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Stadtleben | November 2012
Schmetterlinge
von Monika Heil

Fünf Tage waren zu lang für diese Gegend. Seit mehr als einer Stunde verharrte Robert nahezu regungslos auf seinem abgewetzten Lammfell. Er saß einfach nur da und schwieg so beharrlich wie die Fassaden der Häuser, die mit blinden Fensteraugen hinter ihm aufragten. Mit wem hätte er auch reden sollen? Da war niemand.

Der Tag zog sich wie alle anderen davor. Die einzige Ablenkung bot eine abgemagert wirkende Sonne mit ihrem Kurzauftritt und der Wind, der ein paar verirrte Blätter durch die Straße scheuchte.

Ein schaler Geruch nach Ausweglosigkeit umgab ihn, während er, den Rücken gegen die raue Hauswand gelehnt, auf mitleidige Passanten wartete. Robert griff in seine ausgefranste Jackentasche, zog ein schmales Röhrchen heraus und versuchte, mit klammen Fingern - und mehrfach vergeblich - den Schraubverschluss zu öffnen. Er schluckte eine Pille gegen die Säure, die seinen Magen flutete, auch wenn er wusste, dass sie, wie immer, nicht half. Das Schild „blind und krank“ lehnte an einer flachen, zerkratzten Schale aus Aluminium. Die milden Gaben flossen nur spärlich. „Das ist die falsche Gegend“, murmelte er verdrossen, stand aber nicht auf. In dieser Fußgängerzone fehlte es an Menschen. Einheimische waren nur wenige unterwegs. Touristen kamen eher zufällig hier vorbei. Warum auch? Die Straßen in dieser Gegend hatten fast alle das Greisenalter erreicht und wirkten fad, ohne historische Merkmale. Attraktionen – Fehlanzeige. Billigketten, Fastfood-Restaurants, chinesische Elektronik-Miniläden, Zeitungskioske. Auch hier merkte man die Wirtschaftskrise. Die Büroangestellten, Friseusen und Verkäuferinnen, die in ihrer Mittagspause eilig an seinem Platz vorbeiliefen, waren jeden Tag dieselben und ihr Mitleid reichte höchstens für eine Spende im Monat. Er sollte weiterziehen. Die Gegend deprimierte ihn. Graue Betontürme ragten abweisend in den Himmel. Die Hausfassaden waren schmutzig. Die einzige Farbe kam von den Graffitis und zotigen Sprüchen, von Sprayern in Schnellaktionen an die Wände gesprüht. Die wurden dadurch nicht bunter. Die Tristesse blieb.

Robert hielt die Augen geschlossen, obwohl sie hinter einer sehr dunklen Sonnenbrille verborgen waren. Er fühlte sich elend. Leichtes Pochen hinter den Schläfen kündigte Kopfschmerzen an. In seinem Magen flatterten imaginäre Schmetterlinge. Die Beine wurden taub. Das war heute eindeutig nicht sein Tag.

Wenn er auf das Stakkato der Absätze achtete, konnte er normalerweise genau unterscheiden, ob junge Mädchen vorbeiliefen, eine alte Frau auf dem Weg zum nahe gelegenen Friedhof war oder ob ein Liebespaar durch die Straßen schlenderte. Heute regte nur wenig zu Ratespielen an. Ab und zu fiel ein Geldstück auf seinen Teller. Am unterschiedlichen Ton des metallischen „Klick“ erkannte er den Wert der Münzen. Er dankte jedes Mal mit einem leisen „Vergelt´s Gott.“ Oft geschah das nicht an diesem Morgen.
Ihm war kalt. Die Sonne hatte sich längst wieder hinter dicken, grauen Wolken versteckt. Doch diese Kälte hatte nichts mit den Temperaturen zu tun. Er litt unter der fehlenden menschlichen Wärme. Robert nahm seine dunkle Brille ab und rieb sich die geröteten Augen. Er starrte auf den Teller und folgte dann mit leerem Blick der Straße.

Da kamen sie angetanzt. Sie flatterten dicht nebeneinander auf Robert zu, bewegten sich voneinander weg und schwebten in synchron ablaufendem Rhythmus gemeinsam weiter. Ihre zarten Flügel zitterten. Das leuchtende Gelb des Zitronenfalters konkurrierte mit dem Grau der Hausfassaden. Der Kohlweißling war blaß, zart und nahezu durchscheinend. In wellenförmigen Bewegungen kamen sie voran, erreichten den Bettler. Sie tanzten vor seinen Augen auf und ab, vollführten anmutige Pirouetten und ließen sich – wie auf Kommando – gleichzeitig auf dem schmuddeligen Ärmel von Roberts Jacke nieder. Der streckte vorsichtig seinen Arm aus, bewegte ihn langsam auf und ab. Er betrachtete aufmerksam die zarten Falter, lächelte, wollte mit dem Zeigefinger die zarten Flügel berühren, ließ es dann aber sein. Verstört wurde ihm bewusst, dass er damit das zarte Gewebe zerstören würde. Und außerdem, wenn ihn jemand dabei beobachtete ...

Robert folgte dem erneuten Start der Falter mit den Augen. Ein Schatten fiel auf sein Gesicht. Er sah die beiden Uniformierten an. Sofort erhoben sich die unsichtbaren Schmetterlinge in einem Pulk und revoltierten in seinem Magen.
„Ihren Gewerbeschein und Ihren Blindenausweis, bitte!“, forderte ihn einer der Beamten sehr höflich auf.
Zitronenfalter und Kohlweißling hatten längst die Flucht ergriffen. Robert konnte es nicht.

Letzte Aktualisierung: 16.11.2012 - 15.34 Uhr
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