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Nullpunkt | Januar 2013

Die Gucci-Tasche
von Eva Fischer

„Was kann ich für Sie tun, gnädige Frau?“

Der Verkäufer taxierte sie fachmännisch. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Vielleicht 50, vielleicht auch 60. Die Haut war glattgebügelt, die vollen Lippen erstrahlten in dezentem Pink, die Haare wellten sich honigblond um ihr Gesicht.
Sie trug einen taillierten bordeaux-farbenen Mantel, der ihre schlanke Figur betonte. Wie bei der Almased-Werbung hatte sie einen dicken Hund an der Leine, zwar keinen Mops, dafür einen Dackel.
Dieser warf dem Verkäufer einen altersstoischen Blick zu, bevor er sich plumpsend auf dem eleganten Teppich niederließ, offensichtlich zu einem Nickerchen bereit, denn seine Herrin würde wohl noch einige Zeit brauchen, um unter all den Taschen die richtige für sich auszuwählen.

„Ich weiß natürlich nicht, zu welcher Gelegenheit gnä’ Frau die Tasche tragen möchten.
Wir hätten hier die Disco Bag Soho. Diese reizenden kleine Taschen haben wir in allen Farben.“
Er hüstelte etwas bei dem Preis, wusste nicht, ob sie zu den Kundinnen gehörte, für die der Preis nebensächlich war.
595 Euro schienen sie nicht zu beeindrucken.
„Ich kann Ihnen gern auch etwas Größeres zeigen. Hier haben wir eine Schultertasche, Modell Emily mit Kette, ganz klassisch für 1150 Euro oder New Jackie für 1590 Euro.“
Wo haben sie denn diesen primitiven Marktschreier aufgetan? Sollte man glatt der Direktion melden, dachte sie. Laut sagte sie: „Wenn Sie gestatten, schaue ich mich erst mal in Ruhe um. Ich wende mich dann an Sie, wenn ich Ihre Hilfe brauche.“

Der Verkäufer zog sich zurück, „Selbstverständlich, gnä’ Frau“ murmelnd, und blieb vor dem Dackel stehen, der lautlos zu schlafen schien, während seine Herrin die einzelnen Handtaschen-Modelle kritisch ins Auge fasste. Ihr Mann gab ein Geschäftsessen und da wollte sie seine Geschäftsfreunde durch ihr Outfit beeindrucken. Für ihr einfaches Schwarzes suchte sie noch einen kleinen Blickfang.
Eine Tasche mit floralem Canvas blieb länger in ihrem Fokus, als der Verkäufer sich wieder an sie wandte: „Gestatten gnä’ Frau, Ihr Hund...“
„Was ist mit meinem Hund?“
„Wenn Sie selbst schauen möchten.“

Der Hund hatte alle Viere von sich gestreckt und wirkte ziemlich leblos, was er bei näherer Betrachtung auch war.
„Rudi, wie kannste mir dat nur antun?“, lamentierte seine Besitzerin, offensichtlich ihrer Bilker Herkunft wieder ganz nah und das vornehme Sprachgedöns im Schmerz vergessend.
„Ja, wat machen wa denn jetzt? Ich kann doch den Rudi nich hier zurücklassen, ne?“
Da waren sich Verkäufer und Kundin einig.
„Mein Rudi soll ein Grab in unserem Garten kriegen. Dat hat se wirklich verdient, die treu Seel.“
Nach einer angemessenen Schweigeminute räusperte sich der Verkäufer.
„Ich könnte Ihnen Ihr Tierchen schön einpacken für den Transport. So schwer ist Ihr Dackelchen auch wieder nicht.“
Die Kundin signalisierte Zustimmung, während sie mit ihrem Taschentuch vorsichtig ein paar Tränen von ihren schwarz geschminkten Wimpern abtupfte.
So wurde Rudi wie eine Mumie mit Packpapier umwickelt, fein säuberlich verschnürt und mit dem Gucci-Emblem standesgemäß gekrönt.
„Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?“, fragte der Verkäufer, während er Rudi seiner Herrin übergab.
„Dat is nich nötig. Ich brauch jetzt erst mal’n bisschen frische Luft.“

Sie versah den Verkäufer mit reichlich Trinkgeld, verließ das Geschäft auf der Kö und ging schnurstracks Richtung Altstadt, zum Uerige, einer bekannten Düsseldorfer Brauerei, denn was sie noch mehr auf diesen Schreck brauchte als frische Luft, war ein Glas Alt.

*

Morgen war der Geburtstag seiner Frau. Weder hatte er eine Idee für ein Geschenk noch das nötige Geld.
Er stand am Tresen und schaute trüb in sein Altbier, kippte es schließlich mit einem Schluck hinunter. Da stellte sich eine aufgemotzte For-ever-young-Lady neben ihn. Offensichtlich hatte sie auch Durst, denn sie leerte zügig das Glas, das der Köbes vor sie hingestellt hatte, bevor sie Richtung Toilette verschwand.
Der Mann betrachtete das herrenlose Paket auf dem Boden genauer. Es war eine Gucci-Tüte.
Offensichtlich war die Dame gerade auf der Kö shoppen gewesen. Der Größe nach konnte es eine Handtasche oder ein kleiner Koffer sein.
Die reiche Tussi konnte sich jederzeit etwas Neues kaufen gehen, fand er, aber für seine Nathalie wäre das ein Bombengeschenk.
Er zahlte und trat diskret im Halbdunkel der Kneipe den Rückzug an.

Der Kaffee dampfte in den Tassen und frische Brötchen luden zu einem knusprigen Imbiss ein.
„Happy birthday, mein Liebling! Frühstück ist fertig“, weckte er seine bessere Hälfte.
Nathalie vergaß ganz ihren sonst dauerhaft vorwurfsvollen Blick und ließ sich von Gunther zum gedeckten Tisch führen.
„Und ein Geschenk gibt es auch“, strahlte dieser, „habe nämlich gestern im Lotto gewonnen.“
Da war er erneut der argwöhnische Blick, aber das Gucci-Paket zauberte ein breites Grinsen auf ihr Gesicht.
„Ach, Gunther! Da hast du dich wirklich in Unkosten für mich gestürzt!“
„Lass’ uns erst mal frühstücken!“, schlug er vor, doch Nathalie hatte sich schon mit einer Schere bewaffnet, um dem Paket zu Leibe zu rücken.
„Hast du gut verpackt“, kommentierte sie, während sie Schicht um Schicht freilegte.
Gunther biss gerade ins Brötchen, als ein Schrei ihn aufschrecken ließ.
„Du bist doch das mieseste Schwein unter der Sonne!“
War das der Dank für seine Mühen?
Nathalie streckte ihm etwas Graues, Struppiges entgegen. Das hervorlugende Bein machte die Hoffnung auf eine neue Fellkreation des Hauses Gucci zunichte.
„Was soll ich mit dem Scheißköter und tot ist er auch noch.
Du bist ein Versager, ein Loser!“
„Nun komm mal wieder runter! Ich habe es doch gut gemeint.“
„Meinst du, ich merke nicht, dass du dich schon tagsüber in Kneipen herumtreibst! Deine Bierfahne ist ekelhaft!“
„So ein kleines Glas wird doch wohl noch erlaubt sein.“
„Wenn du wenigstens deinen Job machen würdest. Aber als Schuhverkäufer taugst du auch nichts!“
„Du weißt genau, dass der Laden Insolvenz anmelden musste, weil die Leute nur noch alles billig haben wollen und keinen Wert auf Qualität legen.“
„Ausreden, darin bist du groß! Du hättest dir längst was Neues suchen können!“
„Ist nicht so einfach, wie du denkst.“
„Klar, es ist einfacher von Harz IV zu leben, anstatt den Arsch hochzukriegen.
Ich sage dir was. Es war der größte Fehler meines Lebens, auf dich reinzufallen!
Jeder andere hätte mir ein schöneres Leben bieten können, aber ich muss ausgerechnet diese Niete heiraten! Und jetzt wagst du es auch noch, mir diesen stinkenden Köter als Geburtstags-
Geschenk anzubieten! Du bist wirklich so was von erbärmlich, du Witzfigur von einen Mann, du Jammerlappen, du kleines Würstchen...“

Da schnappte er sich die vermeintliche Gucci-Tasche und trat den Rückzug zum Müllcontainer an. Nathalie behielt wie immer das letzte Wort:

„Du bist eine Null! Punkt!“, schmetterte sie ihm hinterher.

Version 2

Letzte Aktualisierung: 13.01.2013 - 09.26 Uhr
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