Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Lust(ig) | Februar 2013
Sauerkraut
von Helmut Loinger

„Mei Adi, hast du den grauslichen Italiener schon wieder eingeladen? Dem hab ich schon mindestens ein ganzes Dutzend Mal seine schwitzende Hand schĂŒtteln mĂŒssen. Abbusseln tut er mich auch immer. Rechts, links, rechts. WÀÀÀh! Und wie er mir dann immer in den Ausschnitt glotzt, der geile Specht. Kann der nicht mal drunten bleiben in seinem Rom? Der soll halt schauen, wie er selber zurecht kommt mit den Griechen, Albanern und Abessiniern, der Depp, der italienische. Und dieses militĂ€rische Machogetue immer 
 booaah!“

Adi steht vor dem geöffneten Fenster und blickt auf die Berge ringsherum. Wie erhaben. Wie mĂ€chtig. Wie deutsch. GötterdĂ€mmerung. Er saugt die frische Bergluft tief durch seine Nase ein, die ĂŒber seinem quadratischen Schnauzer thront. HĂ€nde hinterm RĂŒcken verschrĂ€nkt. Beine leicht gespreizt. Fesch schaut er aus in seiner braunen Uniform. Ein komisch verdrehtes Kreuz prangt von seiner AnfĂŒhrerbinde am linken Oberarm. Quietschend wippt er in seinen Lederstiefeln. Verlagert sein Gewicht. Vor. ZurĂŒck. Vor. ZurĂŒck. Vor.

„Adi? Jetzt mach endlich mal das Grammophon aus, wenn ich mit dir red‘! Dieses Wagner-Gedudel hĂ€lt ja kein Untermensch nicht aus. Du wirst mir ja noch ganz trĂŒbsinnig und dann zuckst wieder aus und schreist herum wie ein Narrischer. Irgendwann erschießt du dich noch wegen dieser Musik. Und mich vielleicht noch dazu.“

Eva wiehert kurz und gekĂŒnstelt. Adi schweigt, doch Eva lĂ€sst nicht locker.

„Hast nicht was Flottes da? Irgendwas von den Amis drĂŒben? Den Glenn Miller find ich total endsiegmĂ€ĂŸig. Adi, zefix! Hörst du mir ĂŒberhaupt zu?“

Adi tÀtschelt wortlos den Kopf seines deutschen SchÀferhundes Blondi, der gehorsam zu seiner Rechten sitzt. Eva sitzt am Esstisch, der aus deutscher Eiche gefertigt wurde. GötterdÀmmerung dröhnt noch immer aus dem Grammophon.

„Aaaadi! Den Italiener mein‘ ich. Den Benito. Den Duuutsche! Verstehst? Adi?“

„Aber ja doch, Eva. Äch weiß, wen do meinst 
“ kommt es kaum hörbar aus seinem Mund. Noch immer starrt er auf seine winterlich angezuckerten Berchtesgadener Alpen.

„Und?“

„Was ond?“

„Was ich kochen lassen soll?“

„Mein Gott, Eva!“ raunzt Adi in genervt unmilitĂ€rischem Tonfall.

„Du Adi, das ist fei nicht so einfach. Schließlich haben wir ja diesen Krieg, diesen totalen, wie der Joseph so schön gesagt hat, letzte Woche im Sportstadium. Weißt du eigentlich, was fĂŒr Schlamassel das ist, wenn unser Koch rundherum kaum was Gescheites kriegt. Immer mĂŒssen wir dann mit Enteignung und diesen blöden Lagern drohen, bis die Metzger und Bauern freiwillig ihre Lebensmittel rausrĂŒcken.“

„Äch weiß, Ă€ch weiß, Eva. Ond darom mache Ă€ch mĂ€r onermĂ€sslich große Sorgen. Sorgen, dĂ€ dĂ€ Vorstellongskraft eines arbeitenden Volksgenossen öbersteigen ond mĂ€ch an nĂ€chts anderes mehr denken lassen.“

„Ja, ist schon gut, Adi. Aber sooo schlimm ist das jetzt nun auch wieder nicht. Ich mein, blöd ist das schon, diese Bomben ĂŒberall und die Armut da rundherum und so. Dann machen wir dem Benito halt so einen italienischen Teigfladen oder einfach eine Brotzeit, ein Fasserl Weißbier dazu und gut ist. Der wird schon satt werden hier auf unserem Obersalzberg, meinst nicht?“

„Äch mache mĂ€r keine Sorgen om den SĂ€ttigongsgrad meines Achsenfreundes Benito. Äch mache mĂ€r Sorgen wegen der sechsten Armee, dĂ€ von dĂ€sen barbarischen Bolschewisten Ă€n Stalingrad eingekesselt Ă€st. Tausende meiner tapferen StreitkrĂ€fte, dĂ€ lediglich auf der Soche nach ein paar Hektar Lebensraum Ă€m Osten waren, frĂ€ren sĂ€ch Ă€n dem dĂ€monischen Marxistenloch Ă€hre Ärsche ab. Äch mache mĂ€r Sorgen wegen der nĂ€dertrĂ€chtigen Loftangriffe dĂ€ser elenden EnglĂ€nder ond Amerikaner auf onsere so geliebten deutschen StĂ€dte. DĂ€ feigen Bomber flĂ€gen jetzt schon am Tag ond morden onsere Volkgenossen ond Volksgenossinnen erbarmongslos darnieder. Äch mache mĂ€r Sorgen om onser Afrikakorps, das Ă€n der Glothitze der Wösten Öbermenschliches leistet, aber von dĂ€sen trĂ€gen Ätalienern Ă€n keinster Weise ausreichend onterstötzt wĂ€rd. Äch mache mĂ€r Sorgen om onsere opferbereite Heimatfront, dĂ€ mĂ€t wilder Entschlossenheit ond onbeirrt dorch alle SchĂ€cksalsfögongen sĂ€ch dem Feinde schotzlos ausliefert.“

„Mei Adi, wie du das alles immer so schön ausdrĂŒcken kannst. Da wird mir irgendwie ganz anders. Aber du machst dir viel zu viel Gedanken um Gott, die Weltherrschaft und ĂŒberhaupt. Wir haben schließlich Wochenende. Sei doch nicht immer so 
 so deutsch. Du musst auch einmal ein bisserl locker sein. Entspann‘ dich ein wenig.“

Adi schraubt seine GebrĂŒllstĂ€rke erheblich ĂŒber Grammophon-LautstĂ€rke:
„Äch wĂ€ll mĂ€ch nĂ€cht entspannen! Der Föhrer entspannt sĂ€ch nĂ€cht so einfach! Entspannung Ă€st das Letzte, was Ă€ch jetzt brauchen kann. Entspannen werde Ă€ch mĂ€ch erst, wenn der heldenhafte und segenbringende Nationalsozialismus dem dĂ€monischen Bolschewismus den Garaus gemacht hat. Das deutsche Volk erwartet Großes von seinem Föhrer. Ond große Taten dolden keine Entspannung!“

Blondi winselt und verkriecht sich unter den Tisch. Eva steht auf und stellt sich hinter ihren Adi. Umklammert ihn von hinten und drĂŒckt ihren blonden Wuschelkopf in seine Uniform. Sie steht auf Uniformen, saugt den mĂ€nnlich-militĂ€rischen Duft in sich auf, spĂŒrt die Macht, die dieser Mann verkörpert.

„Ich mag das, wenn du so schön aufgeregt bist. Das törnt mich ziemlich an, Adi“, schnurrt sie und fasst ihm von hinten in den Schritt. „Du solltest mich mal wieder so richtig durchrommeln, so wie frĂŒher, mein Ficktator.“

„Eva, do öberschreitest das Föhrersperrgebiet. Do weißt, dass mein arischer Körper seit Jahren von zahlreichen Gebrechen gepeinigt wĂ€rd. Do kennst meine BlĂ€hongen, dĂ€ mĂ€r onertrĂ€gliche Schmerzen bereiten, dĂ€ selbst Ă€ch meinen grĂ¶ĂŸten Feinden, den Bolschewisten, Joden, Sozialdemokraten, Rossen, BrĂ€ten, Amerikanern, Franzosen – hab Ă€ch jemand vergĂ€ssen? - nĂ€cht wönschen wörde. Das GebĂ€ren onseres deutschen Jongvolkes moss eine völkische Freude sein dagegen. Do kennst meine peinigende Insomnie, vĂ€rorsacht dorch dĂ€se schröcklichen Sorgen, dĂ€ mein Gehirn zermartern und mĂ€ch nĂ€cht zor Rohe kommen lassen. All dĂ€s möndet Ă€n dĂ€ser grauenhaften erektilen Dysfonktion, dĂ€ mein GemĂ€cht Ă€n einen tausendjĂ€hrigen Schlaf vĂ€rsetzt hat ond mĂ€r dĂ€ fleischliche 
“

„Goldblum“ unterbricht Eva flĂŒsternd.

„
 Ă€hem, dĂ€ fleischliche VĂ€reinigung von Mann ond 
“

„Rosenblatt“

Adi rĂ€uspert sich, fĂ€hrt aber fort: „
 von Mann ond Frau auf das Äußerste erschwĂ€ren, ja Ă€ch möchte sogar behaupten, ondorchföhrbar erscheinen lassen.“

„Silbereisen“

„Selbst dĂ€se schmotzigen Worte, dĂ€ mein prĂ€chtiges GemĂ€cht vor Jahren noch blĂ€tzkrĂ€gartig stramm stehen lĂ€ĂŸen, vĂ€rpoffen heute wĂ€ ein Lercherlschas, wĂ€ onsere Ă€ns tausendjĂ€hrige Reich heimgeholten Freunde Ă€n der Ostmark zo sagen pflĂ€gen.“

Evas Libido ist prompt wieder auf dem Nullpunkt. Zutiefst enttĂ€uscht von der nicht mehr vorhandenen Manneskraft ihres FĂŒhrers wendet sich Eva von ihrem Adi ab.

„Mein Gott Adi, was muss ich bloß machen, um dich ein bisserl auf Touren zu bringen? Ich glaub‘, ich geh mal rĂŒber in die Gastkammer und schau mal, wie’s dem Dutsche so geht. Blondi, kommst mit?“ Mit den letzten Worten bĂŒckt Eva sich zum SchĂ€ferhund, der noch immer verĂ€ngstigt unter dem Tisch kauert, wobei ihrem GesĂ€ĂŸ ein knatterndes Brummen entfĂ€hrt.

Adi reißt seine Augen weit auf. Sie glĂ€nzen urplötzlich wie das aus Auschwitz importierte Gold in seinen ZĂ€hnen. Er dreht sich zu ihr und stellt sie zur Rede.

„Eva, was war das?“

„Upps, `tschuldigung, ist mir rausgerutscht. Das kommt von der Zwiebelsuppe von gestern oder von dem Schweinsbraten mit Sauerkraut“.

Adi schließt das Fenster, saugt die sich ausbreitende Duftwolke tief in sich auf.

„Sauerkraut“, sinniert er mit geschlossenen Augen.

„Das bedeutet KrĂ€g, Eva! Ab jetzt wĂ€rd zoröckgeschossen ond Ă€ch werde Forz mit Forz vĂ€rgelten bis zur Enddarmlösung!“, donnert Adi unmissverstĂ€ndlich und beschallt den Raum seinerseits mit einem krĂ€ftigen Grollen aus seinem Hitlerteil.

Eva kichert und staunt: „Booah, das war eine steife Brise, Adi! Das scheint mir ein Giftgasangriff zu sein. Ich nehme die KriegserklĂ€rung an.“

Faulgase breiten sich im Esszimmer aus. Testosteron durchflutet Adis Körper mit sichtbaren Folgen in seiner Lendengegend. Besser als jedes Aufputschmittelchen, das ihm sein Leibarzt allmorgendlich intravenös verabreicht. Besser als die schmutzigsten Worte, die sich Eva ausdenken könnte.

„Hart wie Krupp-Stahl“, stellt Eva lĂŒstern fest, als sie erneut die feindliche Stellung des FĂŒhrersperrgebietes erkundschaftet.

„Jawoll, mein Frollein! Aufrecht, standhaft, wĂ€hrhaft! Äch wĂ€rde jetzt auf dĂ€ Einhaltong der Genfer Konvention Ă€n Bezog auf den Einsatz von Gas vĂ€rzĂ€chten. Bereite dĂ€ch auf deine bedĂ€ngongslose Kapitolation vor!“

Adi fĂ€llt ĂŒber Eva her, wie einst ĂŒber Polen und flatuliert dabei im Minutentakt. Eva ihrerseits legt jegliche BDM-hafte Frömmigkeit ab und setzt sich mit all ihr zur VerfĂŒgung stehenden Rektalgasen zur Wehr.

Darmwinde in allen Geruchs- und GerĂ€uschabstufungen werden ausgetauscht. Blondi winselt unter dem Eindruck dieser auditorischen und olfaktorischen EindrĂŒcke, wĂ€hrend Adi seine Eva auf dem Esstisch mit Mut, Zuversicht und deutschem Stolz bis zur totalen Besinnungslosigkeit penetriert.

„Geil Hitler, war das jetzt bĂ€rig“, sĂ€uselt Eva wenige Minuten spĂ€ter. „Wir haben noch Schweinsbraten mit Sauerkraut ĂŒbrig. Ich glaub, das mag der Dutsche auch, meinst nicht?“

„Äch lĂ€be Sauerkraut.“



V.2, 25.02.13

Letzte Aktualisierung: 25.02.2013 - 23.38 Uhr
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