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Nullpunkt | Januar 2013
Die Abkürzung
von Ingo Pietsch

Dicke Schneeflocken rieselten unaufhörlich vom Himmel herab und ließen die Scheibenwischer auf Hochtouren arbeiten.
Obwohl es spätabends war, konnte die Dunkelheit nicht vollends gegen die weiße Winterlandschaft gewinnen.
Das Scheinwerferlicht endete zwar schon nach wenigen Metern, aber rechts und links waren Bäume und dichtes Gebüsch klar wie ein Scherenschnitt zu erkennen.
Es war unmöglich zu sagen, wie breit die Straße in Wirklichkeit war, wenn es denn wirklich eine Straße war, so hoch lag der Schnee inzwischen.
Jedenfalls kam ihnen an diesem ersten Weihnachtstag niemand entgegen.
Im Wagen herrschten angenehme 25 Grad, aber die Stimmung war ganz unten angekommen.
Ralf hatte vor einiger Zeit die Route des Navis verlassen und war in das kleine Waldstück abgebogen, um eine Abkürzung zu nehmen.
Birgit, seine Frau auf dem Beifahrersitz, hielt das für keine gute Idee.
Das Navi zeigte schon seit einer gefühlten Ewigkeit nur eine grüne Fläche an, die sich nicht bewegte, und suchte ein Signal.
Ralf traute sich bei dem Schneeunwetter auch nicht umzudrehen, da er fürchtete, stecken zu bleiben.
Auf den Rücksitzen schlummerten ihre beiden Töchter, die von der Weihnachtsfeier müde geworden waren.
Ralf zuckte zusammen und strich sich fahrig über seinen Schnurrbart, als Birgit ihn ansprach:
„Bist du immer noch wütend auf meinen Vater?“
„Nein!“, brummte Ralf und schaffte es gerade noch, sich zu beherrschen.
Der Tag bei seinen Schwiegereltern war nicht ganz so verlaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Er verstand sich mit seinem Schwiegervater sowieso schon nicht gut und so war das Familienfest abrupt zu Ende gewesen, als die beiden schreiend ihre Meinungen übereinander ausgetauscht hatten.
Birgit und ihre Mutter hatten sich herausgehalten und währenddessen die Mädchen reisefertig gemacht.
Birgit starrte auf die Schneeflocken, die im Scheinwerferlicht tanzten.
Ralf sah sie von der Seite an: Mit ihrer markanten Nase, die er so mochte, und den blonden Haaren sah sie aus wie die junge Jennifer Gray aus Dirty Dancing. Plötzlich erinnerte er sich wieder daran, wie sie sich kennengelernt hatten.
Beide hatten gleichzeitig den Film in einer Videothek ausleihen wollen. Ihre Hände griffen zur selben Zeit nach dem Nummern-Chip und berührten sich. Ein Kribbeln breitete sich rasend schnell von den Fingerspitzen durch den ganzen Körper aus. Es war, so kitschig es ihm jetzt auch vorkam, Liebe auf den ersten Blick gewesen.
Völlig in der Erinnerung versunken, merkte er auf einmal, dass der Wagen nach links zog.
Hastig lenkte er den Wagen zurück auf den unsichtbaren Weg.
Birgit schien nichts davon bemerkt zu haben: „Wenn wir zu Hause sind, machen wir uns einen schönen Abend!“ Sie lächelte ihn an und strich über sein Bein. Wieder überkam ihn dieses Kribbeln. Er bekam eine Gänsehaut und schüttelte sich.
„Oh Mann, wenn ich nur nicht hier eingebogen wäre, könnten wir schon längst über die Hälfte geschafft haben.“
Birgit machte ihm keine Vorwürfe, doch Ralf wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte.
Er tippte mehrmals wütend auf das Display des Navis, das trotz der energischen Aktion nicht wusste, wo es sich befand.
Plötzlich wurde Ralf von einem hellen Licht im Rückspiegel geblendet.
Schnell kam es näher und hatte sie bald eingeholt.
Ralf fuhr ein Stück zur Seite, um den Verfolger vorbeizulassen. Die Räder drehten durch und der Wagen blieb im Schnee stecken.
„Mist!“, fluchte Ralf und schlug mit beiden Händen aufs Lenkrad.
„Wir kriegen das hin!“ Birgit fasste seinen Arm und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Ralf drehte sich um und erkannte einen Schneepflug, der hinter ihnen zum Stehen gekommen war. Im Fahrerhaus saß eine von einer bunten Lichterkette umrahmte und total vermummte Gestalt.
Ralf sah seine Frau an: „Das ist unsere Rettung!“
Er drehte noch einmal den Kopf.
Die Gestalt stieg aus dem Fahrerhäuschen. Bevor sie die Tür zuschlug, zog sie einen länglichen Gegenstand heraus, dessen Ende kurz aufblitzte.
„Der hat eine Axt dabei!“, sagte Ralf panisch zu Birgit.
„So ein Quatsch“, ihre Augen wurden trotzdem riesengroß und sie blickte zu den Mädchen nach hinten. „Das glaubst du doch selber nicht.“ Birgit konnte das Zittern in ihrer Stimme kaum verbergen, während sie den Knopf für die Zentralverriegelung drückte.
Die Gestalt stapfte an das Auto heran und warf unheimliche Schatten im Scheinwerferlicht des Schneepfluges.
Ralfs Hände verkrampften sich um das Lenkrad und er zuckte zusammen, als die Gestalt an seine Scheibe klopfte.
Er blickte zum Fenster und erkannte ein reflektierendes Namensschild mit der Aufschrift: Lutz.
Ralf ließ die Scheibe ein Stück nach unten und sah in ein Paar dunkle Augen.
„Geht es Ihnen gut?“, klang es dumpf von draußen.
Ralf nickte nur und Birgit presste sich tiefer in ihren Sitz.
Der Mann hielt den Stiel der vermeintlichen Axt vor Ralfs Gesicht und ließ ihn nach unten gleiten.
Ralf standen die Nackenhärchen zu Berge.
Ein Schaufelblatt war jetzt zu sehen.
„Ich werde Sie jetzt freischaufeln“, sagte der Mann. „Und dann fahren Sie hinter meinem Schneepflug her.“ Er zeigte nach vorne. „Da hinten ist der Waldweg gleich zu Ende und mündet wieder in die Hauptstraße.“
Die durchdringenden Augen starrten weiter Ralf an, als dieser nichts sagte. Der Mann schüttelte den Kopf und begann zu graben.
Geistesabwesend fuhr Ralf die Scheibe wieder nach oben, weil es kalt wurde und Schnee ins Auto wehte.
Beide seufzten.
„Hatte ich eine Angst!“, sagte Birgit.
Als Lutz fertig war, stieg er in seinen Schneepflug, hupte zwei Mal und fuhr am Auto vorbei.
Ralf hinterher.
„Da haben wir echt Glück gehabt!“, freute sich Birgit erneut.
Plötzlich piepste das Navi und die weibliche Stimme sagte: „Bitte wenden, bitte wenden!“
Auf der Karte war weiter nur Wald zu erkennen, aber der blinkende Punkt, der sich bewegte, war eindeutig ihr Auto.
Das Grün hörte aber am Rand des Rahmens nicht auf; Sie befanden sich in einer Sackgasse.
Ralf und Birgit sahen sich an.
Ohne zu zögern drehte Ralf auf der geräumten Straße und fuhr den ganzen Weg zurück.
Immer wieder blickten sie in die Rückspiegel, aber der Schneepflug folgte ihnen nicht.
Erst als sie auf der Hauptstraße ankamen, wurde ihnen ein klein wenig wohler.
„Was war das denn, eben gerade?“, fragte Ralf, als sich seine Gedanken wieder geordnet hatten.
„Ich weiß es nicht. Fahren wir lieber so schnell wie möglich nach Hause und vergessen das Ganze!“


Der Vermummte stieg aus dem Schneepflug und sah den Rücklichtern nach. Er hob die Plane der Ladefläche und sagte bedauernd zu dem geknebelten und gefesselten Mann: „Tja Lutz! Leider müssen wir den Abend wohl alleine verbringen!“
Er lachte laut auf, schlug die Plane zurück und fuhr weiter in den Wald hinein.

Letzte Aktualisierung: 19.01.2013 - 12.21 Uhr
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