungsbedürftig die Krypta, das Quartier für den gemeinen Goth. Schwarz gestrichene Wände, kein elektrisches Licht, sondern bloß Kerzen, und als Bett ein Sarg. Es gab ein Urwaldzimmer voller Lianen und auf Wunsch auch mit Moskitos, eine blumig-bunte Hippiekommune, eine Honeymoon Suite mit einem Wasserbett und rosa Plüschvorhängen, eine gut bestückte Folterkammer für Sadomaso-Freaks, eine Aquariumskajüte mit Fischen und sonstigen maritimen Motiven auf der Tapete, eine Werkstattstube für den Hobbyheimwerker, eine iscoklause mit einer lebensgroßen John-Travolta-Pappfigur, ein Grafiti-Gemach zum Selberbemalen, ein Aggressionsabbauraum mit einem Sandsack und anderen Boxgeräten sowie „weichen“ Wänden, ein Formel-1-Zimmer, ein Bergsteigerzimmer, ein Karnevalszimmer und und und. Adieu Andrée Putman, Servus Luigi Blau, Platz da für die junge Garde der Innenausstatter!
Der Rummel bei der Eröffnung war mehr als beachtlich. Eigentlich hatten Frank und sein Team gedacht, zur Vorstellung würden lediglich ein paar geladene Gäste und die Vertreter der lokalen Presse kommen, aber damit hatte man sich geirrt. Das Ganze war zu einem Volksfest geworden, die halbe Stadt drängelte sich vor dem Eingang des Hotels, sogar überregionale Fernsehsender hatten ihre Kameras aufgestellt und berichteten. Sehr schön, Publicity war für das Leerstandsmanagement immer hilfreich. Doch ja, Frank war stolz auf sich. Er war zwar nicht am kreativen Prozess beteiligt gewesen, aber er hatte ihn angestoßen, und somit war das „Hotel Weitblick“ auch sein Baby. Nichtsdestotrotz wies er bei jedem Händeschütteln darauf hin, dass der Dank ganz allein den engagierten Künstlern gebühre. Er war ja ein bescheidener Mensch.
Apropos bescheiden: Vermietet wurde zu einem symbolischen Preis zwischen 10 und 25 Euro pro Übernachtung, getreu dem Veranstaltungsmotto „Fantasie geht vor Komfort“. Natürlich hatte angesichts der schwierigen Ausgangslage kein Riesenbudget für das Projekt bereitgestanden. Zwar hatte man aus verdammt wenig verteufelt viel gemacht, doch wer mehr als eine spartanische Inneneinrichtung erwartete, war vermessen. Der Maximaltarif von 25 Euro galt übrigens für den „Nabob-Nobel-Bungalow“, wo der Gast mit einem Ständchen des Personals geweckt wird, zum Frühstück Mohn- oder Sesambrötchen anstatt normaler Semmeln erhält und ein angewärmtes Handtuch überreicht bekommt. Ganz wichtig: Stammgäste haben freien Eintritt zum hoteleigenen Schönheitssalon, zur Wellness-Oase, zum Kinokeller und zu den allabendlichen Showveranstaltungen, die von Varieteenummern bis zum Rockkonzert reichen.
Frank schaute tief befriedigt auf die feiernde Gesellschaft. Sogar der Bürgermeister war gekommen. Mit einem Grinsen beobachtete Frank, wie sich der große Häuptling für seinen Innovationsgeist feiern ließ. Dabei hatte der Erste Bürger der Stadt nichts weiter getan, als seine Unterschrift unter einen Antrag zu setzen. Und bereits das war ein Überwindungsakt sondergleichen gewesen. Man durfte nicht vergessen, der Herr war von der CDU. Alternative Kunst war seine Sache nicht – zu schrill, zu sperrig, zu aufmüpfig! Von den Kunstschaffenden selbst ganz zu schweigen. Wenn es nicht um eine mächtig störende Problemimmobilie gegangen wäre, wer weiß, dann wären die ohnehin spärlichen Fördermittel sicherlich in irgendein hochtrabendes, elitäres Klassikkulturprojekt geflossen. Wenn überhaupt! Aber als Bürgermeister einer Metropole muss man immer das große Ganze im Blick haben. Da heult man zur Not schon mal mit den Wölfen, und seien sie noch so räudig. Nun, in diesem Fall hatte es sich ausgezahlt: Kostenlose Imagewerbung für die Stadt und ihre Repräsentanten, dazu froh gestimmte Bürger – wenn das nicht bei der nächsten Wahl half, was dann? Dazu hatte sich bei Frank bereits ein neuer Kapitalgeber vorgestellt. Eine große Hotelkette war von dem Konzept der Themenherberge sehr angetan und wollte den Versuch mal auf professionelle Geschäftsmannsart durchführen. Das Projekt lief also weiter, über die ursprünglich vorgesehene Dreimonatsfrist hinaus. Blieb zu hoffen, dass es klappte. Aber warum nicht, der Zuspruch war enorm. Frank hatte bislang noch keinen gesprochen, der die Idee nicht originell oder zumindest witzig fand. Er schmunzelte. Vielleicht hatte seine Behörde ja mitgeholfen, einen neuen Wohntrend heraufzubeschwören: „Hausen mit Flausen“ oder so. Gut, zugegeben, im Slogan-Erfinden war er schwach, aber für so etwas gab es ja Experten. Er konzentrierte sich lieber auf das, was er konnte: Leerstände verhüten!

Letzte Aktualisierung: 24.11.2012 - 11.52 Uhr
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