Ganz schön bissig ...
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Lust(ig) | Februar 2013
Netter Versuch
von Helga Rougui

Der Löwe drängt die Maus in die Ecke.
Er drückt seine pelzige Pranke auf ihren Bauch und quetscht sie wie eine Gummipuppe.
Sie quiekt.
Er brüllt: "Jetzt töte ich dich. Sag deinem mickerigen Dasein Ade ..."

Kuno öffnete mühsam die Augen. Was für ein Alptraum. Er lag mit der Nase im Dreck, alle Knochen taten ihm weh, und in seiner pinken Latzhose war ein riesengroßer Riß. Sein Koffer lag weit geöffnet und gähnend leer neben ihm; wieder einmal schienen seine Habseligkeiten über die gesamte Flugroute Stadtrand-Waldrand verteilt zu sein.

"Hättschmabescha de Nachtul ... ptui ptui gräähh," spuckte Kuno einige durchgekaute Grasbüschel in die Runde, "äähhrr grr hrr hää ...", räusperte er sich erneut, "hätt ich mal besser die Nacht-Eule genommen als mich wieder diesem besoffenen Spatz-Piloten anzuvertrauen. Wie blöd bin ich?"

Er erwartete keine Antwort auf seine Frage. Geschmiegt an den frostigen Busen der Natur überlegte er, ob er nicht einfach liegenbleiben sollte, denn wenn er zur Abwechslung rein gar nichts tat, konnte sich seine Lage nicht verschlimmern. Außerdem war sein Portemonnaie im Koffer gewesen, und nun war er nicht mehr liquide genug, um ein anständiges Hotelzimmer bezahlen zu können – vorausgesetzt, er wäre in einer halbwegs zivilisierten Gegend gestrandet und nicht in der allerstruppigsten Einöde. Jedoch schien er hier ganz allein zu sein. Dabei wäre ihm irgendein Wesen, das ihn bemitleidete, höchst willkommen gewesen, selbst den Yeti hätte er zu diesem Zweck herzlich begrüßt, aber soweit hatte die aviatorische Kunst des Transport-Spatzes vermutlich nicht ausgereicht, um ihn in den Himalaya zu katapultieren oder zumindest dahin, wo der Pfeffer wächst.

Komm zum Punkt, rief sich Kuno zur Ordnung. Im Grunde wünschte er sich weit, weit weg aus seinem jämmerlichen, mißglückten, vom Pech gekennzeichneten Leben. Die Ereignisse, die ihm in letzter Zeit aufstießen, begriff er allmählich als Strafe für irgendein Verbrechen, das er wohl begangen haben mußte, ohne es zu wissen. Dabei hatte er immer gedacht, daß er, wenn überhaupt, nur ein winzigkleiner läßlicher Sünder wäre, dessen einzige Verfehlung darin bestand, ab und zu und auch öfter kulinarisch unmäßig zuzuschlagen, wobei ihn seine ständig zunehmende Körpermitte zwar mahnte, es nicht allzusehr zu übertreiben, aber da die Entfernung zwischen Bauch und Ohr beträchtlich war, trug der Schall oft nicht weit genug und die zur Vorsicht mahnenden Worte verhallten ungehört.

Des langen Plapperns kurzer Sinn – er war ein wenig übergewichtig.
Nein. Er war zu fett.
Er seufzte. Ehrlichkeit besonders sich selbst gegenüber tat weh. Aber darum einfach liegen zu bleiben, ging wohl nicht.
Denn natürlich – er errötete innerlich – bekam er grad schon wieder Hunger. War ja klar.

Also stellte sich Kuno auf seine noch recht wackeligen Beinchen, schnappte sich seinen Koffer, schloß ihn über der Luft, die sich darin befand, und machte sich auf den Weg. Den gab es eigentlich nicht, aber seine Schritte führten ihn immerhin aus der Matschpfütze heraus, in der er gelegen hatte, in eine relativ trockene Wiese, übersät mit Millionen zahmer Wildblumen. Er hob den Blick und konnte in einiger Entfernung einen grünübergrasten Erdhügel erkennen, dem zuzustreben er sich entschloß, um sich von seinem Gipfel aus einen Überblick über die Örtlichkeit zu verschaffen und um zu wissen, in welche Richtung er gehen könne. In die Stadt wollte er auf keinen Fall zurück, auch nicht aus Versehen. Dort lebten gefräßige, gefährliche Gestalten, noch gefräßigere als er selbst, und er hatte den Wink des Schicksals wohl verstanden, als er bei seiner ersten und letzten Käseeroberungsattacke mit knapper Not einem grausamen Schicksal entronnen war. Nein, daß in der Stadt alle Straßen mit goldenem Gouda gepflastert wären, war ein Riesenlüge, und alle Versprechungen, dort ein sattes, sorgenfreies Leben führen zu können, waren Betrug. Kuno schüttelte sich bei dem Gedanken an die messerscharfe Kralle, die ihm um Haaresbreite die Haxen abgetrennt hätte, wenn er nicht im letzten Moment todesmutig wie eine Billardkugel in sein Loch gekullert wäre.

Inzwischen war er zusammen mit der Sonne, die an diesem Novembermorgen auch so ihre Molesten mit dem Aufstehen hatte, auf der Spitze des Hügels angelangt. Die Gegend war ihm gänzlich unbekannt, der Wald am Horizont war nicht der seine, und sein Herz bangte bei der Vorstellung, daß er nie mehr nach Hause finden würde. Wohin sollte er sich wenden? Einen Rundflug zur Orientierung mit einem zur Abwechslung nüchternen Transportvogel konnte er sich nicht leisten, und er wußte ja auch nicht – bei diesem Gedanken schlug er verzweifelt die Pfoten vors Gesicht – wo die nächste Haltestelle war. Es war ein Elend, alles war aus, er war gaaanz allein.
Während Kuno diverse Posen der Trauer und Hoffnungslosigkeit durchexerzierte – er ahmte, ohne es zu wissen, auf unübertreffliche Weise die großen Stummfilmstars nach, die ja auch mehr mit theatralischen Gesten als mit wohlgesetzten Worten ihre Dramen inszenierten – während also Kuno sich in tiefer Zerrissenheit völlig verlassen wähnte, nahm direkt unter ihm ein geschäftiges Treiben seinen Anfang.

Auf der Vorderseite der Anhöhe, die Kuno von der unauffälligen Rückseite her bestiegen hatte, öffnete sich ein prächtig verziertes Portal, und Graf Talpa trat hinaus aus seinem Domizil, um die Wetterlage in Augenschein zu nehmen. Eigentlich konnten ihm die meteorologischen Verhältnisse egal sein, denn seine Aktivitäten spielten sich meist unterirdisch ab. Aber seine Gemahlin, Gräfin Gerbillina, mit der er den Bund der Ehe vor zwei Monaten eingegangen war, ging hin und wieder gern nach draußen, wenn es nicht zu feucht war. Sie kam ursprünglich aus der Mongolei und war heißes Wüstenklima gewöhnt. Deshalb mußte in der Wohnhöhle, die über den verschlungenen Gängen der Residenz von Graf Talpa errichtet worden war, immer ein kräftiges Herdfeuer in Gang gehalten werden, damit sich seine Liebste heimisch fühlte.
.
Das Herdabzugsloch oben in der Decke sorgte normalerweise dafür, daß die hochherrschaftliche Halle nicht von beißendem Qualm erfüllt war, nur heute morgen wollte der Kamin nicht so recht ziehen. Nachdem Graf Talpa festgestellt hatte, daß die Novembersonne zwar zögerlich, aber immerhin schien, erklomm er die Außenseite seines Mikrohabitat, um festzustellen, was die Verstopfung verursachte. Er hatte die Säge, mit der er sonst das Holz für das Feuer zerkleinerte, auf den Rücken geschnallt, um eventuelle Hindernisse beseitigen zu können, und schob nun seine spitze rosa Nase über den Rand der das Dach darstellenden Grassode.

Selbst ihm in seiner Fastblindheit war augenblicklich klar, worin das Problem bestand.

Da lag ein dicker Nager auf dem Loch.

"Ähm, äh. Guten Morgen hier oben, wer immer du sein magst", sprach der Graf zu der Gestalt in der pinken Latzhose, die es sich anscheinend auf dem Gipfel seiner Behausung gemütlich gemacht hatte, "könntest du bitte da weggehen? Wir ersticken sonst!"

Kuno, der nach seinen emotional-somatischen Verrenkungen erschöpft zusammengebrochen war, angenehmerweise auf genau einer Stelle im Gras, wo es mollig warm war, lächelte selig. Er hörte eine Stimme – er war nicht allein – das war das Paradies – gleich würde Petrus, der das Amt des Pförtners innehatte, ihm in wohlgesetzten Versen erläutern, wie der Mäusehimmel funktionierte, in dem wenn schon nicht Bäche von Milch und Honig, so doch bestimmt Kochkäse und Raclette ... Moment. Die Stimme sprach erneut.

"Also, du solltest wirklich mit mir nach unten kommen. Lust auf Frühstück?"

Kuno lächelte. Tatsächlich, das Paradies. Er fragte die in schimmernden schwarzen Pelz gehüllte Gestalt, die sich gerade den Mininickelzwicker fester auf die Nase klemmte:

"Bist du der Liebe Gott?"

"Das gerade nicht", war die Antwort. "Aber meine Frau macht himmlische Ahornsiruppfannkuchen, und ihr getrüffeltes Rührei wird auf der ganzen Waldwiese gerühmt!"

Kuno und Graf Talpa stiegen einer nach dem anderen den Abhang hinunter, bis sie wieder ebenen Boden unter den Füßen hatten. Kuno stellte sich vor und schilderte kurz seine Bruchlandung. Er klaubte seinen Koffer auf und folgte seinem Gastgeber in die Höhle.

"Der Rauchabzug funktioniert wieder, my dear! Das hast du wunderbar hingekriegt", flötete Grafin Gerbillina, die am Herd stand und Würstchen briet, "und wie ich sehe, hast du auch einen Gast mitgebr – ha ha, that's funny, hello Kuno! Wie kommst du daher?"

Kuno starrte die Gräfin an. Sie wußte seinen Namen? Kannte sie ihn? Kannten sie sich? Woher -? Wieso -? Was -?

"Nun, setzt euch doch! Toast? White or brown?"

Da fiel es Kuno wie Käsewaffeln von den Augen.

"White toast", he said - äh - sagte er, "and one slice of black pudding, please. And tea."
"Sure", meinte die Gräfin, "wie immer, nicht wahr?"
Graf Talpa schaute von einem zur anderen und begann sich, nun ja, Gedanken zu machen, deren unheilvolle Verkettung seine Gattin mit fröhlicher Stimme unterbrach.
"Mein Liebster, du weißt, daß ich vor unserer Heirat waitress in einem coffee shop in Southampton war. Und dieser junge Mann hier hat letztes Jahr seinen Urlaub in good old England verbracht ..."
" ... weil ich so viel Gutes über den englischen Cheddar gehört hatte", bekräftigte Kuno, ganz in seinem Element. Daß er dort eigentlich zur Kur in eine Abspeckklinik gesteckt worden war, aus der er in regelmäßigen Abständen ausbüxte, um sich im Ort mit britischen Köstlichkeiten zu versorgen, verschwieg er. Das betraf nur ihn, sein Gewissen und seine Krankenkasse.
Er strahlte die Gräfin an.
"Wie schön, Sie so glücklich verheiratet wiederzusehen!"
Graf Talpa entspannte sich.
"Wunderbar! Genießen wir das Morgenmahl. Und danach zeige ich Ihnen meinen allerlängsten selbstgeschaufelten Geheimgang, der direkt unter die Küche eines Hauses führt, die vor appetitlich duftenden Köstlichkeiten nur so strotzt! Einfach am Ende durch die lose Fliese unter dem Büffett schlüpfen, und man ist im siebten Himmel."

Kuno erbleichte.
Nicht lustig.

Ende der Geschichte.

Letzte Aktualisierung: 07.02.2013 - 20.22 Uhr
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