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Winterabend | Dezember 2012

Gina, die am Weihnachtsabend kam
von Gabriele Maricic-Kaiblinger

Seit den frühen Morgenstunden schon, schlich sie ums Haus. Immer wieder schaute Andrea zum Fenster hinaus und sah sie da sitzen. Das buschige schwarze Fell bot einen Kontrast zum verschneiten Garten. Ihr war, als würden die Blicke aus den großen smaragdfarbenen Augen der Katze sie regelrecht durchdringen. Sie mochte keine Katzen, sie waren ihr unheimlich. Das Mystische, das diese umgab, machte ihr Angst.
Als ihr Mann und die Kinder zum Frühstück kamen, warf sie nochmals einen Blick in den Garten ... das Tier saß noch da. Andrea seufze leise. Der zehnjährige Markus und die achtjährige Anna wünschten sich schon lange eine Katze. Auch ihr Mann Robert wäre einem schnurrenden Stubentiger, wie er sich ausdrückte, nicht abgeneigt. Doch diesen Wünschen hatte sie stets ein schnelles Ende bereitet, indem sie einfach nicht drauf einging. Und nun saß da diese Katze im Garten und wenn die Kinder sie sahen, dann ...
"… ein Kätzchen ..." hörte sie da ihre Tochter sagen und blitzschnell kam aus ihrem Mund: "Die bleibt draußen. Ihr holt sie nicht rein. Verstanden!" Robert und die Kinder sahen sie verdutzt an. Sie hatten bereits den Tisch abgeräumt und mit einem Brettspiel begonnen. So sehr war Andrea in Gedanken versunken gewesen, dass sie dies gar nicht bemerkt hatte. Markus reagierte als Erster und lief zum Fenster. "Da ist ja gar keine Katze." Das klang enttäuscht. Anna sah gleichfalls nach und kehrte ebenso enttäuscht zum Tisch zurück. "Tja ... äh ... darf ich mitspielen ...?" stammelte Andrea verlegen, aber Markus belehrte sie: "Ach Mama, doch nicht mitten im Spiel."
Sie lächelte, zuckte mit den Schultern und ging schnell rauf in die Schlafzimmer, um sich mit Bettenmachen abzulenken. Als sie am Balkon stand und die kalte, würzige Dezemberluft einatmete, war jedoch die Katze wieder da und blickte mit großen Augen zu ihr herauf. Sie miaute nicht, maunzte nicht, saß nur da und starrte. Andrea erschrak. Schnell machte sie die Betten und hoffte, die Katze würde so lautlos verschwinden, wie sie erschienen war.

Die Kinder liefen nun öfter zum Fenster, um die dicken Schneeflocken zu bewundern, die jetzt ebenfalls lautlos vom Himmel wehten. Aber nie erwähnten sie die Katze. Doch wenn Andrea dann und wann einen verstohlenen Blick riskierte, war die Katze immer da und blickte ihr mit ihren runden Augen geradewegs ins Gesicht.
Als sie gemeinsam das Haus verließen, um einkaufen zu gehen, drehte Andrea ihren Kopf nach links und rechts und ... "Was suchst du denn?" fragte Robert. Sie zuckte zusammen. "Äh nichts ... da ist doch nichts oder?". Robert schüttelte verwundert den Kopf und die Kinder waren sowieso schon zum Auto gelaufen und wischten den Schnee herunter. Niemand außer ihr schien die schwarze Katze zu bemerken, die wiederum da saß, als Andrea sich nocheinmal umdrehte.

Nach dem Mittagessen schickte Andrea Robert mit den Kindern weg und machte sich ans Christbaumschmücken. Das geheimnisvolle Tier saß im Garten und machte sie nervös. Schließlich klapperte sie die gesamte Reihenhaussiedlung ab, doch niemand wusste, wem eine Katze, auf die diese Beschreibung passte, gehören könnte.
Andrea traf weiter ihre Weihnachtsvorbereitungen. Dann und wann dazwischen ein Blick in den Garten. Sie war da, jedes Mal. Geduldig, ruhig, als würde sie auf etwas warten, mit Augen, die stets noch ausdrucksvoller schienen, so klug und so wissend. Andrea fühlte sich zunehmend fasziniert, doch damit konnte sie noch nicht so recht umgehen.
Als sie zum Briefkasten am Gartenzaun ging, saß die Katze ebenfalls an ihrem gewohntem Platz. Andrea holte die Post raus, und als zurück ins Haus wollte, saß das Tier plötzlich vor der Eingangstür. Andrea stockte kurz, dann schritt sie auf die Tür zu, blieb kurz davor stehen. Die Katze bewegte sich nicht, sah sie nur aus großen Smaragd-Augen an. Andrea schluckte, sah sie ebenfalls an und eigenartiger Weise schwand langsam die Angst von ihr.

Später machten sie sich alle zusammen auf den Weg zur Kindermette. Keine Katze saß da, als die Familie das Haus verließ, doch als Andrea nochmals zurückblickte, saß sie wieder vor der Eingangstür und es ergriff Andrea ein Gefühl, als ob sie jemand Vertrauten zurückließ. Während der Messe wanderten ihre Gedanken immer wieder zu der Katze. Sie wollte diese Gedanken abschütteln, doch es half nichts. Dann, beim Verlassen der Kirche sah sie das Tier neben dem Kirchentor sitzen, was abermals niemand anders zu bemerken schien.
Vor sich hin grübelnd, sodass sie das Geplänkel ihrer Kinder und Roberts, gar nicht mitbekam, schlich Andrea heimwärts. Und erschrak, als die Katze vor der Haustür saß, aber diesmal war es ein freudiger Schreck. Ihre Lieben stürmten hinter ihr in den Garten und Gina, wie sie die Katze plötzlich in Gedanken nannte, war weg.
Sie bereitete das Abendessen und sah immer wieder zum Fenster raus, unbemerkt von ihrer Familie, die sich wieder dem Spielen gewidmet hatte, doch Gina war wie verschwunden.

Das Glöckchen klingelte und die Kinder stürmten ins weihnachtliche Zimmer. Erst wurden Weihnachtslieder gesungen, dann las Markus eine Geschichte vor. Doch während der Bescherung, tönte plötzlich ein lautes Miauen von draußen herein. Trotz des Lärms, den die Kinder beim Geschenkeauspacken machten, hörten es alle. Anna lief als erste zur Tür und machte auf. Die Katze spazierte herein. Ganz selbstverständlich, als gehörte sie schon immer hierher und wäre nur kurz draußen gewesen. Andrea musste lächeln. "Das ist Gina", sagte sie nur und während die anderen sie erstaunt ansahen, bückte sie sich und streichelte das kuschelige Tier.
"Gehört die jetzt uns?" fragte Anna.
"Ja", antwortete Andrea, "sie hat sich uns ausgesucht."

Letzte Aktualisierung: 21.12.2012 - 09.10 Uhr
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