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Lust(ig) | Februar 2013

Rhody Byran erzählt: Seltsame Rituale auf Trare
von Gerhard Fritsch

In Zeiten, in denen zu befürchten war, dass die Bewohnbarkeit der Erde einem Ende zustrebt, machten sich Heerscharen von Menschen auf, in den Weiten des Weltalls eine neue Heimat zu suchen. Viele dieser Unternehmungen verliefen erfolgreich. Kolonien wurden gegründet, die bis zum heutigen Tag in Kontakt mit ihrem Herkunftsplaneten stehen. Von anderen jedoch wurde nie mehr etwas gehört. Eines dieser verlorenen Emigrantenvölker aber haben wir jüngst durch Zufall wiederentdeckt.
Es war kurz vor unserer Abreise aus Xerxi Village, einem interstellaren Handelsstützpunkt, als wir vom Kommandanten eines Raumschiffes der Paplapulmer die Koordinaten eines Planeten mit menschenähnlicher Bevölkerung bekamen, der in unserem Bordverzeichnis noch nicht aufgeführt war. Es handelte sich um Trare, den dritten Planeten des Sterns Ennos. Da es keinen Umweg für uns darstellte, beschlossen wir, dort einen Zwischenstopp einzulegen.

Schon vom Orbit aus zeichnete sich ab, dass es auf Trare nur eine einzige von intelligenten Wesen bewohnte Stadt gab, die, wie sich herausstellte, mit einer Einwohnerzahl von gut drei Millionen Individuen aufwartete. Durch weit hinausreichende Kanäle war sie mit dem Rest des Planeten verbunden, der mit üppiger Vegetation sowie unzähligen Seen und Sümpfen übersät war. Die klimatischen Bedingungen waren für Menschen optimal, trotzdem setzten Groskin und ich beim Ausstieg aus unserem Raumgleiter unsere Skaphanderhelme auf, deren Translationsprogramm mit der neuen Sprachversion des Paplapulmers aktualisiert worden war. Die drei Androiden, die uns begleiteten, hatten das nicht nötig. Sie hatten den kompletten Wortschatz längst in ihrem Gehirn abgespeichert.

Die Trarener waren zweifelsohne menschenähnlich, zumindest was die äußere Erscheinung anbelangt. Lediglich die Hautfarbe unterschied sich von den auf der Erde vorkommenden, sie war bei allen Individuen grau, etwa so wie das Grau einer Maus. Dafür war die Art und Weise, wie sie sich kleideten, sehr vielfältig und – nach unserem Geschmack – ausgefallen. Viele hatten Hüte auf, manche riesig große, andere wiederum winzig kleine. Ihre Kopfhaare konnten anscheinend jede x-beliebige Farbe annehmen, wobei die Frauen sie sehr lang wachsen ließen, wahrscheinlich, um sie als zusätzliche Körperbedeckung zu nutzen, denn die meisten von ihnen waren nur sehr spärlich bekleidet.

Die Begrüßung durch die Trarener war überschwänglich, ja fast schon grotesk. Sie jubelten, lachten und winkten uns mit bunten Tüchern und so etwas wie fliegenden Spiralen zu. Dazu wurden Fanfaren geblasen. Besonders mir und Groskin galt anscheinend ihre Begeisterung, wahrscheinlich wegen der Helm-Kommunikatoren, die wir trugen. Etwas peinlich empfand ich das Gebaren unserer Roboter, die anfingen, auf der Stelle zu marschieren und dabei mit erhobenen Armen weit ausladend zu winken. Warum sie das taten, erfuhr ich erst im Nachhinein. Sie hatten sich die Daten eines kompletten tausendseitigen Kompendiums über Geschichte einschließlich Verhaltenskodices der Trarener einverleibt, die der Paplapulmer auf Xerxi ebenfalls in elektronischer Form bei sich gehabt hatte. Für einen Informationsaustausch ergab sich jedoch keine Gelegenheit, denn wir wurden sogleich in die Bürgermeisterei geleitet, wo wir von einer erhabenen Persönlichkeit sehr würdevoll begrüßt wurden. Sein Rang war daran erkennbar, dass er eine gold- und silberbestickte Kopfbedeckung mit mehreren Enden trug, an denen kleine Glöckchen befestigt waren. Dies wiederum behinderte die Verständigung, weil das Spracherkennungsprogramm Glocken- und Sprechklang nicht eindeutig voneinander unterscheiden konnte.
Immerhin verstanden wir, dass als nächstes ein gemeinsames Essen mit den Offiziellen der planetaren Verwaltung auf dem Programm stand. Es gab so etwas wie Fisch mit Grünkohl, zumindest sah es so aus und schmeckte auch so ähnlich. Wie mir die Androiden später erzählten, war die Lebensmittelindustrie auf Trare gewissermaßen verselbständigt. Ihre Genwissenschaftler hatten es verstanden, Fauna und Flora soweit zu manipulieren, dass sich zum Beispiel Fische, wenn sie einen bestimmten Reifegrad erreicht hatten, mit Grüntang vollstopften und sich sozusagen freiwillig in einen der Verarbeitungsbetriebe begaben.

Weil mich mein Helmkommunikator beim Essen störte, war eine Unterhaltung mit unseren Gastgebern nicht möglich. Ich versuchte aber, mit Gesten zu verstehen zu geben, dass es mir gut mundete. Die Androiden hatten diesbezüglich keine Probleme, sie waren schon gleich in eine angeregte Unterhaltung mit den Trarenern verwickelt. Besonders die Gynoide unter unseren Robotern hatte es ihnen angetan. Mir schien, die Trarener würden nicht mich, sondern sie als Kommandantin unseres Raumgleiters ansehen.

Als die Tische wieder abgeräumt, dafür aber diverse Getränke aufgetischt waren, die zweifellos berauschende Wirkung zeigten, veränderte sich plötzlich unsere Umgebung. Wie auf einer Drehbühne glitten wir in eine große Halle, in der sich bereits Hunderte von jubelnden und lachenden Besuchern eingefunden hatten. Darunter befanden sich dem Vernehmen nach auch Chimären, Mischwesen mit Beinen und Armen wie Menschen, aber Köpfen von Vögeln oder anderen animalen Geschöpfen. Eine Gefahr schien von ihnen jedoch nicht auszugehen. Vorerst wenigstens.
Auf einer Art Bühne wurde nun ein Balz-Ritual aufgeführt. Etwa 20 junge Trarenerinnen tanzten um einen Trarener herum, der eine lange Feder auf seinen Hut gesteckt hatte, sich aber nur eines der Weibchen aussuchen durfte. Ihr Auftritt wurde mit frenetischem Geschrei bedacht. Sie wurden abgelöst von einem seltsamen Zwitterwesen mit zwei Köpfen, die sich miteinander unterhielten, wenn sie nicht gerade von einem Fanfarentusch unterbrochen wurden. Sie redeten anscheinend über gesellschaftliche Zustände, von denen Groskin und ich nichts verstanden. Unsere Androiden aber ließen sich vom Beifall des Publikums anstecken.
Danach kam eine Gruppe von männlichen Trarenern auf die Bühne, die in Kleider ihrer Artgenossinnen gehüllt waren und versuchten, deren Paarungstanz nachzuahmen. Groskin flüsterte mir zu, dass es sich dabei um eine äußerst interessante verhaltensbiologische Inszenierung handeln müsse, die Menge jedoch jubelte und grölte, und unsere Androiden klatschten und lachten, als wenn es sich um eine lustige Vorstellung gehandelt hätte.
Die Stimmung im Saal steigerte sich langsam ins Unerträgliche. Die Besucher fingen jetzt auch an zu tanzen und sich auf ihren Sitzen hin- und herzubewegen. Der Bürgermeister nahm unsere Gynoide bei der Hand und führte sie auf die Bühne, um sie dort vor aller Augen im Kreis herumzuwirbeln, was aber darin endete, dass beide eng umschlungen zu Boden gingen. Das Publikum kreischte, Groskin und ich aber stürzten nach vorne, um unserem Bordmitglied zu Hilfe zu eilen. In diesem Moment erschütterte eine gewaltige Explosion den Saal. Glücklicherweise funktionierte der Schussapparat der Trarener anscheinend nicht richtig, denn es wurde kein Sachschaden erkennbar. Dafür stoben Milliarden winziger silberner Splitter durch den Raum, die aber niemanden verletzten. Mit dröhnender Musik versuchte man den Vorfall zu übertuschen, für mich aber war der Zeitpunkt gekommen, mein Team aus der Gefahrenzone in Sicherheit zu bringen. Mit dem Rücken zur Wand, unsere Paralysatoren im Anschlag, verließen wir den tosenden Saal und stürmten zurück zu unserem Raumgleiter, dessen Notbesatzung bereits alle Vorbereitungen für einen Blitzstart getroffen hatte.

Zwei Tage später, als die Kopfschmerzen nachgelassen hatten, versuchten wir, die Erlebnisse auf Trare im Rahmen einer Besprechung aufzuarbeiten. Ich bin mir heute noch sicher, alle Entscheidungen richtig getroffen zu haben. Unsere Androiden aber machten keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. Sie fanden unser Verhalten als blamabel. Hätten wir sie – sie meinten Groskin und mich – auf Trare um Rat gefragt, hätten sie uns darüber in Kenntnis setzen können, dass wir dort einer Veranstaltung beigewohnt hatten, die für die Trarener ein überaus großes Vergnügen darstellt, ein Fest nämlich, das sie Canaveral oder Falsching nennen, bei dem nichts ist wie in normalen Zeiten.

Letzte Aktualisierung: 12.02.2013 - 20.01 Uhr
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