Lust(ig) | Februar 2013
| Maaliks Blume | von Hajo Nitschke
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“Geh die Rosen wieder anschauen.
Du wirst begreifen, dass die deine
einzig ist in der Welt.“
(Antoine de Saint-Exupéry, „Der kleine Prinz“)
Daysha
Nicht schreien! Nur nicht schreien!, verspricht sich Daysha zum tausendsten Mal. Sie starrt auf einen festen Punkt, die Lehmhütte ihrer Familie, in der sie ihre jüngeren Geschwister weiß. Und sie sagt sich ihr Mantra auf: Ich-bin stark-ich-wer-de-nicht-schrei-en!
Daysha feiert heute Geburtstag und darf sich endlich dem Ritual unterziehen, das ihr die Aufnahme in den Kreis der erwachsenen Frauen sichert. Sie ist sich der hohen Ehre bewusst und wird tapfer sein. Bald wird ihr jetzt entblößter Schoß das begehrte ästhetische Aussehen haben, das ihre Weiblichkeit erst ausmacht. Die Mutter hat es ihr erklärt: dieses kleine Ding in ihrer Scheide wird wachsen und wachsen und einmal ein richtig großer Männerschwanz werden, wenn nicht … Das Mädchen verdrängt jeden Gedanken an Schmerz. Folkloristische Flöten und das Schlagzeug der Musikanten bieten zusammen mit den meckernden Stimmen aus der Ziegenherde willkommene Ablenkung. Die in wenigen Augenblicken erwachsen werdende junge Frau ist in Gedanken weit weg. Ist bei Maalik, ihrem Prinzen, dem Jungen, in den sie verliebt ist. Er wird stolz auf sie sein, wie ihre Eltern auch.
Jamila
Die alte Heilerin prüft zum letzten Mal ihr Handwerkzeug. Glasscherbe, Akaziendorn, Bindfaden aus Schafsdarm, ein Schälchen mit Asche und eins mit Kräutern. Und ein Tau aus dicht geflochtenem Bast. Ein Helfer steht bereit. Jamila nickt und er schlingt seine Arme fest um Dayshas Oberkörper. Einen letzten Blick wirft Jamila in die Runde. Alle stehen ehrfürchtig still angesichts der Zeremonie. Dayshas Eltern strahlen vor Stolz. Welch großer Tag im Leben der Familie! Jamila ist nicht minder stolz – auf das Ansehen, das sie genießt, auf ihre gute Ausbildung als Beschneiderin, auf die geringe Sterblichkeitsrate (nur jede Zehnte) ihrer Patientinnen, und überhaupt auf genau diese Tradition, die in der Kultur des Stammes so fest verwurzelt ist. Dieses Mädchen vor ihr, Daysha, „die Blume“, wird nun alle Garantien für untadelige Jungfräulichkeit und anschließende eheliche Treue vorweisen können.
Taban und Aziza
Dayshas Eltern schauen anerkennend zu ihrer Blume. Aziza wurde als junges Mädchen ebenfalls von Jamila behandelt. Ein Traum von Frau war das Ergebnis, durch den Eingriff heiratsfähig und begehrenswert geworden. Die Behandlung erwies sich auch später, nach ihrer Heirat, als wahrer Segen für beide. Und als Taban jahrelang den Unterhalt als Wanderarbeiter verdienen musste, hinterließ er eine lustberuhigte Gattin, die ihm schon deshalb nie untreu wurde. Aziza denkt an die Qualen zurück, als Taban ihr in der Hochzeitsnacht mit der ganzen Kraft seiner Lenden die zusammengewachsene Haut durchstieß und bald vor Lust und Wonne aufstöhnte, als er in ihr kam. Fast fünfzehn Jahre ist das her, und noch immer schmerzt sie der Verkehr erheblich. Sie selber kennt einen Orgasmus nur noch aus den Jahren vor dem Eingriff, der ihr damals in sehr viel späteren Jahren als jetzt ihrer Tochter gewährt wurde. Von einigen der anderen Frauen weiß sie, dass diese auch ohne Klitoris noch diese Lust empfinden können, allerdings nur in eingeschränktem Maß, denn gewisse Zerstörungen auch im Inneren der Vagina blieben oft nicht aus. All das aber gilt im Stamm als Auszeichnung, die Männer und Frauen sind dankbar für Jamilas Dienste.
Jamila
Die Beschneiderin streift die Abag, ein langes, schwarzes Gewand, zurück, greift nach der scharfen Glasscherbe und schneidet zügig die Vorhäute der Klitoris ab. Daysha stöhnt leise und verkrampft sich, dann ist sie wieder stumm, den Mund fest geschlossen. Ihr Blick ist starr zur Seite gerichtet. Gut so. Schreien würde die Zeremonie entweihen. Erst durch die Selbstbeherrschung des Schmerzes reift die Frau. Konzentriert arbeitet sich Jamila mit ihrem Schneidewerkzeug durch das Gewebe der inneren Schamlippen. Sie fallen schnell der Schärfe der Glasscherbe zum Opfer. Daysha schreit weiterhin nicht, aber die Augen springen fast aus den Höhlen. Schnell weiter: obwohl das Ritual eine Ehre bedeutet, soll von den Patientinnen nichts Übermenschliches verlangt werden. Die Heilerin wischt immer wieder das viele Blut aus den offenen Wunden und entfernt behutsam den äußerlich sichtbaren Teil der Klitoris. Jamila weiß, dass in diesem Moment wahre Leidensfähigkeit gefordert wird, weil dies die empfindlichste Stelle ist. Deshalb schneidet sie ganz besonders vorsichtig und zugleich zügig. Weiß sie doch um die Schmerzen aus eigener Erfahrung, und auch sie hat damals keinen Laut von sich gegeben. Obwohl Daysha sich windet und trotz in der Monsunpause nachgelassener Hitze Schweißbäche über ihr dunkles Gesicht vergießt, hört man keine Klage aus ihrem Mund.
Plötzlich aber sackt sie ohnmächtig zusammen. Das ist nicht ungewöhnlich. Jamila und ihr Assistent betten sie behutsam und liebevoll in eine Decke, wo die Beschneiderin mit geübten Griffen die äußeren Schamlippen zusammennäht. Dorn und Schafsdarm leisten gute Dienste. Das noch immer aus der Vulva strömende Blut bringt Jamila mit einer Mischung aus Asche, Kräutern und Spucke zum Versiegen. Dann binden sie und der Helfer die Beine des Mädchens fest zusammen. Viele Wochen wird es so verbringen müssen, und dies gerne und ohne Murren. Dann werden die Wunden verheilt und die äußeren Schamlippen zusammengewachsen sein. Jamila vergisst nicht, mittels eines kleinen Zweiges zwischen besagten Lippen für eine Aussparung vorzusorgen, durch die Urin und Monatsblut abfließen können. Masturbieren mit auf diese Weise verengter Vagina wird zum Glück nicht möglich sein, ein weiterer Vorteil dieser weisen Maßnahme, denkt Jamila und streichelt wissend und zärtlich über die Stirn der Patientin. Und so ist fürsorglich an alles gedacht, die Beschneiderin meldet Vollzug und die Versammlung klatscht Beifall. Taban und Aziza am lautesten. Ihre über alles geliebte älteste Tochter – jetzt eine erwachsene Frau! Die Klitoris als restliches männliches Merkmal ist verschwunden,so dass nun die Weiblichkeit ihres Kindes vollkommen ist.
Maalik
Die Musik war kurz verstummt und setzt nun verstärkt ein. Männer und Frauen des Stammes tanzen übermütig, die um Schulter und Bauch gewundenen bauschigen Tücher der Frauen flattern und die bunten Hüte auf den Köpfen der Männer wippen lustig auf und ab. Danach das Beschneidungsmahl: Daysha erhält einen Ehrenplatz an der Festtafel zwischen ihren Eltern, gleich daneben ein schmales Bürschlein, das verliebte Blicke mit ihr wechselt: ihr Maalik. Sie ist zu geschwächt, um von den Köstlichkeiten am Tisch zu nehmen. Der Schmerz ist auch jetzt noch viel ärger, als sie es sich ausgemalt hatte, aber wie schlimm, das weiß nur sie allein, Maalik ahnt es nicht annähernd. Ihm ist nur bewusst, dass seine Zukünftige einen Preis dafür zahlen musste, für ihn schön und begehrenswert auszusehen, als Frau anerkannt zu sein. Beschnittene Frauen sind nicht so eigenwillig und sie sind leichter zu lenken, werden die Dorfältesten nicht müde, den heranwachsenden männlichen Stammesangehörigen immer wieder zu erklären.
Es war eine Selbstverständlichkeit, aber nachdem es Daysha nun überstanden hat, kommt bei ihm dennoch Stolz auf. Alle Frauen des Stammes haben es seit je her so gehalten, freiwillig, im Bewusstsein der würdevollen Rolle, die ihrem Frausein zugestanden wird. Die Tradition verlangt es, wie könnte man an ihr zweifeln! Ähnliche Gedanken hegen auch Taban und Aziza, als sie verstohlen Tochter und künftigen Schwiegersohn mustern. Wenn den jungen Leuten dasselbe Glück wie ihnen beschert ist, liegt eine erfüllte Zukunft vor ihnen. Ihre Blume wird Maalik ein Quell der Freude und Lust und sich selber dadurch genug sein, dass sie blüht. Zu viel weibliche Lust bringt nur Leid mit sich, weckt unstatthafte Begierden und verführt zu unheilvollen Gedanken und Taten. Und wenn man ehrlich ist, muss man den Glanz des weiblichen Schoßes nach einem solchen Eingriff anerkennen. Unbeschnittene weibliche Genitalien – kein schöner Anblick …
Maalik träumt von einer Familie mit vielen Kindern in einer nicht fernen Zukunft. Er wird in der Stadt eine Arbeit finden und Daysha jeden Wunsch erfüllen. Erst spät bemerkt er, wie Dayshas Blut erneut rinnt, ihren Unterrock tränkt und auf die Erde tropft. Sie ist auch seine Blume: eine schöne Rose, die leidet. Aber er weiß, sie wird es ertragen, das Blut wird von selber versiegen. Die jungen Frauen sind stark, und Blut ist man bei solchen Anlässen gewohnt. Also sagt er nichts, will Daysha nicht ängstigen und das fröhliche Gelage nicht stören. Cambuula, das Stammesgericht aus Butter, Zucker und gekochten Bohnen. Duftiger, zarter Lamm- und Ziegenbraten mit Basmati-Reis, gewürzt mit Koriander, Curry und Kurkun. Dazu frische Kamel- und Ziegenmilch, Datteln, Trauben, Orangen. Über allem der süßliche Duft heißen Mirras, des mit Kardomom gewürzten Kaffees, den etwas strengen Koriandergeruch überdeckend. Die fröhliche dunkelhäutige Gesellschaft hält es nicht mehr an der Tafel. Und während unter Kleidern oder Röcken die nackten Damen- und in geflickten Jeans die sehnigen Herrentanzbeine zur Dorfmusik wirbeln, sinkt Daysha zu Boden
Daysha
Die Beschnittene überlebte den hohen Blutverlust. Aber ihre Wunden entzündeten sich, eiterten, vergifteten das Blut und ließen alle Schmerzen wiederkehren, ja, tagelang noch unerträglicher als zuvor sein. Bis sie in eine gnädige letzte Ohnmacht versank. Die Blicke ihrer Eltern, voll tiefer Traurigkeit, Liebe und Stolz, nahm sie mit in den Tod., etwa vierzig Jahre vor ihrer eigentlichen Lebenserwartung. Im Diesseits ist Daysha, die Blume, verwelkt, vom Monsun verweht. Aber sie blüht, wie alle unsere geliebten Toten, in den Herzen weiter: in denen des Stammes, besonders ihrer Familie. Und in der Seele eines jungen Mannes namens Maalik. Seine Freundin wurde nur vierzehn Jahre alt.
© Hajo Nitschke V3
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Letzte Aktualisierung: 24.02.2013 - 11.34 Uhr Dieser Text enthält 10104 Zeichen. www.schreib-lust.de |