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Winterabend | Dezember 2012

In Vergessenheit
von Carina Blumenroth

Es war so voll in der verdammten Innenstadt, die Menschen schoben ihre Körper langsam durch die Gassen der weihnachtlichen Straßen. Gemütlichkeit lag in der Luft und in jedem der zögerlichen Schritte der Menschenmassen.
Resignierend drängte ich mich an ihnen vorbei, damit ich so schnell es geht mein Ziel erreichen konnte.
Zeit ist Geld. Danach lebte man in der heutigen Zeit einfach.
Genießen konnte ich den Weihnachtsmarkt nicht, das wird erst kommen, wenn die Weihnachtsstimmung in jede meiner Fasern eigedrungen ist, wenn der normale Alltag in den Hintergrund gerät.
Wenn keine Termine und Pflichten hinter einem her hechten - wenn sich das Smartphone nicht durch das Klingeln bemerkbar machte und auf neue immer neue Erinnerungen hinweist. Dann setzt vielleicht auch bei mir das Gefühl der Besinnlichkeit ein. Aber auch erst dann.

Immer schneller habe ich versucht die Trödelnden hinter mir zu lassen, sah von weitem schon meinen Bus, den ich unbedingt erreichen wollte. In der letzten Minute sprang ich hinein, alle Sitzplätze waren belegt, ich konnte nur noch einen Stehplatz in der Mitte ergattern. Immerhin. Schon wurde wieder das Smartphone gezückt, die neusten E-Mails muss ich natürlich checken.

Kaum zu Hause angekommen, ist mir schon der verführerische Duft frisch gebackener Plätzchen entgegen gekommen. Welch krasser Gegensatz.
Ein gänzlich verdrängtes Gefühl hatte die Oberhand gewonnen.
Ist das die Besinnlichkeit? Ruhe? Geborgenheit?
„Hey Nina, Jessy und ich haben Plätzchen gebacken… kommst du auch?“, hat meine Mutter mich hoffnungsvoll gefragt. In der letzten Zeit hatte ich erschreckend wenig Zeit im Schoße meiner Familie verbracht. Das ist, so wie ich das herausgehört habe, bei Vielen so. Die Zeit und die ewige Erreichbarkeit scheinen einem einen ordentlichen Strich durch die Rechnung zu machen. Ja, es ist hektischer geworden als früher. „Ja, ich komme gleich“, erklärte ich, brachte meine Tasche in mein Zimmer, ehe ich mich ins Wohnzimmer begab.
Das Licht war gedimmt, wodurch sich behagliche Wärme in mir ausbreitet hat. Plätzchen in den verschiedensten Formen lagen in der alten Dose mit dem Weihnachtsmannmotiv, worin damals schon meine ersten selbstgebackenen Plätzchen Platz gefunden haben.
Ja, doch… ich hatte das wirklich vermisst.
„Soll ich noch schnell Tee holen?“, die Frage schien meinen Vater, seinem Blick nach, zu überraschen. „Gern…“, meinte meine Mutter, warf mir einen liebevollen Blick zu, meinem Vater einen mahnenden.
„Für mich Kakao“, rief meine kleine, mich sonst so nervende, Schwester und lachend nickte ich.

Ja, ich glaube, jetzt hatte mich die Besinnlichkeit eingeholt.
Während die Milch von der Mikrowelle erwärmt wurde, füllte ich schon mal den Tee für meine Eltern und mich in drei Tassen. Die ersten beiden Tassen balancierte ich ins behagliche, warme Wohnzimmer.

Kaum 5 Minuten später saß ich zwischen meinen Lieben, die ich in den letzten Monaten durch die hektischen Lebensumstände mit den neuen Medien, vernachlässigt hatte.

Draußen wurde es immer dunkler, während wir hier drinnen andächtig Kekse knabberten und Tee tranken. Es hat nach Kindheit, nach Geborgenheit, geschmeckt.
Mein Smartphone vibrierte auffordernd, zum ersten Mal, fand ich es wirklich störend, sodass ich die Augen verdrehte.
- „Hast du gerade tatsächlich die Augen verdreht?!“- Die völlig überraschte Stimme meines Vaters ließ mich aufblicken. Die Tasse noch vor dem Mund gehalten, in einer direkten Bewegung gestoppt, weil mein Verhalten ihn anscheinend so überrascht hatte.
„Soll vorkommen“, entgegnete ich grinsend und entriegelte mein Handy.
Lange habe ich auf den Knopf am oberen Rand des Geräts gedrückt – zum ersten Mal schaltete ich das Smartphone bewusst aus. „Was machst du da?“, hat meine Schwester mich mit einer unverbrauchten kindlichen Neugier gefragt.
„Ich hab mein Handy ausgemacht“, entgegnete ich ihr ruhig und nahm einen Schluck des karamellisierten Rooibos-Tees.
„Das kann man ausmachen!?“, die Bestürzung in ihrer verblüfften Stimme, hat mir erst einmal richtig bewusst, wie abhängig ich doch von dem Handy war. Es wahrscheinlich immer irgendwie sein werde.
Das Lachen unserer Eltern hallte durch den Raum: „Deine Schwester hat den Nagel auf den Kopf getroffen“, prustete sie.

„Spielen wir Kniffel?“, fragte Jessy aufgeregt, so spielten wir ein paar Partien des Würfelspiels.
Wir lachten zusammen, haben Kekse gegessen und den Abend genossen – das war der beste Familienabend seit langem.

Mit einem Lächeln setze ich den Stift ab und schaue mir noch einmal das Geschriebene an. Mein Abend.
Heute hat die Besinnlichkeit gegen die Hektik des Alltags gewonnen! – kritzele ich unter den Eintrag und klappe glücklich das Buch zu.

Letzte Aktualisierung: 26.12.2012 - 22.13 Uhr
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