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Winterabend | Dezember 2012

Johnny Walker kommt
von Eva Fischer

Um 17 Uhr schaltet der Himmel den Strom ab, zugegeben etwas zögerlich. Die hellen mausgrauen Farben changieren ins dunkle Granitgrau, bevor das Schwarz sich endgültig durchsetzt.
Tausende Lichter versuchen dagegen zu halten. Straßenlaternen, erleuchtete Fenster, Weihnachtsbaumglühbirnen, Autoscheinwerfer, Reklamelämpchen...
Vergeblich. Am Ende bleibt ein schmutziges Schwarz mit lila Kondensstreifen.

Ich arbeite bis 20 Uhr in einem Getränkeshop. Er nennt sich „Quelle der Glückseligkeit“.
So kitschig wie der Name ist auch unsere Deko. Wie ein Regenbogen versprühen kleine Birnchen alle nur möglichen elektrisch aufgeladenen Farben in unserem Schaufenster, was die potentiellen Käufer in ein Diskofieber versetzen soll. Meist stürmen sie jedoch achtlos an dem Elektrosmog vorbei und verlangen nach dem, was ihren Feierabend erhellen soll.
Bier geht immer. Glühwein wird jetzt dem kalten Weißwein vorgezogen. Whisky hat Hochkonjunktur. Wasser oder Cola werden auch gern genommen, um sich zwischendurch aus dem Sumpf des Vergessens wieder an die Oberfläche zu spülen, sich für die nächste Runde fit zu machen oder wahlweise für den nächsten Arbeitstag.

Gegen 21 Uhr öffne ich die verrottete Eingangstür meines Wohnhauses, die jeder Karatekämpfer mit einem Schlag aus den Angeln heben könnte. Der blecherne Postkasten quillt über von Reklame. Ich schaue nach, ob etwas von der „Quelle der Glückseligkeit“ dabei ist, bevor ich den Rest auf den bestehenden Haufen im schwach beleuchteten Flur werfe. Wichtige Informationen gibt es nur per E-Mail oder auf Facebook. Um so überraschter bin ich, als zwischen all dem Werbewust noch ein Zettel mit persönlicher Handschrift auftaucht.

„Der Tag geht, Johnny Walker kommt“, steht drauf.

Ist das nun ein Angebot oder eine Drohung?
Wie ein Dealer würde auch ich den Alkohol, den ich verkaufe, nie selbst konsumieren, aber natürlich haben wir auch Johnny Walker Whisky im Angebot.
Da hat sich wohl einer einen schlechten Scherz erlaubt, denke ich, als ich die Tür zu meinem Zweizimmer- Appartement Parterre aufschließe. Besonders aufgeräumt sieht es nicht aus. Mein Bett verharrt noch im selben Zustand, in dem ich es heute Morgen verlassen habe. Da kein Weiberbesuch ansteht, sehe ich das nicht als tragisch an, ziehe mir die Schuhe aus und hole mir eine Bionade mit Fassbrause- Holundergeschmack aus dem Kühlschrank, schalte das Radio an.
„Johnny, du bist mein bester Freund“ röhrt Marius Müller-Westerhagen.
Der meint doch nicht etwa?? Doch!
„Johnny Walker immer braun gebrannt“ ertönt es mitleidlos weiter.
Verdammt. Der Kerl ist lästig.
„Johnny Walker, ich glaub’ nicht an den Quatsch. Johnny Walker, du wärst ne Teufelsfratz.”
Solltest du aber, Marius! Mir ist jedenfalls der Quatsch zu viel und ich wechsle den Sender.

Meine Mutter ruft mich einmal in der Woche an, um ihr soziales Gewissen zu beruhigen. Heute ist Mittwoch, heute ist Mutti-Anruftag. Wegen Johnny Walker habe ich das glatt vergessen und schrecke zusammen, als mein Handy „Sexbomb“ stimmlos intoniert.
Seit der letzten Woche hat sich nichts Weltbewegendes zugetragen und so erzähle ich von meinem anonymen Brief.
Meine Mutter bricht in schallendes Gelächter aus.
„Oh, wie süüüß!“, als handle es sich um einen Liebesbrief.
„Das waren noch Zeiten.“
Spätestens jetzt sollte ich das Handy auf Abstand halten. Die Zeiten vor mir sind mir piepe und dass sie besser waren, geschenkt.
„Ja, das war noch Werbung“, gurrt meine Mutter wie eine Taube, der gerade das Ei des Kolumbus aus den Pobacken gefallen ist. Ich täusche eine Magenkolik vor und verabschiede meine Mutter. Fortsetzung folgt nächsten Mittwoch.

Ralph, mein Chef, sieht mich süffisant von der Seite an, als ich am nächsten Morgen die Bierkästen einräume.
„Gut geschlafen, Johnny?“
„Ich heiße nicht Johnny, sondern Johannes“, knurre ich.
„Und warum sollte ich nicht gut geschlafen haben?“
„ Holunderbionade zaubert unbeschwerte Träume“, grinst er so breit wie ein Pferd, das sich gerade einen Joint eingeworfen hat.
Ich zucke die Achseln. Ralph mit PH kann mich mal.
Dennoch, das Whiskyregal zieht mich heute irgendwie magisch an. Ich schaue mir den Kerl mit der gestreiften Hose und dem coolen Käppi genauer an und beschließe, eine Flasche Johnny Walker nach Hause zu nehmen. Man muss dem Feind ins Auge sehen, wenn man ihm eins auf die Mütze geben will.

Als ich abends den Postkasten öffne, fliegt mir das Blatt Papier schon entgegen.

„Der Tag geht, Johnny Walker kommt.“

Nichts Neues, nur die Farbe des Stifts wurde gewechselt. Gestern war sie schwarz, heute rot. Irgendwie kommt mir die Handschrift bekannt vor, aber wann kriege ich schon einen Brief?
Mir ist heute nicht nach Musik, also schalte ich kein Radio an. Ich stelle Johnny Walker auf den Tisch und proste ihm mit Kirschbionade zu.
Nun hat der Kerl ja doch den Weg in meine Wohnung gefunden, denke ich amüsiert, als die Töne von „Sexbomb“ die Stille durchbrechen. Es ist Jenny, wie ich am Display sehe. Mein Bett ist heute aufgeräumt, sie kann es mir gerne wieder verwuscheln, finde ich und stelle mir ihrem perfekten Busen vor. Ihre eiskalte Stimme jedoch schickt mein persönliches Thermometer in den Keller.
„Ich muss dir was sagen, Johannes.“
Sie nennt mich nie Johannes, sondern liebevoll Jo und Sätze, die so anfangen, hören meist schlecht auf.
Tatsächlich verklickert sie mir, dass sie sich neu verliebt hat, in Ralph!!!
Ich fasse es nicht. Seit wann leidet meine süße Jenny an Geschmacksverirrung?
„Du machst einen Joke“, ist auch alles, was mir dazu einfällt.
Nein, macht sie nicht. Einer ist hier falsch verbunden. Ich beende das sinnlose Gespräch mit einem Druck auf die rote Taste.

Rot scheint heute Abend definitiv meine Farbe zu sein.
Am liebsten würde ich den grienenden Johnny Walker nebst Flasche gegen die Wand knallen.
Hätte ich das mal getan!!
So fülle ich mein leeres Bionadeglas mit Whisky auf.
Er schmeckt abscheulich! Es ist mir schleierhaft, warum Johnny Walker in den dunklen Winterabenden bei unseren Kunden Hochkonjunktur hat.
Nachdem mir die Magenwände fast weggeätzt sind, macht sich dort eine wohlige Wärme breit, eine Wärme, die mir Jenny geben sollte, aber die sie mir leider nicht gibt, weil sie einem Volltrottel auf den Leim gegangen ist.
Ralph mit PH! Wie kann man nur so tief fallen?
Morgen werde ich den Kerl erdolchen. Wenn ich die Flasche geschafft habe, eignet sie sich prima als Mordinstrument. Einmal auf die Fliesen knallen lassen und schon habe ich eine messerscharfe Klinge.
Die Flasche geht zu Boden. Sie ist allerdings noch nicht leer. Dafür bin ich ziemlich voll und verspüre nur noch den Wunsch, das ganze Zeug auszukotzen und mich in mein gemachtes Bett zu rollen.

Der nächste Tag ist Nikolaus. Wie jedes Jahr wird sich Ralph als Weihnachtsmann verkleiden, mit einem weißen Bart, der zum Glück sein dämliches Gesicht zur Hälfte verhüllt. Mit blöden Ho, ho Rufen versucht er den Kunden, sein Gesöff anzudrehen.
Ich frage mich, ob ich mir diese Vorstellung sparen soll, aber ich will diesem aufgeblasenen Weihnachtszwerg noch einmal die Meinung geigen, bevor ich ihm die Kündigung vor seine billigen Stiefel werfe.
Ich löse eine Kopfschmerztablette in Wasser auf und nehme sie statt Toast zu meinem Kaffee.

Obwohl es erst 10 Uhr morgens ist, blinken die Lichter zur „Quelle der Glückseligkeit“ schon hektisch im aschfahlen Winterhimmel.
Ralph hat sich als Johnny Walker verkleidet und blinzelt mir verschwörerisch zu.
Ich fasse es nicht.
Hinter den Regalen taucht Jenny als weißes Engelchen auf.
Sie küsst mich, als hätten wir gestern gemeinsam eine heiße Nacht erlebt.
Bin ich im falschen Programm?
„Ho, ho“, hebt der falsche Johnny Walker zur falschen Melodie an.
„Bist du unter die Whisky Freunde gegangen?“
Obwohl es in meinem Kopf wummert wie in einer Tausend Volt Maschine, hat mein Gehirn gerade Sonnenaufgang.
„Habt ihr beiden mich verarscht?“, frage ich und schaue Ralph frontal in seine verwässerten Augen.
„Neiiiiiin!“ schallt es unisono im Chor.
„Ich dachte nur, ein Whiskyverkäufer sollte Ahnung von seinem Produkt haben. Es wurde doch Zeit, dass der Bionadetrinker endlich eine Alkohol-Taufe kriegt.
“Sein Ho, ho Grinsen lässt mich endlich das tun, was ich schon immer wollte.
Mit meiner Rechten schlage ich treffsicher in sein Pferdegesicht, das ohne weißen Bart eine sichere Zielscheibe abgibt.
Johnny Walker geht zu Boden.
„Ich kündige“, rufe ich laut, als ob Johnny Walker nicht nur das Gleichgewicht, sondern auch das Gehör verloren hätte.
„Akzeptiert“, höre ich im Untergrund.
„Und lass dich hier nie wieder blicken, du humorloses Weichei!“ zischt er wütend.
Bevor Ralph noch weitere Komplimente einfallen, verlasse ich eilig die „Quelle der Glückseligkeit.“
Mein Engelchen leuchtet mir den Weg mit seinen blütenweißen Flügeln, die hell im platingrauen Dezemberhimmel strahlen.

Letzte Aktualisierung: 04.12.2012 - 18.45 Uhr
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