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Nullpunkt | Januar 2013

Drei minus Eins
von Martina Lange

„Wovon träumst Du?“
„Hm?“
„Ich möchte wissen wovon Du träumst?“
Erstaunt hob sie ihren Kopf von seiner Brust. Die Frage stand ihm noch im Gesicht. Aus selig ermüdeten Augen sah er sie an und wiederholte noch einmal: „Wovon träumst Du?“
Dabei ließ er seine Hand sanft über ihren Rücken gleiten. Zeichnete mit seinen Fingerspitzen die Kontur ihrer Schulter nach und versenkte seine Finger schließlich im Ansatz ihrer Haare. Das sanfte Kraulen ließ sie reflexartig die Augen zu Schlitzen verengen und hätte sie über einen Schnurrknochen verfügt, sie hätte das ganze Bett zum vibrieren gebracht. Seine Hände waren so herrlich warm, auf ihrer, von den kleinen, verdunsteten Schweißtropfen gekühlten Haut. Sie brachten sie zum frösteln und die Härchen auf ihrem unbedeckten Arm, welcher quer über seinem Bauch lag, richteten sich auf.
Wovon träumst du?
Sie wollte nicht, dass er aufhörte ihre Haare zu verwuseln. Doch seine Frage irritierte sie so sehr, dass sie sich verunsichert auf den Rücken drehte. Ein Schauder durchfuhr sie, so dass sie die Bettdecke bis zur Nasenspitze zog.
Vor ihren Augen begann sich die Zimmerdecke aufzulösen. Verwischt das ehemalige Weiß unzähliger Farbschichten. Kalt das Gehäuse der Leuchte aus dem Baumarkt. Seine Zuwendung wurde quälend.
Träume sind Schäume! Schaumwein. Nur glitzernde Luftbläschen und anschließend nichts als Tränen und Schmerzen. Vergangen all seine schnelllebige Spritzigkeit. Nichts für den Tag danach!
Wie kam er gerade jetzt auf die Idee, ihr diese Frage zu stellen? Etwas Kleines äußerst Widerliches in ihrem Inneren schrie sofort die vermeintliche Antwort.
Geld! VIEL GELD! Keine Sorgen mehr haben müssen. Nie wieder in drittklassigen Hotelbetten darauf warten, dass es endlich Frühstück gab. Die Welt bereisen und shoppen bis zum abwinken. Märchenhaft! ?
Grauenhaft!
Der Traum zerplatzte wie eine Seifenblase. Zuerst schillernd schön, hinterließ ihr explosionsartiges Vergehen klebrige, schmierige Reste. Nein! Davon träumte sie nicht.
Vor dem Fenster begann der Himmel sich grau zu verfärben. Regen setzte ein. Ein sanfter, früher Morgenregen. Der die Straßen blank wusch und leise in den Regenrinnen rauschte.
Bald gab es Frühstück. Ihr Magen knurrte und sie legte unwillkürlich die Hand auf ihren flachen Bauch. Ein mehr als kläglicher Versuch ihr Innenleben unter Kontrolle zu halten, der mit einem erneuten Knurren zum Scheitern gebracht wurde.
Träume? Albträume kannte sie genug. In jeder Nacht durchwanderten sie ihren Schlaf und manche hatten sich auch ungebeten in ihre Tage geschlichen. Doch danach hatte er sicher nicht gefragt. Nach ihren Sorgen, die täglichen Verpflichtungen erfüllen zu können. Ihr Kind den Mangel eines Elternteils nicht spüren zu lassen.
Die Bettdecke roch nach Reinigung und war sehr sauber. Das war der Geruch, den Krankenhaus- und Hotelbetten gemeinsam hatten. Und dass man mit dem nackten Hintern die Laken berührte. Sie mochte weder das eine, noch das andere. Sie stützte sich auf und wollte die Bettdecke zurück schlagen. Er ergriff zärtlich bestimmt ihre Hand.
„Bekomme ich eine Antwort?“ Er lächelte und sie wusste, dass er die Antwort, die sie ihm geben konnte, nicht verstehen würde. Nie akzeptieren würde. Er liebte diese seine Freiheit. Sein Lächeln riet ihr, wie immer, ihn sein eigenes Leben ohne Verpflichtungen weiter führen zu lassen. Bis heute. Ihr Mund formte die Worte, die ihm gefielen.
„Doch, aber wovon soll ich träumen? Hier - bei Dir?“
Ihre Lippen lächelten ihn verführerisch an.
„Ich gehe kurz ins Bad.“ Sie angelte nach ihrem Slip aus schwarzer Spitze, der irgendwie unter das Bett geraten war. Er räkelte sich genüsslich. So selbstsicher.
Nachdem sie das angefrorene Lächeln und die dunklen Ränder der Wimperntusche, mit dem heißen Wasser einer schnellen Dusche, in den Ausguss gespült hatte, und angekleidet das Zimmer betrat, hörte sie sein leises Schnarchen. So war es immer.
Wovon du träumst, will ich gar nicht wissen.
Ohne einen weiteren Blick zurück, legte sie behutsam ihren Zimmerschlüssel auf die Ablage an der Garderobe und verließ den Raum. Heute würde er die Rechnung selbst bezahlen müssen. Das leise Schnappen des Zylinders verschloss nicht nur die Zimmertür mit der Nummer 217.
Auf dem Flur flackerte summend eine Neonröhre, die sich nicht entscheiden konnte zwischen ordentlicher Dienstaufnahme oder völliger Dunkelheit. An den unregelmäßig beleuchteten Wänden waren die Spuren entlangschabender Koffertrollis zu sehen. Es roch abgestanden nach kaltem Rauch und Staub. Fröstelnd schloss sie ihre Jacke und fuhr mit den Fäusten tief in die Taschen.
Sie ließ den Fahrstuhl unbenutzt. Auf der Treppe beschleunigte sie ihre Schritte und verlor mit jeder zurückgelassenen Stufe an Gewicht. Die Rezeption war unbesetzt. Ein Gespräch mit dem Nachtportier blieb ihr erspart.
Draußen tropfte der versiegte Regen von den glänzenden Blättern. Erste Vögel stimmten ihren verspäteten Morgengesang an. Die Luft roch frisch und sauber, nicht chemisch gereinigt und so inhalierte sie tief durch beide Nasenlöcher. Sie füllte ihre Lungen und weckte jedes Bläschen.
Ihre Füße lösten sich von der Eingangsstufe und machten einen ersten zögerlichen Schritt hinaus in diese frische, neue Welt. Die Wolken am Himmel über ihr rissen auf. Hier und da blitzte das erste schüchterne Blau hervor.
Ein schöner Tag.
Sie straffte ihren Rücken und schlug zum letzten Mal den vertrauten Weg zum Bahnhof ein. Der Zug stand am Bahnsteig, bereit zur Abfahrt. Sie flitzte hinein und ließ sich auf dem nächsten freien Platz nieder. Ruckend setzten sich die Wagons in Bewegung. Der Bahnsteig blieb leer. Nicht so ihr Kopf. Da war sie wieder, seine Frage.
Wovon träumst du? Nicht von dir!
Erleichtert stellte sie fest, dass dies nicht mehr nur trotziger Widerstand war, sondern mit jeder Schwelle die ihr Zug ratternd überquerte, zu einem Teil ihres Selbst wurde.
Als sie den Zug wieder verließ und sich hinter ihr die Wagontüren zischend schlossen, hielt sie den kleinen Glücksteddy ihrer Tochter in der Hand.

Letzte Aktualisierung: 27.01.2013 - 12.09 Uhr
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