Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das? Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten- Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
Oskar Füntehering bezeichnet sich gern als Gourmet. Gibt man ihm das passende Stichwort, kommt er sofort ins Schwärmen. Als er wieder einmal beim Mittagessen in der Firmenkantine vom Jahresausflug des Vorstandes seines Karnevalvereins erzählte und mit leuchtenden Augen detailliert das Riesengelage beschrieb, sagte einer der Anwesenden mit leichtem Grinsen:
„Sie scheinen ja ein richtiger Gourmand zu sein, Herr Füntehering.“ Der so Angesprochene lachte hocherfreut.
„Das bin ich, Herr Kollege, fürwahr, das bin ich. Aber wissen Sie, mit dem Französischen habe ich es nicht so. Ich bin halt ein Genussmensch.“
„Fürwahr, fürwahr“, lachten die Kollegen, die den Unterschied zwischen Gourmet und Gourmand kennen. Viele seiner Sätze begannen mit: „Welch ein Genuss!“, oder: „Es ist mir ein Vergnügen.“
Oskar Füntehering bekleidete eine gehobene Stellung bei einer bekannten Versicherung. Bei jeder passenden – und manchmal auch unpassenden - Gelegenheit versuchte er, seine Mitarbeiter und vor allem seine Mitarbeiterinnen von seinen Führungsqualitäten zu überzeugen. Er hielt viel auf seine gute Menschenkenntnis. Seine Kollegen waren meist anderer Meinung. Viele hielten ihn für einen unerträglichen Angeber und hätten ihm das gern einmal ins Gesicht gesagt. Noch hat es keiner gewagt. Oskar Füntehering war zwar nur ein Meter dreiundsechzig groß, dafür war sein Bauchumfang umso ausladender, was er durch das Tragen von Westen zu kaschieren versuchte, wobei die Betonung auf ´versuchte´ lag. Auf gepflegte Kleidung legte er größten Wert. Von seinem sehr spärlichen Haarwuchs glaubte er, mit gewagten Brillenformen und –farben abzulenken. Durch seine Körperfülle und die roten Äderchen auf seinen gut gepolsterten Wangen wirkte er zusätzlich sinnenfroh. Ihn als ein Original zu bezeichnen, traf es wohl am ehesten.
Als sein sechzigster Geburtstag bevorstand, planten die Mitarbeiter für ihren Chef eine Party, die dieser nie vergessen sollte. Marie Himmel, die in der Woche davor gekündigt hatte und - der besseren Bezahlung wegen - am 1. Juli bei einem Konkurrenzunternehmen anfangen wollte, überbrachte die Einladung.
„Eine Geburtstagsparty mit einer tollen Überraschung,“ versprach sie geheimnisvoll.
„Oh danke, danke, hocherfreut. Es ist mir ein Vergnügen“, rief er ein bisschen zu laut und strahlte mit der Morgensonne um die Wette.
„Also dann bis Donnerstag, zwanzig Uhr bei mir, Hindenburgdamm 6“, hauchte Marie und verließ schnell sein Büro.
„Es ist mir ein Vergnügen“, wiederholte er und lächelte die inzwischen geschlossene Bürotür an.
„Frau Krüger!“ Überrascht ging er auf eine Dame mittleren Alters zu, die an einem Fensterplatz nahe der Theke saß und begrüßte sie herzlich.
„Was für ein Zufall, Herr Füntehering. Schön, Sie zu sehen.“ Seit zwei Jahren kannten sie sich als Platznachbarn im Theater-Abo `Schauspiel`
„Ganz meinerseits, meine Liebe. Sind Sie öfter hier?“
„Nö. Zum ersten Mal. Ich habe heute Fahrdienst für meine Tochter und ihre Freundinnen. Das ist der Nachteil, wenn man ein so großes Auto fährt.“ Sie wies auf den VAN draußen vor dem Fenster. „Und jetzt habe ich schätzungsweise eine Stunde Zeit, bis sie wieder auftauchen. Und Sie?“
„Ich bin zu einer Geburtstagsfeier eingeladen und ein bisschen zu früh.“ Dass es seine eigene war, verriet er nicht. Frau Krüger war in seinen Augen eine etwas schräge Person, und so war wohl auch zu erklären, dass sie Spaß an der Aktion der jungen Leute hatte, die sie ihm brühwarm erzählte. Er bog sich vor Lachen. Ideen hatten manche Menschen! Nach dem zweiten Cognac verabschiedete er sich. Frau Krüger bestellte noch einen Kaffee. Sie beobachtete, wie ihr Theaterbekannter die Straße überquerte, sah ihn die drei Stufen vor der Haustür hinaufgehen. Jetzt klingelte er. Sie fand ihn sympathisch. Der war nicht so ein Ekelpaket wie der Chef ihrer Tochter Sabine. ... Ach, du lieber Gott! Hektisch durchwühlte sie ihre Handtasche nach dem Handy.
Auf sein Klingeln öffnete eine Marie Himmel, die Oskar Füntehering so im Büro nie gesehen hatte. Ihre hochgesteckten dunklen Haare gaben ein perfekt geschminktes Gesicht frei. Ihre ausdrucksvollen schwarzen Augen strahlten, als sei er der lang ersehnte Märchenprinz. Sie trug ein sehr kurzes, sehr eng anliegendes, sehr rotes Kleid und sah darin so unglaublich attraktiv aus, dass es ihrem Chef fast die Sprache verschlug.
„Donnerwetter, Frau Himmel, welch ein Genuss, eine so schöne Frau zu sehen“, flüsterte er ein wenig atemlos und wurde ein bisschen rot dabei. Marie registrierte es amüsiert und diagnostizierte: „steigender Blutdruck“.
Als Marie ihm eindeutig zweideutig den Weg zu ihrem kleinen Bad zeigte, in dem er sich „vorher“ ein wenig frisch machen könne, war ihm klar, dass sie nicht vom Verspeisen der Lachsschnittchen sprach. Beschwingt ging Oskar in das Bad. Das war eine Überraschung! Dass Marie ihn so gern hatte, war ihm nie bewusst geworden. Er genoss ihre Gesellschaft. Das versprach ein wundervoller Abend zu werden.
„Komm bitte erst raus, wenn ich dich rufe“, hatte Marie geflüstert und ihn liebevoll ins Bad geschoben. Während er sich langsam seiner Kleidung entledigte, diese sorgfältig über den Handtuchhalter drapierte, summte er vergnügt vor sich hin. „Püppchen, du bist mein Augenstern, Püppchen, hab dich zum Fressen gern“, sang er leise und nur ein bisschen falsch. Dabei stellte er sich vor, wie Marie sich bereits auf der roten Ledercouch räkelte. Aufgeregt wartete er, dass sie ihn wieder ins Wohnzimmer riefe. Er betrachtete sich in der Spiegelwand der Duschabtrennung. Lautlos versuchte er mit offenem Mund nach Luft zu schnappen. Vergeblich. Hätte er doch nur seine kleine blaue Pille mitgebracht. Aber, das konnte doch niemand ahnen, oder? Ihm war, als hörte er die Türklingel. Er lauschte angestrengt. Flüsterten da Stimmen? Ja. Nein. Doch. Gespenstige Ruhe. Seine Nerven spielten ihm wohl einen Streich. Jetzt summte auch noch sein Handy.
Endlich hörte er ihre lockende Stimme.
„Ossi, du kannst kommen! Aber die Augen zulassen!“ Er dachte flüchtig, dass er diese Abkürzung seines Vornamens nicht mochte, lächelte jedoch gleich wieder voller Vorfreude und öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Kokett stellte er sich auf das linke Bein und setzte den rechten Fuß auf die Zehenspitzen. Die Arme winkelte er rechts und links ab und berührte mit den Händen die Türfüllungen.
Vergnügt betrachtete er die verduzten Gesichter seiner Mitarbeiter.
„Na, enttäuscht?“, fragte er mit einem süffisanten Lächeln, zog die Weste glatt und ertastete den Sitz des Krawattenknotens.
Die Türklingel unterbrach die eingetretene Stille. Marie stürzte davon und kam kurz darauf mit Sabines Mutter zurück.
„Mama, was machst du denn hier?“, fragte ihre Tochter konsterniert.
„Ich wollte dir nur den Schlüssel von meinem Auto bringen. Mir ist was dazwischen gekommen. Ich kann euch nicht nach Hause fahren. Viel Spaß noch. Entschuldigt die Störung. – Kommen Sie?“
„Es ist mir ein Vergnügen, meine Liebe“, strahlte Oskar Füntehering und verließ, ohne sich von der Runde zu verabschieden, mit Frau Krüger die Wohnung.
„Gut, dass wir kürzlich unsere Handy-Nummern getauscht haben“, lachte Oskar, während er Frau Krüger galant die Wagentür öffnete. Und wohin jetzt?“
„Ich habe Hunger.“
„Worauf?“, kicherte er.
„Ich kenne da ein kleines Gourmet-Restaurant in der Altstadt.“
„Zum kleinen Kobold?“
„Worauf warten Sie noch? Fahren Sie los.“
3. Version
Letzte Aktualisierung: 24.02.2013 - 13.29 Uhr Dieser Text enthält 10019 Zeichen.