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Winterabend | Dezember 2012

Weihnachtsreise
von Johanna Sibera

Einer Autopanne haben wir es zu verdanken, dass wir hier Rast machen müssen. Das kleine Gebrechen an unserem Wagen wird bald behoben sein, so hat man es uns versprochen, und Paul kümmert sich darum. Ich soll hier auf ihn warten und mir an diesem späten Nachmittag die Zeit vertreiben. Paul ist mein Bruder, mein kleiner Bruder übrigens, gerade dreißig ist er geworden, und dass wir am Tag vor dem 24. Dezember gemeinsam unterwegs sind, ist eine alte Tradition in unserer Familie. Jedes Jahr vor Weihnachten besuchen wir unsere Tante Katalin, die im slowakischen Raum daheim ist. Das heißt, eine echte Tante ist sie nicht, sie hat nur lange in unserem Elternhaus gelebt und gearbeitet, und wir haben sie heiß geliebt; das tun wir immer noch und darum wird sie mindestens einmal im Jahr von uns besucht, aber eben um Weihnachten herum immer, das ist uns ein echtes Anliegen, und wir lassen uns durch nichts an diesen Besuchen hindern.

Zwei, drei Jahre hintereinander war Pauls Freundin auch dabei und viel öfter auch mein eigener Mann, nun sind beide nur mehr blasse Erinnerungen in unserem Leben, und wir reden auch nicht allzu oft über sie. Manches ist eben nicht von Dauer.

Jetzt sind wir auf der Heimreise, den Heiligen Abend werden wir bei unseren Eltern feiern. Und dann hat uns der Schaden an unserem Auto fast einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber wir haben eine offene Werkstätte gefunden, die sich der Sache annimmt.

Das Dorf nahe der Donau, in dem wir gelandet sind, hat seine Häuser malerisch an eine schmale, kurvige Straße gebettet. Es hat sachte zu schneien begonnen, genau passend zum vorweihnachtlichen Datum. Der Platz vor der Kirche, wo ein kleiner Weihnachtsmarkt seine ländlichen Schätze zeigt, ist mit weißem Flaum überzogen. Schaut direkt nach Kulisse in einem Film aus, ist aber ganz echt. Ich gehe umher, betrachte den Christbaumschmuck und die angebotenen Backwaren, das liebevoll arrangierte Spielzeug und die bunten Handarbeiten. Irgendwann spüre ich, dass ziemlich intensive Blicke auf mich gerichtet sind – das bin ich ja noch einigermaßen gewohnt – und wende mich, vielleicht nicht ganz unauffällig, in Richtung dieser Augen. Sie gehören zwar nicht dem Weihnachtsmann persönlich, aber doch jemand anscheinend sehr Nettem, nicht mit weißem Voll-, sondern mit einem leicht angegrauten Drei-Tage-Bart, und er trägt auch keinen roten pelzverbrämten Mantel. Dieser Mann hat einen dunklen Trenchcoat an, und das, was neben ihm steht, ist kein Rentier, sondern ein großer, brauner Hund mit ganz reizenden Schlappohren.

Ich schlendere in Richtung der beiden und bleibe neben ihnen stehen. Auf einem Weihnachtsmarkt mit einem Mann ins Gespräch zu kommen, ist einfach, noch einfacher ist es mit einem Mann mit Hund. Ich mag Tiere aller Art und sie mögen mich, ganz ausnahmslos.

„Sie haben einen schönen Hund, wie heißt er denn?“

Ja, ja, wie gesagt, so ein Gespräch mit einem Hundemann ist einfach, in diesem Fall wäre sie auch ohne Hund, der übrigens Anton heißt, eine leichte Sache. Wie selbstverständlich sind wir jetzt zu dem Glühweinstand hinüber gegangen und trinken ein Glas Punsch. Zu dritt stehen wir unter dem kleinen Vordach, es wird schon dunkel. Es schneit ein wenig stärker und mir ist so schön warm, warm an Körper und Seele, so als würde ich Anton schon lange kennen und seinen Besitzer auch.

Die Sache mit unserer Autoreparatur scheint doch länger zu dauern, mein Bruder hat noch nichts von sich hören lassen, und ich bin ungemein froh darüber. Der Mann, der zu Anton gehört, hat den Arm um meine Schultern gelegt; er denkt wohl, dass mir kalt ist oder kalt werden könnte, aber da hat er nicht recht. Ich lehne mich an ihn, während ich Antons lange Ohren kraule. Kann man wirklich so überzeugend das Gefühl haben, einen Mann schon ewig lange zu kennen, dem man gerade erst begegnet ist? Aber darüber will ich gar nicht nachdenken.

Wir reden dies und das, er erzählt mir allerhand. Wir wohnen gar nicht so weit voneinander entfernt, er ist auch auf der Durchreise, so wie Paul und ich. Er ist geschäftlich unterwegs und hat Anton mit nehmen müssen. Er lebt allein und hat auch niemanden, der Anton beaufsichtigen könnte, und zu einer Hundepension fehlt ihm das rechte Vertrauen.

Lange ist es her, dass ich mich in der völlig unerwarteten Umarmung eines Mannes so wohl gefühlt habe, in einer Umarmung, die nur darin besteht, dass er meine Schultern umfasst hält; in einer ganz unauffälligen Umarmung mitten im dichten Treiben eines Dorfmarktes, an einem Winterabend im Flockengewirr; an einem Abend, an dem wir uns dennoch allein und ungestört fühlen, dieser Mann, sein Hund und ich.

Wie spät ist es eigentlich schon? Unser Auto scheint doch einen größeren Schaden zu haben. Viele der Weihnachtsmarktbesucher machen sich schon auf den Heimweg, rings um uns wird es allmählich leer.

„Ich werde das nächste halbe Jahr im Ausland unterwegs sein, ich kann Anton unmöglich mitnehmen. Ich weiß aber noch nicht, wer ihn zu sich nehmen kann für so eine lange Zeit, das macht mir schlaflose Nächte!“

Ich will auf keinen Fall, dass dieser Mann schlaflose Nächte hat. Eigentlich ist es, wenn man es so recht bedenkt, ein Zufall, dass ich keinen Hund habe. In Wahrheit wollte ich immer schon einen. Gut, einen Beruf habe ich auch, aber ich kann es mir vielleicht doch besser einteilen und ins Ausland muss ich im nächsten halben Jahr sicher nicht. Und er wird Anton wieder sehen wollen, wenn er zurück kommt, das ist völlig sicher. Anton sehen, ja, das kann er, aber hergeben werde ich ihn wohl nicht mehr. Aber da wird sich schon eine Lösung finden.

Als Paul eine Stunde später mit dem reparierten Auto auftaucht, stehen wir immer noch in diesem leichten Schneetreiben, ein Mann, eine Frau und ein Hund. Es ist schon lange dunkel, wir sind mittlerweile fast ganz allein.

„Wir werden zu dritt auf der Heimreise sein“, sage ich zu meinem Bruder.
„Das ist Anton, und er fährt sehr gerne Auto.“

Letzte Aktualisierung: 16.12.2012 - 20.34 Uhr
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