“Julia? Julia!”
Es half nichts, ich konnte ihr unmöglich ausweichen. Sie wogte mir mit wallender Mähne entgegen. Ihre ausladenden Kurven waren in einen pinkfarbenen Norwegerpullover gepresst.
Lea kniff ihre Augen zusammen und musterte mich und mein Business-Kostüm von oben bis unten.
“Deine Kleine geht auch hier in die Kita?”
Ich nickte. “Seit einer Woche.”
Lena-Marie war zwei Jahre. Nachmittags würde die Tagesmutter sie abholen, denn ich hatte selten pünktlich Feierabend. Meistens sah ich meine kleine Maus wochentags nur, wenn sie bereits zufrieden mit rosa Bäckchen in ihrem Bett lag. Sie und die Tagesmutter waren von Beginn an ein vertrautes Team und so hatte ich niemals ein schlechtes Gewissen gehabt, nach der Geburt relativ schnell wieder meinen Beruf auszuüben. Die Wochenenden gehörten ausschließlich meiner Tochter und mir.
“Mensch, wie die Zeit vergeht. Gut siehst du aus.” Sie blickte auf meine Lackpumps. “Du bist berufstätig?”
Ich nickte wieder, fühlte mich unbehaglich und blickte auf meine Armbanduhr.
“Hach!”, fuhr sie fort, “weißt du noch? Wir gemeinsam in den Wehen und dann diese Wette, welche zuerst ihr Kind haben würde.”
“Deins war zuerst da”, antwortete ich mit belegter Stimme.
Sie lachte. “Wenn man das Vierte kriegt, flutscht es halt wie von selbst raus.”
Oh ja!
Ich erinnerte mich recht gut.
Leas Familie bis dritten Grades stand erwartungsvoll um ihr Bett und damit es nicht langweilig wurde, haben sie Kaffee getrunken, die Kinder Kakao und es wurde gescrabbelt. Ihr Mann zeigte stolz wie ein Hahn mit geschwellter Brust auf seine Orgelpfeifen. “Alle selbst gemacht.” Er hielt mir ein Frikadellenbrötchen vor die Nase. “Auch selbst gemacht.”
Seine Mutter hatte es sich in der Ecke am Fenster bequem gemacht und strickte an einem Strampler. “Für den Stammhalter hellblau! Lea hat bis jetzt ja nur Rosa zustande gebracht! Aber nun wird‘s ein kerniger Bub!”
Die werdende Viel-Mama blickte auf die Uhr und maulte, weil die Wehen noch nicht oft genug kamen. “Ich hatte gehofft, dass ich spätestens um vier daheim wäre mit dem Baby, weil heute mein Batik-Kurs beginnt.”
Sie stöhnte leise unter der nächsten Wehe, lächelte zu mir hinüber und fragte mich, wo denn der werdende Papa sei, während ihr Gatte sich einen Keks in den Mund stopfte und nuschelte. “Aus Dinkelmehl. Habe ich heute in aller Hergottsfrühe gebacken.”
Er hielt mir die Tüte vor das Gesicht. In dem Moment zerriss mich eine Wehe und ich konnte mir einen Schrei nicht verkneifen.
Mir war, als würden nicht nur das Kind, sondern auch sämtliche Organe das Licht der Welt erblicken wollen. Und das schmerzte höllisch.
“Lass dir bloß nichts gegen die Schmerzen geben. Die Chemie taugt nichts und bringt dich um das echte, unverfälschte Geburtserlebnis.” Stattdessen empfahl Lea mir Kamillentee.
“Die Blüten sind aus unserem Garten. Ungespritzt!”, erklärte ihr Mann und bot mir Mithilfe beim Hecheln an.
Ich lehnte dankend ab und war froh, als ich endlich in den Kreißsaal geschoben wurde. Somit brauchte ich die Frage nach dem Erzeuger meines Kindes nicht zu beantworten und erhielt endlich die ersehnte Rückenmarksspritze.
Lea war nebenan und ich hörte sie kreischen. “Kinder! Genau hinsehen! Gleich kommt das Köpfchen! Nicht erschrecken wegen des Blutes, das ist nur Mamas Blut und es tut überhaupt nicht weh!”
Mir wurde übel.
* * *
“Bist du verheiratet?”, holte sie mich aus meinen Gedanken zurück und zupfte Wollflusen von ihrem Pullover.
Natürlich erzählte ich ihr nicht, dass mein kleiner Engel bei einem One-Night-Stand gezeugt worden war.
Ein verheirateter Kollege aus der Filiale. Er sah klasse aus, hatte bereits zwei gesunde, intelligente Kinder, da war das Risiko von missratenen Genen auf ein Minimum reduziert.
“Bin mit meinem Beruf verheiratet”, flötete ich dem Muttertier entgegen. “Wenn man in leitender Position tätig ist, da ist ein Mann eher hinderlich.” Ich zwinkerte ihr zu.
“Und dein Kind ist nicht hinderlich?” Hörte ich etwa einen zickigen Unterton heraus?
Ich erzählte ihr, dass meine Tochter von einer gut ausgebildeten Tagesmutter bei mir zu Hause betreut wird und nun wäre ja auch noch die Kita bis siebzehn Uhr eine Ergänzung. Dann schwärmte ich von unseren Wochenenden, wo wir auch mal eben für zwei Tage ins Fantasia-Land nach Paris fliegen würden, an die See oder in die Berge.
Leas Kiefer klappte über ihr Doppelkinn hinunter bis zum Atombusen. “Meine Kinder und ich sind glücklich, wenn wir jeden Mittag gemeinsam um den Ess-Tisch sitzen und es wird viel gelacht und erzählt. Deshalb hole ich Lyntinus-Krystian mit ‘K’ und ‘Y’ bereits um zwölf hier ab.”
Ich wandte mich zum Gehen um. “Jede, wie sie mag.”
“Hast du denn kein schlechtes Gewissen?”, warf sie mir hinterher, “dann isst deine Kleine ja überhaupt kein selbstgekochtes Essen, was du mit Liebe für sie zubereitet hast!”
“Die Tagesmutter war vor ihrer Diplom-Ausbildung zur staatlich geprüften Erzieherin Köchin!”, antwortete ich laut und wollte gerade die Türklinke in die Hand nehmen, als ich zurückgehalten wurde.
Es war die Kita-Leiterin. Sie bat mich ins Büro und erklärte mir die pädagogischen Hintergründe dieser Einrichtung, in der viel Wert auf Elternmitarbeit gelegt würde.
Das Fest-Gremium hatte beschlossen, dass ich für das Osterfest ein Lamm backen solle, man hätte bei dieser Entscheidung auf meine berufliche und allein erziehende Situation Rücksicht genommen. Die Osternester würde Lea unter Aufsicht und Mithilfe ihres Mannes aus Hanf basteln, die Eier würden die Väter gemeinsam ausblasen und bemalt würden sie von den Kids mit Naturfarben. “Wir haben einen Färbergarten.” Sie hielt mir eine Keksdose entgegen. “Aus Dinkelmehl. Probier’n Sie mal.”
“Aha”, kaute ich auf dem trockenen Etwas herum, “hat Leas Mann im Morgengrauen gebacken, bevor der krähende Hahn den aufgehenden Hefeteig erschrecken konnte.”
Sie strahlte mich an. “Oh! Sie kennen sich? Wie schön! Wenn Sie auch zweimal wöchentlich morgens an unserer Back-AG teilnehmen wollen, so heißen wir Sie herzlich willkommen!”
Ich schüttelte den Kopf und rückte meine Brille zurecht. “Da muss ich arbeiten.” Und wollte endlich zum Ausgang eilen, als sie mich abermals zurückhielt.
“Wäre es Ihnen denn wenigstens möglich, einmal in der Woche mit zwei anderen Müttern gemeinsam für die Kinder das Mittagessen zu kochen? Der Vollwert-Einkauf wird rollierend biodynamisch getätigt.”
Ich zog meine Augenbrauen hoch. “Die Kinder werden nicht von einem Caterer versorgt?”
Sie verzog ihr Gesicht zur Grimasse, als hätte ich gerade eine konventionell angebaute Handgranate auf den Tisch gelegt, um die Kita zu sprengen.
“Frau, äh, ja, ich bitte Sie!” Wir müssen doch wissen, woher das Essen kommt und was darin enthalten ist! Dieses Wissen steckt ausschließlich im Selbstgekochten!”
Ich erklärte ihr, dass meine Kleine in die Kita gehen würde, damit ich weiterhin meinem Beruf nachgehen könne. Wenn ich hier kochen müsse, so könnte ich auch am heimischen Herd für meine Kleine kochen. Allerdings hätte sie dort als Einzelkind keine Spielkameraden, würde kein soziales Miteinander erfahren und könnte somit auch nicht ihre Führungsqualitäten an den Kleineren und Schwächeren austesten.
Sie schnappte nach Luft und hauchte. “Aber das Osterlamm backen Sie?”
“Ich werde es mit Liebe backen”, flüsterte ich und legte zur Bekräftigung meine Handinnenfläche auf mein Herz. “Das Mehl mahle ich in meiner haushaltseigenen Mühle frisch und die Eier hole ich beim Bauern um die Ecke selbst aus dem Stall, die sind quasi noch warm vom Ausbrüten.”
Sie nickte zufrieden.
Es gibt einen Bäckerladen hier in der Nähe, die nehmen gerne Sonderbestellungen an. Aber das behielt ich für mich und konnte endlich diese Brutstätte der Selbstversorger verlassen.
Draußen lief mir wieder Lea über den Weg. Sie keuchte atemlos. “Ich habe flink für Lyntinus-Krystian eine andere Strumpfhose geholt. Wir wohnen ja gleich hier in der Nähe. Er hat geweint, weil seine Hose ganz arg kratzt.”
“So ist das, wenn die Oma Nesselfaser in Hellblau verstrickt”, konnte ich mir nicht verkneifen.
Sie fuhr sich über ihren gerundeten Bauch. “Die Mädchen haben ‘s vertragen, aber der Bub ist so empfindlich.” Dann wölbte sie ihren Leib noch mehr hervor. “Hast du ‘s bemerkt? Sechster Monat.” Sie zuckte mit den Schultern. “Mein Mann muss sich im Bett nur neben mich legen, schon ist es passiert.” Sie lachte. “Manchmal denke ich, dass mein Körper sich selbst befruchtet.”
Unbefleckte Empfängnis?
“Benutzt ihr etwa selbstgehäkelte Kondome?”, schoss es aus mir heraus.
“Jessas! Woher weißt du das? Die sind aus fairer Baumwolle, hygienisch kochfest und deshalb wiederverwendbar. Das spart Abfall.”
Sie drehte sich einmal um ihre eigene Achse. “Und den Norweger hat nicht die Oma gestrickt, sondern mein Mann. Ein Geschenk zum Muttertag.”
* * *
Bis zum Meeting hatte ich noch etwas Zeit und bestellte bei dieser Backfee das Osterlamm. “Sie müssen unbedingt einige Stückchen Eierschale in den Teig geben, es muss überzuckert sein, nach dem Backen brechen Sie es einmal in der Mitte durch und kleistern es mit Zuckerguss wieder zusammen. Der Überzug muss klumpig sein und soll ungleichmäßig aufgetragen werden. Wenn Sie dann noch ein paar bunte Zuckerdragees mit künstlichem Farbstoff darauf dekorieren könnten, wäre es für mich perfekt und die Kids freuen sich auch.”
“Das kost’ abba extra!”
Ich hätte wirklich JEDEN Preis bezahlt.
Plötzlich stutzte ich. Diese Kekse dort in der Auslage kamen mir bekannt vor. Ich hob die durchsichtige Tüte an. “Die empfehle ich Ihnen abba nich! Die sind staubtrocken. Abba wir ham da ‘nen Kunden, der will das so und kauft mir imma eine Großmenge ab.” Sie nahm mir die Tüte aus der Hand. “Ed jibbt ja nix, waddet nich jibbt.”
Ich verließ die Bäckerei und war überzeugt, dass ich den Laden mit diesen pinkfarbenen Norweger-Pullovern und den Häkelkondomen auch noch finden würde.