Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
Der Besuch am nächsten Abend wird bereits sehnlichst erwartet. Anton lässt sich aufgeregt an der Turnstange aus. Er soll sich auch in Abwesenheit seiner Schwester, während ihrer Auftritte, wohl und geborgen fühlen. Deshalb sind Nataljas beste Freundin und ihre Tochter nicht nur gern gesehene Wochenendgäste, sondern auch liebevoller Familienzuwachs. Johanna, ein paar Jahre älter als Anton, stellt für ihn eines der größten Rätsel seines bisherigen Lebens dar. Das Mädchen ist stumm. Es hat jedoch mehr zu bieten als jede Sprechblase. Was den neugierigen Jungen zudem fasziniert, sind ihre Finger, die sich in einem Hochgeschwindigkeitsmodus bewegen und unwiderstehlich duften. Anton assimiliert ihre Sprache, ihren Klang, ihre Geräusche. Und mit den Jahren erwächst daraus eine Leidenschaft: Antons Obsession.
Das Einzige, was ihn reizt, sind die Nächte mit Johanna.
Als Anton nach ein paar Jahren die Schule wechselt und in die achte Klasse eines Gymnasiums eingestuft wird, ignoriert er seine Mitschüler. Er strebt gelangweilt so vor sich hin, denn die seligen Geräusche, das Schmatzen und die nassen Finger vermisst er mittlerweile sogar während des Unterrichts.
Mit Taschenlampe kriecht er jedes Wochenende in Johannas Bett.
Sie lutscht ihren Daumen, wenn sie schläft, und genau das liebt Anton. Seine Augen streicheln ihren Mund, der das erste Fingerglied wie ein kleines Pumpenwerk umschließt. Er zählt jedes Speichelbläschen. Betrachtet, wie sie langsam wachsen, kaum hörbar zerplatzen, eintrocknen und einen feinen Rand auf der Haut zurücklassen. Hin und wieder rutscht der Daumen heraus. Dann riecht Anton daran und steckt ihn in seinen Mund. Manchmal muss er Stunden darauf warten, was ihn wütend macht.
Ein besonderer Kick: Anton bohrt seinen Finger zwischen ihre Lippen. Lutschen, um sich lutschen zu lassen, so lange, bis sich sein Verstand verabschiedet. Er schafft es nur noch mit Mühe, seine Erregung zu unterdrücken und bekommt nicht mit, dass Johanna ihn anstarrt. Sie spuckt seinen Daumen aus, zieht sich zurück und gebärdet: „Gibt es noch etwas anderes, was dich anmacht? Das hier vielleicht?“ Sie knöpft ihren Pyjama auf und legt seine Hände auf ihre Brüste. Das „Hast du schon mal gefickt?“ wirkt fast niedlich in ihrer Sprache, trotzdem fühlt sich Anton wie erschlagen.
„Nein danke, kein Bedarf, vielleicht später.“
Im zweiten Abiturjahr knistert es zwischen Anton und Eike. Die Sportreferendarin hat einen großen Mund, schöne Hände, einen athletischen Körper und sie tanzt. Eine Herausforderung für Anton, wobei sich eine Annäherung bisher auf einen Pausenkaffee, einen Kinobesuch und Händchenhalten beschränkt.
Direkt, wie er ist, passt er sie auf dem Parkplatz ab und fragt:
„Sollten wir uns nicht mal hinsichtlich Stangenakrobatik austauschen?“
Eike lacht mit einer rauchigen, aber angenehmen Stimme und kontert: „Stangenakrobatik, soso, ein bisschen übermotiviert heute?“
„Würd mir gern ansehen, wie du dich bewegst, oder wir zappeln gemeinsam, ohne Hintergedanken“, setzt er nach.
„Wie selbstlos, du gibst nicht auf. Schon mal darüber nachgedacht, dass ich zweimal so alt bin wie du?“
„Stört mich nicht“, entgegnet er.
Anton bekommt feuchte Augen, als er zwei rundgeschliffene Raumteiler in Eikes Wohnzimmer bewundert. Keine Poledance-Stangen, aber dafür umso stabiler.
„Du solltest etwas wissen“, sagt er.
Anton genießt, wie Eike „Entspann dich“ in ihn hineingurgelt und seinen Nacken anfasst.
„Deine Stimme macht mich mürbe, für mich ist das Neuland, außerdem steh ich auf Probefinger, Saugen, Lutschen und Geräusche“, gesteht er.
„Das klingt super! Zeigst du es mir? Meine Trägerküsse hat übrigens auch noch keiner begutachtet.“
Anton klatscht auf einen rot lackierten Balken.
„Du knutscht diese Teile?“
Eike steigt aus ihrem Rock, während sie Antons Hemd hochschiebt.
„Genau, aber nicht mit meinen Gesichtsmund. Zieh dich aus, dann bewegt es sich leichter.“
„Wo ist dein Bad?“, fragt er.
Eike führt ihn.
„Wehe du kneifst. Also ich brauche satte Beats dabei, und du?“
Anton nickt. Als die Bässe mit Wucht durch die Wohnung hämmern, traut er sich und ruft seine Schwester an.
„Wenn du es dir selbst machst, nimmst du dann einen oder zwei Finger?“, flüstert er.
„Ich glaub, mein Schwein pfeift. Kannst du dir nicht einfach eine Frau suchen und es selbst ausprobieren? Warte, der Hintergrundsound ist geil, du hast eine Freundin, stimmt's?“
„Keine Ahnung, ich will es ihr einfach richtig gut besorgen! Zunge oder Finger?“
„Beides! Du hast übrigens weitere Möglichkeiten, vergiss das nicht, Bruder!“
Zurück im Wohnzimmer bewegt sich Eike in einem unmenschlichen Tempo. Anton steigt sofort mit ein. Er hat Spaß daran, ihren Rhythmus zu verinnerlichen. Eine schweißtreibende Angelegenheit.
„Und jetzt gib mir deinen Probefinger!“, fordert Eike.
Er packt sie, lässt sich mit ihr auf dem Boden nieder, setzt sie auf sein Becken, steckt ihren Mittelfinger in seinen Mund und saugt. Das ist nett, aber nicht überzeugend, auch, weil es unausgewogen ist und das Wichtigste fehlt.
„Die Mucke ...“, nuschelt Anton.
Eike dreht mit dem Fuß leiser, weil sie gern in seinem Gesicht steckt und es auskostet, wie er sie bearbeitet. Jetzt schraubt er zwei Finger in sie hinein. Und Eike lutscht derart fest und laut, dass Anton kommt.
„Unglaublich!“, lobt Eike, „du kickst ohne Mechanik an deinem Getriebe, das schaffe ich nicht!“
„Neidisch? Gleich bist du dran!“, schiebt Anton hinterher, bevor er kurz im Bad verschwindet.
Eike grinst. Sie nutzt die Zeit, befreit sich von ihrem Slip und steigert den Strom in ihrem Körper.
Und als Anton frisch geduscht, nur in Shorts, die Tür öffnet, platzt er trotzdem aus allen Nähten, weil er hört und sieht, wie Eike ihre Träger küsst …