Der Tod aus der Teekiste
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Stadtleben | November 2012
Jessica
von Christine Matha

Auf der Spanischen Treppe traf man in den 60er Jahren eine bunte Mischung von jungen Leuten aus aller Welt. Da waren die Hippies, die man gleich an ihrer Aufmachung erkannte, die Weltenbummler von damals, die prinzipiell per Autostopp reisten und gelernt hatten, wie man sich in Rom mit systematischen Betteln ein bisschen Geld verschaffen konnte. Bei ihnen kannte bald jeder jeden, denn die Spanische Treppe war ihr Lieblingsaufenthalt. Außer den Hippies waren die üblichen Latin Lovers vertreten, die die nördlichen Touristinnen mit ihren eingelernten Sprüchen gezielt verfolgten, dann ein paar Linksextremisten, die stundenlang leidenschaftlich über Politik diskutierten, einige junge Künstler, Schwule und sonstige Alternative in internationaler Verbrüderung.
Auf den Stufen saß man zusammen, spielte Gitarre und unterhielt sich über Leben. lieben und überleben in der Ewigen Stadt.
So war es, bis die ersten Polizeirazzien auf Drogensuche, das kleine Volk wieder versprengten.
Jessica, die eigentlich Maria hiess, hatte sich zu den Hippies gesellt, obwohl sie deren modische Eigenheiten und Ideale nicht so ganz verstehen konnte. Sie war von der römischen Campagna in die „capitale“ gekommen und träumte, wie viele andere junge Mädchen, von einer Karriere als Schauspielerin im römischen Filmeldorado „Cinecitta`“.
Daheim, im langweiligen Dorf hatte sie es nicht mehr aushalten können. Ihre Mutter war früh Witwe geworden und hatte ein zweites Mal geheiratet. Für die älteste Tochter, die schon früh ihre zwei kleinen Brüder hüten musste, während die Mutter sich als Dienstmädchen durchbrachte, war das Leben mit dem Stiefvater auf die Dauer unerträglich geworden. Immer wenn die Mutter abwesend war, stellte er ihr nach und seine Annäherungen wurden immer dreister. Ihre Mutter davon zu erzählen, fehlte ihr der Mut, sie dachte, dass sie ihr nicht glauben würde, denn die hatte sich in diesen sizilianischen Frührentner total verliebt, und die knapp 17jährige hatte keinen Ausweg gesehen, als nach Rom zu flüchten, um dort, wie schon andere Mädchen vor ihr, ihr Glück zu finden.
Maria, die sich nun Jessica nannte, war zwar eher klein, aber hatte das was man in den 60er Jahren als Idealfigur ansah, einen üppigen Busen und eine schmale Taille, und noch dazu einen tizianrotem Lockenkopf, lustige Sommersprossen und blitzende, hellgrüne Augen. Rothaarige Mädchen waren in Rom eine Seltenheit und so drehte sich manch ein Römer auf der Strasse nach ihr um und sparte nicht mit feurigen Komplimenten.
Sie hatte es schon nach kurzer Zeit geschafft, eine kleine Nebenrolle in einem „fotoromanzo“ zu bekommen und fühlte sich ihrem Traum, Schauspielerin zu werden um ein grosses Stück näher. Die „fotoromanzi“; waren rührselige Fotoliebesromane,( „soap opera“ von damals) in denen mehr oder weniger bekannte Schauspieler die Protagonisten darstellten und sich der Szene gemäss ablichten liessen.
Dazu kam der Text der Geschichte in Sprechblasen und so entstand ein Genre. das in Italien auf ein Heer von Leserinnen zählen konnte. Überall in den gelben Stadtbussen sah man die jungen und auch die nicht mehr jungen Römerinnen in ihrem „fotoromanzo“ vertieft .
Dabei waren diese Frauen im praktischen Leben absolut nicht naiv und eher misstrauisch und vorsichtig im Umgang mit dem anderen Geschlecht, während Jessica eine geradezu kindliche Vertrauensseligkeit ausstrahlte; eine Eigenschaft, die ihre Geschlechtsgenossinnnen nur einfältig fanden und in ihrer Stadt als gefährlich leichtsinnig einstuften.
Jessica war anfangs völlig berauscht vom Trubel und der ungeahnten Fülle von Angeboten in der Grossstadt, die Möglichkeiten, die sich hier auftaten, schienen geradezu grenzenlos zu sein.
Die Zeit verging viel schneller als daheim, aber das Geld wurde immer knapper. Sie hoffte wieder für eine Nebenrolle gerufen zu werden und traute sich kaum mehr auszugehen, um keinen Anruf zu verpassen. Eigentlich wusste sie nicht mehr, wie sie am baldigen Monatsende die Miete für ihr kleines Zimmer in der Studentenabsteige unterster Kategorie bezahlen würde, aber sie hatte von ihren Hippiefreunden gelernt, dass man am besten in den Tag hineinlebt, irgendwie würde es schon weitergehen. Das carpe diem Prinzip war wie ein Virus, von dem selbst die Ausländer angesteckt wurden.
Jeden Tag, ging sie zum Treffpunkt auf der Spanischen Treppe, wo sie ihre neuen Freunde traf und Erfahrungen und Tipps austauschen konnte, über das, was man tun konnte, um mit wenig Geld in dieser chaotischen Stadt über die Runden zu kommen, die von den Hippies und Beats gern als die Superhure bezeichnet wurde, (La grande Roma puttana),die jeden freizügig aufnahm und manchen von den zu Naiven auch ungeniert ausnahm....

Einmal, als Jessica gerade träumerisch bewundernd vor einer der exklusiven Modeboutiquen in der Innenstadt stand, hielt vor ihr plötzlich ein Auto; ein Bekannter von der Spanischen Treppe und sein Freund boten ihr eine abendliche Stadtrundfahrt an, um Rom bei Nacht zu erleben. Kaum eingestiegen, kamen ihr ein paar Zweifel an den Absichten der beiden, aber sie war zu neugierig, um sich darüber Gedanken zu machen. Noch immer hatte sie mit ihrer kleinen Nebenrolle nichts Weiteres erreicht, lauter Versprechungen hatte es gegeben, aber niemand hatte sich bei ihr gemeldet.
Nachdem die beiden ein paar Runden gedreht hatten, bekam ihr Bekannter es auf einmal eilig und mit der Erklärung, er habe noch eine Verabredung, stieg er aus und Jessica fuhr mit dem Anderen weiter. Der Fahrer, dessen Namen sie bereits vergessen hatte, fuhr locker plaudernd kreuz und quer durch Rom und steuerte das Auto mit der Begründung von einem der sieben Hügel, könne man eine wunderschöne Aussicht geniessen, geschickt an den Stadtrand. Es war bereits dämmrig und Jessica begann unruhig zu werden, erst recht als er die Gangart verlangsamte und an ihr herumfummelte mit der offensichtlich gewordenen Absicht, irgendwo einen passenden Parkplatz zu finden…
Trotz ihrer abweisenden Haltung nahm er ihre Hand und wollte masturbiert werden, was Jessica energisch ablehnte. Der junge Mann ärgerte sich sichtlich und fragte sie, was sie sich denn überhaupt vorgestellt hätte.
Jessica gab zu, nichts dabei gedacht zu haben, sie wollte jetzt nur noch zurück auf ihr Zimmer in der kleinen Pension und bat ihn das Auto zu wenden..
Gianni, hingegen hatte etwas Anderes vor, er wollte mit ihr noch auf einen Sprung hin in ein Stundenhotel, mit der lakonischen Bemerkung, nach dieser Rundfahrt, hätte er sich eine kleine Belohnung wohl verdient.
Das Abenteuer schien jetzt gefährlich zu werden, Jessica sah den gierigen Ausdruck in seinen Augen und, der an ihren Körper klebende Blick erinnerte sie an ihren Stiefvater.
Dann sah sie auf seine Hände und wieder kam ihr der Andere in Erinnerung; mit seinen gepflegten Fingernägel und dem sorgfältig gefeilten kleinen Finger, den er lang wachsen liess, sodass sie immer an eine Raubtierkralle denken musste. Auch dieser Gianni hatte den kleinen Fingernagel überlang, den gleichen Fischaugenblick und den eindringlichen Schmeichelton, den sie bereits kannte.
Aber sie entschied sich allem Widerwillen und Ekel zum Trotz zu akzeptieren, dass er ein Zimmer nahm, weil sie wusste, dass in diesen billigen Absteigen das Zimmer im voraus bezahlt werden musste. Vor einer unauffälligen, schäbigen Pension hielt er an, zahlte für eine Nacht und ging mit ihr aufs Zimmer. Irgendetwas, dachte Jessica, würde ihr schon einfallen, um ihn so schnell wie möglich problemlos wieder loszuwerden.
In Nu hatte er sich ausgezogen und fing an, Jessicas Bluse auf zu knöpfen und ihr Sträuben, das er nur als weibliches Geziere kannte, hinderte ihn nicht daran mit seinem routinierten „petting“ weiter zu machen. Ihr Widerstand fachte seine Energie noch mehr an und er versuchte in sie einzudringen, aber als Jessica aufgeregt behauptete noch minderjährig zu sein, begann seine Erregung leicht abzuflauen. Trotzdem gab er erst auf, als er merkte,dass alle seine Bemühungen sie nur noch mehr verkrampften. Enttäuscht und verärgert zog er sich wieder an, mit der Bemerkung, sie solle selbst sehen wie sie jetzt wieder heim komme und verließ laut fluchend das Zimmer. Damit hatte Jessica gratis ein Nachtquartier gefunden und schlief beruhigt ein. Morgen würde sie weitersehen; morgen war wieder ein neuer Tag; so hiess es doch auch in ihrem Lieblingsfilm.....

Die Zeit verging und Jessica liess sich auf der Spanischen Treppe nicht mehr blicken. Niemand von der Gruppe hatte mit ihr engeren Kontakt gehabt und so fragte man sich allgemein, was mit ihr wohl passiert sein könnte. Vielleicht, hatte sie es geschafft im Filmgeschäft unterzukommen, und verkehrte jetzt in anderen, „besseren“ Kreisen.
Aber, da gab es jemand, der anscheinend mehr wusste, er überraschte alle mit der Behauptung, sie abends in einer bekannt anrüchigen Strasse gesehen zu haben. Diese Strasse war ganz in der Nähe des Bahnhofs, ein Viertel, wo sich, wie allgemein bekannt war, nur Prostituierte aufhielten.
Es war Jessicas Bekannter von der Stadrundfahrt, der sie mit seinem Freund allein gelassen hatte. Er erzählte, sein Freund Gianni, der ja kein Kostverächter sei, hätte mit ihr vor einiger Zeit ein pikantes Abenteuer gehabt, aber er wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben; Jessica sei nichts weiter als eine kleine Schlampe, die es nur auf sein Geld abgesehen hatte...
Und er selbst hätte vom Anfang an geahnt, dass es mit ihr so enden würde, denn ein anständiges Mädchen wäre daheim geblieben, und hätte früher oder später einen Mann aus dem heimatlichen Dorf geheiratet.
Andere meinten, sie sei möglicherweise enttäuscht doch wieder heim gefahren. Keinen interessierte es wirklich zu wissen was aus ihr geworden war, man hatte jetzt andere Sorgen, weil aufgrund der ständigen Polizeikontrollen, die verschiedenen Gruppen sich für andere Treffpunkte entscheiden mussten und bald war Jessica auf der Spanischen Treppe für niemanden mehr ein Thema.

Letzte Aktualisierung: 11.11.2012 - 13.52 Uhr
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