Einer Autopanne haben wir es zu verdanken, dass wir hier Rast machen mĂŒssen. Das kleine Gebrechen an unserem Wagen wird bald behoben sein, so hat man es uns versprochen, und Paul kĂŒmmert sich darum. Ich soll hier auf ihn warten und mir an diesem spĂ€ten Nachmittag die Zeit vertreiben. Paul ist mein Bruder, mein kleiner Bruder ĂŒbrigens, gerade dreiĂig ist er geworden, und dass wir am Tag vor dem 24. Dezember gemeinsam unterwegs sind, ist eine alte Tradition in unserer Familie. Jedes Jahr vor Weihnachten besuchen wir unsere Tante Katalin, die im slowakischen Raum daheim ist. Das heiĂt, eine echte Tante ist sie nicht, sie hat nur lange in unserem Elternhaus gelebt und gearbeitet, und wir haben sie heiĂ geliebt; das tun wir immer noch und darum wird sie mindestens einmal im Jahr von uns besucht, aber eben um Weihnachten herum immer, das ist uns ein echtes Anliegen, und wir lassen uns durch nichts an diesen Besuchen hindern.
Zwei, drei Jahre hintereinander war Pauls Freundin auch dabei und viel öfter auch mein eigener Mann, nun sind beide nur mehr blasse Erinnerungen in unserem Leben, und wir reden auch nicht allzu oft ĂŒber sie. Manches ist eben nicht von Dauer.
Jetzt sind wir auf der Heimreise, den Heiligen Abend werden wir bei unseren Eltern feiern. Und dann hat uns der Schaden an unserem Auto fast einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber wir haben eine offene WerkstÀtte gefunden, die sich der Sache annimmt.
Das Dorf nahe der Donau, in dem wir gelandet sind, hat seine HĂ€user malerisch an eine schmale, kurvige StraĂe gebettet. Es hat sachte zu schneien begonnen, genau passend zum vorweihnachtlichen Datum. Der Platz vor der Kirche, wo ein kleiner Weihnachtsmarkt seine lĂ€ndlichen SchĂ€tze zeigt, ist mit weiĂem Flaum ĂŒberzogen. Schaut direkt nach Kulisse in einem Film aus, ist aber ganz echt. Ich gehe umher, betrachte den Christbaumschmuck und die angebotenen Backwaren, das liebevoll arrangierte Spielzeug und die bunten Handarbeiten. Irgendwann spĂŒre ich, dass ziemlich intensive Blicke auf mich gerichtet sind â das bin ich ja noch einigermaĂen gewohnt â und wende mich, vielleicht nicht ganz unauffĂ€llig, in Richtung dieser Augen. Sie gehören zwar nicht dem Weihnachtsmann persönlich, aber doch jemand anscheinend sehr Nettem, nicht mit weiĂem Voll-, sondern mit einem leicht angegrauten Drei-Tage-Bart, und er trĂ€gt auch keinen roten pelzverbrĂ€mten Mantel. Dieser Mann hat einen dunklen Trenchcoat an, und das, was neben ihm steht, ist kein Rentier, sondern ein groĂer, brauner Hund mit ganz reizenden Schlappohren.
Ich schlendere in Richtung der beiden und bleibe neben ihnen stehen. Auf einem Weihnachtsmarkt mit einem Mann ins GesprÀch zu kommen, ist einfach, noch einfacher ist es mit einem Mann mit Hund. Ich mag Tiere aller Art und sie mögen mich, ganz ausnahmslos.
âSie haben einen schönen Hund, wie heiĂt er denn?â
Ja, ja, wie gesagt, so ein GesprĂ€ch mit einem Hundemann ist einfach, in diesem Fall wĂ€re sie auch ohne Hund, der ĂŒbrigens Anton heiĂt, eine leichte Sache. Wie selbstverstĂ€ndlich sind wir jetzt zu dem GlĂŒhweinstand hinĂŒber gegangen und trinken ein Glas Punsch. Zu dritt stehen wir unter dem kleinen Vordach, es wird schon dunkel. Es schneit ein wenig stĂ€rker und mir ist so schön warm, warm an Körper und Seele, so als wĂŒrde ich Anton schon lange kennen und seinen Besitzer auch.
Die Sache mit unserer Autoreparatur scheint doch lĂ€nger zu dauern, mein Bruder hat noch nichts von sich hören lassen, und ich bin ungemein froh darĂŒber. Der Mann, der zu Anton gehört, hat den Arm um meine Schultern gelegt; er denkt wohl, dass mir kalt ist oder kalt werden könnte, aber da hat er nicht recht. Ich lehne mich an ihn, wĂ€hrend ich Antons lange Ohren kraule. Kann man wirklich so ĂŒberzeugend das GefĂŒhl haben, einen Mann schon ewig lange zu kennen, dem man gerade erst begegnet ist? Aber darĂŒber will ich gar nicht nachdenken.
Wir reden dies und das, er erzĂ€hlt mir allerhand. Wir wohnen gar nicht so weit voneinander entfernt, er ist auch auf der Durchreise, so wie Paul und ich. Er ist geschĂ€ftlich unterwegs und hat Anton mit nehmen mĂŒssen. Er lebt allein und hat auch niemanden, der Anton beaufsichtigen könnte, und zu einer Hundepension fehlt ihm das rechte Vertrauen.
Lange ist es her, dass ich mich in der völlig unerwarteten Umarmung eines Mannes so wohl gefĂŒhlt habe, in einer Umarmung, die nur darin besteht, dass er meine Schultern umfasst hĂ€lt; in einer ganz unauffĂ€lligen Umarmung mitten im dichten Treiben eines Dorfmarktes, an einem Winterabend im Flockengewirr; an einem Abend, an dem wir uns dennoch allein und ungestört fĂŒhlen, dieser Mann, sein Hund und ich.
Wie spĂ€t ist es eigentlich schon? Unser Auto scheint doch einen gröĂeren Schaden zu haben. Viele der Weihnachtsmarktbesucher machen sich schon auf den Heimweg, rings um uns wird es allmĂ€hlich leer.
âIch werde das nĂ€chste halbe Jahr im Ausland unterwegs sein, ich kann Anton unmöglich mitnehmen. Ich weiĂ aber noch nicht, wer ihn zu sich nehmen kann fĂŒr so eine lange Zeit, das macht mir schlaflose NĂ€chte!â
Ich will auf keinen Fall, dass dieser Mann schlaflose NĂ€chte hat. Eigentlich ist es, wenn man es so recht bedenkt, ein Zufall, dass ich keinen Hund habe. In Wahrheit wollte ich immer schon einen. Gut, einen Beruf habe ich auch, aber ich kann es mir vielleicht doch besser einteilen und ins Ausland muss ich im nĂ€chsten halben Jahr sicher nicht. Und er wird Anton wieder sehen wollen, wenn er zurĂŒck kommt, das ist völlig sicher. Anton sehen, ja, das kann er, aber hergeben werde ich ihn wohl nicht mehr. Aber da wird sich schon eine Lösung finden.
Als Paul eine Stunde spÀter mit dem reparierten Auto auftaucht, stehen wir immer noch in diesem leichten Schneetreiben, ein Mann, eine Frau und ein Hund. Es ist schon lange dunkel, wir sind mittlerweile fast ganz allein.
âWir werden zu dritt auf der Heimreise seinâ, sage ich zu meinem Bruder.
âDas ist Anton, und er fĂ€hrt sehr gerne Auto.â
Letzte Aktualisierung: 16.12.2012 - 20.34 Uhr Dieser Text enthält 6000 Zeichen.