Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Nullpunkt | Januar 2013
Trophischer Reigen
von Helga Rougui

Kuno hatte immer das Gefühl, sein Name erfordere es, daß er eine Rüstung trage, einen Helm mit Visier, eine glitzernde Lanze, mit der er sich zum schlechten Ende dann selbst aus Ungeschick erdolche.

Sein felliges Bäuchlein zitterte vor Grauen bei dem Gedanken an die Spitzigkeit der Waffe.
Denn eigentlich fand er eine Gabel schon ziemlich brutal.
Er hatte mal versucht, sich mit einer zu unterhalten, und er hatte festgestellt, daß sie eine häßliche Seele hatte – na ja, bei der akkurat scharfen, abweisenden Frisur.
Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie sie versuchte, mit einem Käsemesser zu kuscheln.

Kuno hatte beschlossen, seine Gabel nicht mit in den Koffer zu packen. Erstens hatte er seit Jahren nicht mit ihr geredet, genauer gesagt, sie nicht mit ihm. Und dann war sie ihm zu schlank, zu glatt, zu hart. Wenn er schon in eine ungewisse Zukunft zog, dann mit einer Partnerin, bei der er Trost und Hilfe finden konnte, wenn er denn solche brauchen sollte auf dem Wege in die Stadt.
Und seine Gier hatte ihn überhaupt erst auf dieses Abenteuer gebracht.
Die Gier auf eine geräumige Dreizimmerwohnung in Supermarktnähe, gerade freigeworden durch die wohl immanent familienbedingte Gefräßigkeit des nahen Verwandten, der vorher darin gelebt hatte. Dessen Gieper hatte sich auf einen fetten Brocken Käse gerichtet, und er hatte ihn auch bekommen. Allerdings war er dabei der mittlere Teil eines raffinierten Gourmetgerichtes geworden, das sich aus verschiedenen ineinander gefüllten Bestandteilen zusammensetzte, wie etwa Schweinefilet mit Pflaumen gefüllt, in denen jeweils eine Mandel steckte, um die eine Sardelle geschlungen war. Sein Onkel hatte den Part der Pflaume übernommen, und Kater Pauli hatte die höchste Position in der Nahrungskette innegehabt und erfreute sich als Inkarnation eines gefräßigen Schweinefilets eines gesättigten Appetits und bester Gesundheit.
Eine Beerdigung hatte es den Umständen entsprechend nicht gegeben, hatte der Nachrichtenspatz noch hinzugefügt, bevor er zum nächsten Abonnenten weiterflog. Jedenfalls - die Wohnung des Onkels war frei, Kuno war der Erbe.
Ein harter Winter im kargen Wald stand bevor.
Es gab schlechtere Perspektiven als eine gemütliche, geheizte Bleibe mit Nahrungsmittelzugang.
Um eventuelle Gefahren des Stadtlebens würde er sich vor Ort kümmern.

Er packte seinen Koffer – ohne Gabel - und ging zur Transportspatzhaltestelle.
Als der nächste Vogel Richtung Stadt kam, mußte Kuno feststellen, daß dieser zuviel gegorene Loganbeeren intus hatte und nur noch in Schlangenlinien flog, unterbrochen von ruckartigen Stoppversuchen, die der spontanen inneren Sammlung dienen sollten, letztlich aber nur bewirkten, daß die im Verlauf der Reise ins Grüngesichtige tendierenden Passagiere unaufhörlich beinahe, aber immer nur beinahe kotzen zu müssen glaubten. Bei der Ankunft an seinem Bestimmungsort war Kuno völlig aus der Fassung, im übrigen mußte er etwas angestrengt feststellen, daß sich sein Koffer unterwegs geöffnet hatte und sein Inhalt jetzt wohl längs der Flugroute über die ganze Heide verstreut sein dürfte.

Während er noch den Verlust seiner lilagepunkteten Latzhose betrauerte, kroch Kuno mit einem leeren Koffer an der Hand durch eine praktischerweise nicht allzu hoch über dem Erdboden angebrachte Klappe in der Tür des Hauses, das nun auch das seine werden würde. Er erschnupperte alsbald den Duft von Eiern, Kräutern, Salz und Käse – wodurch sich seine Laune, die nach der Reise auf dem Nullpunkt gelandet war, beträchtlich besserte - , und endlich, nach einem längeren letzten Fußmarsch, der von den knurrenden Rülpsern seines zusammengefalteten Magens begleitet wurde, landete er vor dem verwaisten Mauseloch seines Onkels.
Hoch oben über ihm, auf einem chromblitzenden weißmetallenen Monster, befand sich auf kleiner Flamme etwas im murmelnden Gespräch mit sich selbst.
Kuno, schon im Eintreten begriffen, verharrte und lauschte.

***

Mein Lebenslauf. Kurz. Unspektakulär. Aber, herrje, ich bin ein Omelett.
Geboren wurde ich aus Splittern, Trümmern und Zerstörung.
Sieben vollkommene ovale Entitäten, Organismen aus Klar und Dotter in einer festen Kalkrundung, mußten erleben, daß ihre Schutzpanzer so solide nicht waren.
Ein grausamer Pfannenrand knackte sie, schlug die erste Bresche, die Hülle brach, und eine zähe Masse ergoß sich ins aufzischende heiße Fett. Sieben gelbe Augen starrten an die Decke des Universums. Meine Rohform war geboren.
Gesprenkelt wurde mein siebenäugiges Antlitz mit Salz, Pfeffer, Kräutern. Eine Gabel, brutal und ungerührt wie alle Zinkenwesen, verquirlte metallen mein Gesicht, das sich zu gelbweißen Schlieren verzog, und während ich von unten stockte, wurde meine traurig verzerrte Oberseite gnädig bedeckt mit schmiegsamem Käse.

Nun brate ich hier auf niedrigem Feuer und harre des Schicksals, das mich fürderhin beuteln wird. Aus der Urerinnerung aller Omeletts vor mir spüre ich, was sich ereignen wird.

Es wird kommen der Moment des Lockerns vom Pfannenboden, des Zusammenklappens meiner einen Hälfte auf die andere, des Gleitens meiner perfekten Wesenheit auf den vorgewärmten Teller.
Der Moment der Vollendung meines Seins.
Warum, ach, warum nur ist meine Stimmung angesichts dieses Verlaufs der Ereignisse auf dem Nullpunkt angelangt?
Ich bedenke meine Zukunftsaussichten und verstehe. Es wird kein Entkommen geben.

***

Ich glaub, mein Eierkuchen ist gleich fertig.
Sollte mal nach ihm sehen.
Surfe aber grad so schön im Internet.
Rezepte für Raclette. Eigentlich ganz einfach. Lecker fetter Käse, und dazu alles, was man mag.
Eine Riesenfresserei im Grunde. Ganz in meinem Sinn. Da hilft auch die schönste Gehirnwäsche nix.

Wieviel ProPoints hat eigentlich so ein Omelett? Bestimmt mehr als null Punkte. Vor allem eins aus sieben Eiern. Und man rührt sie auch nicht in der Pfanne durcheinander, wie ich das eben in unkulinarischer Hast getan habe, sondern mixt sie vorher um die Häuser. Und vor allem der Käse. Käse ist streng verboten, lerne ich in meiner wöchentlichen Diätrunde, die keine Diätrunde sein will, sondern das gurugeleitete Treffen einer Herde von willigen Schafen, die einer neuen maßvoll zurückgenommenen Lebensweise demnächst routinemäßig und ohne Zweifel freiwillig zu frönen haben.
Es gibt nichts zu essen mehr, das aber jederzeit und reichlich.
Ich sitze meist da und folge dem immer gleichen Ablauf der Sitzung nur mit halber Aufmerksamkeit. Meine Gedanken wandern wie stets dahin, wohin sie sich keinesfalls bewegen sollten, nämlich zu der den Abend entscheidenden Frage: was – wenn dieser Versuch eines Umerziehungsakts hier beendet sein wird, der bei mir wie immer nicht fruchtet, was ziehe ich mir heute abend denn mal Leckeres an Land?
Ich rekapituliere kurz den Inhalt meines Kühlschranks. Und treffe voller Vorfreude meine Entscheidungen.

Der Eiergeruch wird kross und intensiv und dunkelbraun, ich glaub, ich muß mal nachschauen, sonst verbrennt mein Abendessen noch.

***

Dramatis personae: Kuno, Eierspeise, Ich
Ort: Küche
Zeit: kurz vor dem Abendessen

Kuno:
(hoch oben auf dem Herd, am Pfannenrand, die Eierspeise augenverschlingend)
... der Mond ...???

Eierspeise:
(sich angesichts der optischen Taxierung peinlich berührt in der Pfanne windend)
... Houston, ich habe ...???

Ich:
(angesichts der ungekämmten Feldmaus auf dem Herd kreischend die heiße Pfanne durch die dunstgeschwängerte Küche schwenkend)
... schon wieder ein Nagerproblem ...!!!

Kuno:
(im Mauseloch verschwindend)

Eierspeise:
(in hohem Bogen unter dem Büffett landend)

Ich:
(nicht mehr schreiend, sieben neue Eier aufschlagend)

***

Das Omelett versteckt sich unter dem Büffett.
Kuno ist entschlossen, es als Abendessen zu annektieren.
Er ergreift die glitzernde Lanze, die er im Küchenarsenal seines Onkels entdeckt hat.
Er wirds wagen. Jetzt.

Die Katzenklappe geht.
Pfötchen tappen leise Richtung Küche.
Kater Pauli ist zurück.
Der Tanz beginnt.

Letzte Aktualisierung: 22.01.2013 - 19.58 Uhr
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