Diese Seite jetzt drucken!

Winterabend | Dezember 2012

Ein ganz normaler Winterabend
von Gerhard Fritsch

Rob the Mob saß gemütlich in seinem Wohnzimmersessel und beobachtete mit gutmütigem Gesichtsausdruck seine pausbackigen Kinder, die gierig in dampfende, mit Zimt und Zucker bestreute Bratäpfel bissen. An den Fenstern hatten sich Eisblumen gebildet, denn es herrschte bittere Kälte in diesem Winter. Die wohlige Wärme in der Stube aber tat gut, und Rob the Mob war gerade im Begriff einzunicken, als plötzlich die Türe aufgerissen wurde und ein eisiger Wind hereinwehte. Ein grimmig dreinblickender Mann klopfte sich den Schnee von seinem Mantel und stellte sein Gewehr in einer Ecke ab. Die Kinder erschraken und zogen sich weinend unter den Christbaum zurück. Rob the Mob aber drehte seinen Kopf in Schräglage und fragte freundlich lächelnd, was seinen Freund Brozkott denn bei solchem Wetter zu ihm führe. Da begann Brozkott, der gemeinhin als „Böser Jäger Brozkott“ bezeichnet wurde, mit weinerlicher Stimme sein Leid wehzuklagen. Wuschl, erzählte er, habe ihn so sehr geärgert, dass er ihn ein wenig erschrecken wollte, daraufhin sei er aber ganz verschwunden und nicht mehr zurückgekehrt. Dafür würde er jetzt auf Schritt und Tritt von diesem stinkenden Fuchs verfolgt, wobei Rob the Mob erst jetzt den verwahrlost aussehenden Begleiter Brozkotts bemerkte.

Es hatte sich zu jener Zeit nämlich zugetragen, dass Wuschl sich in Fienchen verliebte, die sich auf der Suche nach Futter zu nahe an den Jägersitz herangewagt und dabei von ihm überrascht worden war. Fienchen war der Verzweiflung nahe gewesen, denn ihre Mutter konnte in diesem strengen Winter ihre Kinder nicht mehr gut genug ernähren. Dazu kam, dass Fienchens Stiefvater nicht bereit war, mit den Jungen zu teilen, ja noch nicht einmal mit Fienches Mutter. Wuschl, dem Fienchen den Kopf verdreht hatte, half, indem er ihr über mehrere Tage hinweg vom Vesper Brozkotts gab: Schinkenbrote, Speck und sogar Brötchen mit warmem Leberkäse. Brozkott hatte davon nichts mitbekommen, denn er hatte sich jeden Tag am mitgebrachten Jägermeister gütlich gehalten, der ihn vor der Kälte schützte, aber auch seine Aufmerksamkeit beeinträchtige. Nach drei Tagen hatte er allerdings Verdacht geschöpft, weil er sich nicht erinnern konnte, den Vesper selbst aufgegessen zu haben. Brozkott verzichtete tags darauf auf den Jägermeister und erwischte Wuschl, wie er sich gerade wieder an seinem Rucksack zu schaffen machte. Grimm stieg ihm da in den Kopf und er jagte Wuschl eine Kugel in den Hintern. Als er aber vom Jägersitz herabgestiegen war, konnte er ihn nicht mehr finden, denn Wuschl war gemeinsam mit Fienchen in den Bau ihrer Eltern geflohen. Dummerweise verriet die Blutspur Wuschls das Versteck und Brozkott machte sich daran, den Bau auszuräuchern. Doch wie das Schicksal oft so spielt, kam in jener Nacht zufällig die Gute Fee Beorela auf ihrem Einhorn reitend vorbei. Sie erkannte sofort die bösen Absichten Brozkotts und die Bedrängnis der Schutzsuchenden, woraufhin sie den Jäger mit einem Zauberspruch von seinem Tun abhielt. Sie holte Fienchen, ihre Mutter, ihre Geschwister und natürlich den verletzten Wuschl auf ihr Einhorn und verbrachte sie in eine Gegend, in der sie für immer von Geschöpfen wie dem Bösen Jäger Brozkott Ruhe haben. Brozkott selbst konnte nichts dagegen unternehmen, denn obwohl der Zauberspruch seine Wirkung verloren hatte, war er von der Erscheinung der davonreitenden Fee, die trotz der bitteren Kälte nur mit einem hauchdünnen halbdurchsichtigen Gewand bekleidet war, so geblendet, dass er nicht mehr fähig war, das Gewehr anzulegen.

Rob the Mob, der eine Flasche Jägermeister und zwei Gläser berbeigeholt hatte, blickte Brozkott mit einer Mischung aus sorgenvollem Verständnis und wissender Hilfsbereitschaft an. Dezent lächelnd holte er ein Buch hervor, geschrieben von Senior-Autorinnen und – Autoren für Senior-Leserrinen und –Leser, und begann vorzulesen. Nach ein paar Sätzen schon legten sich entspannte Züge auf das Gesicht seines Freundes und aus dem Bösen Jäger Brozkott wurde ein friedlich schlummerndes Schaf. Rob the Mob war innerlich aufgelöst vor Freude, dass er ihm hatte helfen können. Mit zur Seite geneigtem Kopf und einem gönnerhaften, von Zufriedenheit kündendem Lächeln, wie man es sonst nur von Päpsten kennt, lehnte er sich in seinen gemütlichen Wohnzimmersessel zurück, zu dessen Füßen es sich der verwahrloste Fuchs bereits gemütlich gemacht hatte.

Letzte Aktualisierung: 07.12.2012 - 20.05 Uhr
Dieser Text enthält 4441 Zeichen.


www.schreib-lust.de