Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
âWovon trĂ€umst Du?â
âHm?â
âIch möchte wissen wovon Du trĂ€umst?â
Erstaunt hob sie ihren Kopf von seiner Brust. Die Frage stand ihm noch im Gesicht. Aus selig ermĂŒdeten Augen sah er sie an und wiederholte noch einmal: âWovon trĂ€umst Du?â
Dabei lieĂ er seine Hand sanft ĂŒber ihren RĂŒcken gleiten. Zeichnete mit seinen Fingerspitzen die Kontur ihrer Schulter nach und versenkte seine Finger schlieĂlich im Ansatz ihrer Haare. Das sanfte Kraulen lieĂ sie reflexartig die Augen zu Schlitzen verengen und hĂ€tte sie ĂŒber einen Schnurrknochen verfĂŒgt, sie hĂ€tte das ganze Bett zum vibrieren gebracht. Seine HĂ€nde waren so herrlich warm, auf ihrer, von den kleinen, verdunsteten SchweiĂtropfen gekĂŒhlten Haut. Sie brachten sie zum frösteln und die HĂ€rchen auf ihrem unbedeckten Arm, welcher quer ĂŒber seinem Bauch lag, richteten sich auf.
Wovon trÀumst du?
Sie wollte nicht, dass er aufhörte ihre Haare zu verwuseln. Doch seine Frage irritierte sie so sehr, dass sie sich verunsichert auf den RĂŒcken drehte. Ein Schauder durchfuhr sie, so dass sie die Bettdecke bis zur Nasenspitze zog.
Vor ihren Augen begann sich die Zimmerdecke aufzulösen. Verwischt das ehemalige Weià unzÀhliger Farbschichten. Kalt das GehÀuse der Leuchte aus dem Baumarkt. Seine Zuwendung wurde quÀlend.
TrĂ€ume sind SchĂ€ume! Schaumwein. Nur glitzernde LuftblĂ€schen und anschlieĂend nichts als TrĂ€nen und Schmerzen. Vergangen all seine schnelllebige Spritzigkeit. Nichts fĂŒr den Tag danach!
Wie kam er gerade jetzt auf die Idee, ihr diese Frage zu stellen? Etwas Kleines Ă€uĂerst Widerliches in ihrem Inneren schrie sofort die vermeintliche Antwort.
Geld! VIEL GELD! Keine Sorgen mehr haben mĂŒssen. Nie wieder in drittklassigen Hotelbetten darauf warten, dass es endlich FrĂŒhstĂŒck gab. Die Welt bereisen und shoppen bis zum abwinken. MĂ€rchenhaft! ?
Grauenhaft!
Der Traum zerplatzte wie eine Seifenblase. Zuerst schillernd schön, hinterlieà ihr explosionsartiges Vergehen klebrige, schmierige Reste. Nein! Davon trÀumte sie nicht.
Vor dem Fenster begann der Himmel sich grau zu verfĂ€rben. Regen setzte ein. Ein sanfter, frĂŒher Morgenregen. Der die StraĂen blank wusch und leise in den Regenrinnen rauschte.
Bald gab es FrĂŒhstĂŒck. Ihr Magen knurrte und sie legte unwillkĂŒrlich die Hand auf ihren flachen Bauch. Ein mehr als klĂ€glicher Versuch ihr Innenleben unter Kontrolle zu halten, der mit einem erneuten Knurren zum Scheitern gebracht wurde.
TrĂ€ume? AlbtrĂ€ume kannte sie genug. In jeder Nacht durchwanderten sie ihren Schlaf und manche hatten sich auch ungebeten in ihre Tage geschlichen. Doch danach hatte er sicher nicht gefragt. Nach ihren Sorgen, die tĂ€glichen Verpflichtungen erfĂŒllen zu können. Ihr Kind den Mangel eines Elternteils nicht spĂŒren zu lassen.
Die Bettdecke roch nach Reinigung und war sehr sauber. Das war der Geruch, den Krankenhaus- und Hotelbetten gemeinsam hatten. Und dass man mit dem nackten Hintern die Laken berĂŒhrte. Sie mochte weder das eine, noch das andere. Sie stĂŒtzte sich auf und wollte die Bettdecke zurĂŒck schlagen. Er ergriff zĂ€rtlich bestimmt ihre Hand.
âBekomme ich eine Antwort?â Er lĂ€chelte und sie wusste, dass er die Antwort, die sie ihm geben konnte, nicht verstehen wĂŒrde. Nie akzeptieren wĂŒrde. Er liebte diese seine Freiheit. Sein LĂ€cheln riet ihr, wie immer, ihn sein eigenes Leben ohne Verpflichtungen weiter fĂŒhren zu lassen. Bis heute. Ihr Mund formte die Worte, die ihm gefielen.
âDoch, aber wovon soll ich trĂ€umen? Hier - bei Dir?â
Ihre Lippen lĂ€chelten ihn verfĂŒhrerisch an.
âIch gehe kurz ins Bad.â Sie angelte nach ihrem Slip aus schwarzer Spitze, der irgendwie unter das Bett geraten war. Er rĂ€kelte sich genĂŒsslich. So selbstsicher.
Nachdem sie das angefrorene LĂ€cheln und die dunklen RĂ€nder der Wimperntusche, mit dem heiĂen Wasser einer schnellen Dusche, in den Ausguss gespĂŒlt hatte, und angekleidet das Zimmer betrat, hörte sie sein leises Schnarchen. So war es immer.
Wovon du trÀumst, will ich gar nicht wissen.
Ohne einen weiteren Blick zurĂŒck, legte sie behutsam ihren ZimmerschlĂŒssel auf die Ablage an der Garderobe und verlieĂ den Raum. Heute wĂŒrde er die Rechnung selbst bezahlen mĂŒssen. Das leise Schnappen des Zylinders verschloss nicht nur die ZimmertĂŒr mit der Nummer 217.
Auf dem Flur flackerte summend eine Neonröhre, die sich nicht entscheiden konnte zwischen ordentlicher Dienstaufnahme oder völliger Dunkelheit. An den unregelmĂ€Ăig beleuchteten WĂ€nden waren die Spuren entlangschabender Koffertrollis zu sehen. Es roch abgestanden nach kaltem Rauch und Staub. Fröstelnd schloss sie ihre Jacke und fuhr mit den FĂ€usten tief in die Taschen.
Sie lieĂ den Fahrstuhl unbenutzt. Auf der Treppe beschleunigte sie ihre Schritte und verlor mit jeder zurĂŒckgelassenen Stufe an Gewicht. Die Rezeption war unbesetzt. Ein GesprĂ€ch mit dem Nachtportier blieb ihr erspart.
DrauĂen tropfte der versiegte Regen von den glĂ€nzenden BlĂ€ttern. Erste Vögel stimmten ihren verspĂ€teten Morgengesang an. Die Luft roch frisch und sauber, nicht chemisch gereinigt und so inhalierte sie tief durch beide Nasenlöcher. Sie fĂŒllte ihre Lungen und weckte jedes BlĂ€schen.
Ihre FĂŒĂe lösten sich von der Eingangsstufe und machten einen ersten zögerlichen Schritt hinaus in diese frische, neue Welt. Die Wolken am Himmel ĂŒber ihr rissen auf. Hier und da blitzte das erste schĂŒchterne Blau hervor.
Ein schöner Tag.
Sie straffte ihren RĂŒcken und schlug zum letzten Mal den vertrauten Weg zum Bahnhof ein. Der Zug stand am Bahnsteig, bereit zur Abfahrt. Sie flitzte hinein und lieĂ sich auf dem nĂ€chsten freien Platz nieder. Ruckend setzten sich die Wagons in Bewegung. Der Bahnsteig blieb leer. Nicht so ihr Kopf. Da war sie wieder, seine Frage.
Wovon trÀumst du? Nicht von dir!
Erleichtert stellte sie fest, dass dies nicht mehr nur trotziger Widerstand war, sondern mit jeder Schwelle die ihr Zug ratternd ĂŒberquerte, zu einem Teil ihres Selbst wurde.
Als sie den Zug wieder verlieĂ und sich hinter ihr die WagontĂŒren zischend schlossen, hielt sie den kleinen GlĂŒcksteddy ihrer Tochter in der Hand.
Letzte Aktualisierung: 27.01.2013 - 12.09 Uhr Dieser Text enthält 6117 Zeichen.