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Lust(ig) | Februar 2013

Rent a Lover
von Anne Zeisig

“Seit acht Monaten, zwei Wochen und zwanzig Stunden Single und ohne Kerl im Bett.” Bianca fuhr sich durch ihre feuerrote Mähne und stöhnte. “Ich habe schließlich sexuelle Grundbedürfnisse. An eine einfühlsame Beziehung glaube ich längst nicht mehr.” Sie blickte ihre Freundin mit großen Augen an. “Nicht mehr mit vierzig.”
Die zuckte mit ihren Schultern.
Bianca zündete sich eine Zigarette an und lamentierte. “Kein One-Night-Stand! Nichts!” Sie jammerte mit einer Kleinmädchenstimme weiter. “Ich brauche ‘ne geballte Ladung Testosteron, sonst sterbe ich elendig am Östrogenstau.”
“Kommt es dir nur auf Sex an?”, fragte Anna, ihre Freundin.
Bianca nickte und hustete. “Als lebensrettende Sofortmaßnahme wäre das dringendst angesagt.” Sie drückte die Zigarette aus.
“Dann miete dir doch einen Mann. Bin neulich im Netz über eine Agentur gestolpert. ‘Rent a Lover’. ”
Bianca riss ihre großen Augen noch weiter auf. “Ich soll einen Mann für ‘s Bumsen bezahlen?”
Anna goss beiden Prosecco ein und erhob ihr Glas. “Wenn du nur ab und zu ein Gläschen genießen willst, halst du dir doch auch nicht die gesamte Arbeit einer Sektkellerei auf.”
Bianca winkte ab. “Vor Jahren brauchte ich nicht einmal den Champus selbst zu bezahlen.”
Anna stupste sie mit dem Glas an. “Benötigst du kurzfristig einen versierten Liebhaber oder nicht?”
“Doch! Ja!” Sie wiegte ihren Oberkörper hin und her. “ Und wenn mich so ein Professioneller zu einem multiplen Orgasmus bringt, dann soll mir das ein paar Euros wert sein.”
Bianca klappte ihren Labtop auf. “Wie heißt diese Männer-Vermietung?”

* * *

Die französische Spitze des Tangas rieb unangenehm in ihrer Gesäßfalte. Der BH kratzte an ihren Brustwarzen, war zwei Cups zu klein und sie hatte bei der geringsten Bewegung die Befürchtung, dass ihr Busen aus dem Ausschnitt hüpfen könnte. An der rechten Ferse hatte sich wegen der engen Stöckelschuhe eine brennende, pochende Blase gebildet und links ein stechendes Hühnerauge am kleinen Zeh.
Gequält ließ Bianca sich in den Sessel der Hotel-Lobby fallen, zog unter dem Tisch die Folterschuhe aus und legte als Erkennungszeichen einen Baumarkt-Prospekt neben ihre Handtasche.
In der Taille zwickte der enge Bund des Minirocks. Bianca wagte nicht zu atmen, weil die Naht hätte platzen können.
Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Sehr lange müsste sie nicht mehr in der Malträtier-Kleidung ausharren, dann würden endlich die Hüllen fallen.
Bianca rief den Kellner herbei und bestellte sofort zwei Gläser Prosecco, welche sie in einem Zug leerte. Ihr wurde sehr warm, die Hard-Core-Dessousspitze um einiges erträglicher und sie zog die Schuhe wieder an. “Bitte noch ein Glas!”
Sie setzte das Glas an die Lippen und verschluckte sich an den ersten Tropfen, denn das, was nun durch die Lobby schlenderte und sich leger auf einen Barhocker schwang, übertraf ihre kühnsten Träume.
ER war groß, stattlich und sein Maßanzug aus feinstem Zwirn ließ einen gestählten Körper erahnen. Seine Oberschenkel zeichneten sich fest unter der Tuchhose ab. Der Braungebrannte fuhr sich durchs lockige Haar und sah sich um.
Die Härchen auf ihren Unterarmen stellten sich auf wie Antennen, sie witterten Testosteron.
Das musste der Kerl aus der Agentur sein! Exakt so einen hatte sie auf dem Bestellformular angekreuzt. Die Tippse hatte noch gefragt, ob ihr niveauvolle, intensive Gespräche wichtig seien. “Ich bin notgeil und nicht redesüchtig”, hatte sie geantwortet.
Biancas Magen schlug zweifache Salti und schließlich folgten dreifache Rittberger. `Der ist eine Nummer zu groß für mich.´ Flugs ließ sie den Prospekt in ihrer Handtasche verschwinden.
`Jetzt ‘ne Zigarette, aber hier ist das auch nicht mehr erlaubt´, dachte Bianca und ärgerte sich, weil sie so feige war. `Multifunktional-Orgasmus ade´
Wütend warf sie ihre Handtasche auf den Tisch. Sie hatte es sich bereits ausgemalt, dass er ihr gierig die Lingerie vom Leib reißen würde. Sie würde taumelnd auf dem Boden landen, er würde sie mit obszönen Worten aufheizen und brutal in sie eindringen. Purer, ehrlicher Sex ohne Schnick-Schnack und Gefühlsduselei. Von Null auf Hundert zum Mehrfachorgasmus. Schließlich konnte sie von einem Fachmann mehr erwarten als von einem Laiendarsteller.

“Ärgert es Sie auch, dass Raucher wie Aussätzige behandelt werden?”
Ehe sie begriff, dass der Testosteronhüne zu ihr sprach, hatte er seine stilvoll gekleideten Multi-Packs in den Sessel gegenüber platziert und schlug lässig ein Bein über das andere. Der blankpolierte Schuh seines rechten Fußes glänzte Bianca an. Das Hosenbein war hochgerutscht und ließ zwischen Saum und Sockenbund einen Blick auf sein Schienbein zu.
Er schob dezent seinen Jackettärmel hoch, blickte kurz auf seine Uhr, richtete seinen Blick in die Runde und rief den Kellner herbei. Er zeigte auf ihr leeres Glas. “Champagner?”
Sie atmete tief durch und lehnte sich zurück.
“Stört es Sie, dass ich mich zu Ihnen gesetzt habe?”
Bianca lächelte. “Champus in netter Gesellschaft, wie könnte ich da Nein sagen”, hörte sie ihre belegte Stimme und beobachtete einen schmächtigen Mittfünfziger, der hastig Bar und Lobby inspizierte.
`Das könnte eher der Typ aus der Agentur sein´, überlegte sie und war froh, unerkannt zu sein, denn unscheinbare Typen mit Halbglatze fand sie nicht sexy. Die Agentur wollte offenbar mit einem Ladenhüter ihre Notsituation ausnutzen. Schließlich ließ er sich an der Bar nieder und blickte kurz zu ihnen herüber.
“Erwarten Sie jemanden?”, fragte ihr Gegenüber und blickte ebenfalls zum Eingangsportal.
Sie schüttelte ihre Mähne. “Ich bin nur auf einen Tagestrip in der Stadt und habe mich hier für eine Nacht einquartiert”, log sie.
Der Kellner brachte die Getränke.
“Ich bin auch nur heute Abend hier und habe leider noch kein Dach über dem Kopf.” Abermals sah er rasch auf seine Uhr, zwinkerte ihr zu und zog einen Schmollmund. “Bin sozusagen obdachlos.”
`Bianca´, dachte sie, `ran an die männlichen Hormone. So was wie den kriegst du so schnell nicht wieder in die Nähe einer Bettkante.´
“Nun glauben Sie bestimmt, ich sei ein weiblicher Martin und teile Mantel und Herberge mit Ihnen?”, flötete sie und vermutete, dass er mindestens fünf Jahre jünger sei als sie.
Er antwortete lachend, einen Mantel besitze er selber und bot ihr das Du an.
Aus dem Augenwinkel heraus nahm sie wahr, dass der Schmächtige an der Bar wieder auf seine Uhr stierte, sein blasser Teint krebsrot anlief und er eilig die Eingangshalle verließ.
Inzwischen hatte ihr Gegenüber einen leichten Kuss auf ihren Handrücken gehaucht. “Ich bin David-Thomas. Und wie heißt so eine attraktive Frau wie du?”
“Thomas-David, ich heiße Bianca.”
“David-Thomas”, berichtigte er. ” Erst kommt die Löwengrube und dann der Ungläubige.”
Bianca hatte inzwischen das sechste Glas geleert.
“Freut mich”, kicherte sie angeheitert, “ich gewähre dir gerne in meiner Löwengrube Unterschlupf.”

* * *

Bianca küsste ihn fordernd, zerrte ihm wild die Kleidung vom Leib, er kam ins Straucheln, sie fielen auf das breite Bett und mit einem Rums knackte es zu Boden. Der war keine Mogelpackung, sein männliches Attribut hatte sich vielversprechend aufgerichtet und lechzte ungeduldig nach Betätigung.
Zärtlich bedeckte er sie von oben bis unten mit sanften Küssen und flüsterte lyrische Komplimente. Als er an ihrem Ohrläppchen knabberte, vibrierte ihr Körper. “Thomas-David”, flüsterte sie, “ich will dich in mir spüren.” Irgend etwas Hartes bohrte sich schmerzhaft in ihren Rücken.
Er nuschelte “David-Thomas” und beglückte ihre Vulva mit seiner Zungenfertigkeit.
Der hatte es wirklich drauf.
Sie krallte sich in seiner Lockenpracht fest. ‘Hoffentlich werde ich nicht vorm Orgasmus besinnungslos.’ “Thomas-David, ich will - ”
Unvermittelt ließ er von ihr ab und setzte sich auf. “Ich heiße David-Thomas!”, stand auf, zündete sich eine Zigarette an und ging im Zimmer auf und ab.
“Ist das so wichtig?”, fragte sie benommen und hangelte unter ihrem Rücken eine zerbrochene Leiste vom Lattenrost hervor.
Er blies den Rauch in die Luft und sah ihm hinterher. “Es ist nicht in Ordnung, wenn dir egal ist, wie ich heiße.”
Sie stand auf, nahm ihm die Zigarette aus der Hand und zog daran. “Wenn ich erregt bin, überlege ich nicht, was ich sage.” Sie gelobte Besserung und presste sich an ihn. ”Komm. Es wäre doch schade, wenn der kleine Thomas-David so ungenutzt -“
Er wehrte sie ab, verlor das Gleichgewicht und stürzte der Länge nach hin.
Erschreckt kroch Bianca unter die Bettdecke.
Fluchend rappelte er sich hoch und zog seine Hose an. “Ich bin keine schnelle Nummer! Namenlos Ex und Hopp! Nicht mit mir!”
“Aber du warst doch auch scharf auf eine heiße Nacht.”
Er band die Schnürsenkel zu. “Trotzdem hätte ich erwartet, dass du dir meinen Namen in der richtigen Reihenfolge merkst.” Er warf sich das Sakko schwungvoll über. Sein Handy flog im hohen Bogen aus der Jackentasche heraus.
“Tut mir leid.” Sie versuchte zu lächeln. “Mit Doppelnamen ist das so eine Sache. Könnte ich nicht einfach Thomas zu dir sagen?”
Er knallte die Tür hinter sich ins Schloss.
Bianca schlug mit ihren Fäusten aufs Kopfkissen ein. ‘So ein Sensibelchen.’

In dem Moment klingelte sein Handy. Sollte sie das Gespräch annehmen? Daneben lag der Baumarkt-Flyer. War wohl aus ihrer Handtasche heraus gerutscht.
“Ja bitte?”
Er war es. “Bianca. Entschuldigung. Ich habe überreagiert.” Das samtene Timbre seiner Stimme versetzte ihren Herzschlag in einen Drei-Viertel-Takt. Sie hörte, wie er einen Kuss in den Hörer hauchte. “Lass uns noch einmal ganz von vorne beginnen. Bitte.”
Bianca atmete tief durch, blickte aus dem Fenster hinunter und sah, dass der Schmächtige in Begleitung einer älteren Dame auf den Hotel-Eingang zusteuerte.
“Bianca? Es ist so. Ich. Also”, stotterte er, “wir sollten uns näher kennen lernen.”
Wollte sie etwa just vor Freude in die Luft springen? ‘Ich stehe nicht auf komplizierte Typen’, dachte sie und sagte: “David-Thomas, ja, gerne.”
© anne zeisig ENDversion

Letzte Aktualisierung: 20.02.2013 - 20.05 Uhr
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