„Juchhe! Wir haben es geschafft!“ Jubelnd läuft Thomas über den Hof des Forschungsgeländes. Triumphierend hält er seiner Kollegin ein Reagenzglas mit einer klaren Flüssigkeit hin.
„Rate, was die Analyse ergeben hat!“ Ohne ihre Antwort abzuwarten: „Oktan, reines Oktan! Deine Mikroben, die wahren Rumpelstilzchen, machen flüssiges Gold aus Stroh! Wir machen Benzin selber! –
Sofort die neuen Resultate in den Vortrag einarbeiten! Josi, du berichtest, wie du die Mikroorganismen genetisch verändert hast, und ich anschließend, was die maßgeschneiderten Enzyme an den Bioabfällen bewirken.“
Übermütig schlingt der Biochemiker die Arme um seine junge Mikrobiologin und wirbelte sie herum.
In ihrer Begeisterung entgeht ihnen, dass sich im Stakkato eines Maschinengewehrs Stöckelabsätze nähern. Eine spöttische Stimme holt sie aus ihrer Euphorie zurück.
„Na, ihr scheint ja sehr viel Spaß miteinander zu haben! Mir sagst du immer, du hättest keine Zeit. Du müsstest so hart arbeiten!“
Josi zieht Thomas flink die Analysen-Ergebnisse aus der Kitteltasche und verschwindet in der Baracke, ihrer Arbeitsgruppe im Labor das Ergebnis einer langen gemeinsamen Arbeit zu verkünden.
Thomas hingegen ist nicht zu bremsen. „Du hast ja so recht, meine Schöne! Schmolle nur nicht. Ich weiß ja, du bist in den letzten Monaten zu kurz gekommen. Jetzt können wir feiern.“
Ebenso stürmisch wie zuvor seine Kollegin will er nun seine Freundin Marion durch die Luft wirbeln.
„He, bist du von allen guten Geistern verlassen! Dein Kittel stinkt! Bring meine Haare nicht durcheinander! Was ist das überhaupt für eine eklige Flüssigkeit an deiner Hand?“
„Das, mein Schatz, ist unsere Zukunft! Reines Benzin, hergestellt aus Abfällen. Wenn das erst richtig sprudelt, dann bau ich dir einen Palast.“
„Gut, dass du in Feierlaune bist. Ich wollte dich nur daran erinnern, dass wir heute Abend pünktlich bei der Vernissage sein müssen.“
„Heute? Verdammt! Nee, is nich drin. Der Internationale Kongress! Ich fahre noch heute los. Unser Vortrag ist gleich am ersten Tag. Tut mir leid, Schätzchen.“
„Und deine Mikroben-Schnipplerin fährt natürlich mit?“
„Ja, muss wohl. Ist ja hauptsächlich ihre Arbeit.“
Thomas nimmt den drohenden Blick seiner Geliebten gar nicht wahr, auch nicht ihr zischendes „Du kannst dich auf was gefasst machen! So geht keiner ungestraft mit mir um!“
*****
Auf der Rückreise von der erfolgreichen Tagung schmieden die beiden jungen Wissenschaftler weitere Pläne. „Ligno-Zellulose wie Stroh und Holzabfälle als Ausgangsmaterial, ist schon sehr gut. Aber richtig cool wäre es, Klärschlamm durch geeignete Mikroorganismen in Rohöl zu verwandeln. Das gesamte Spektrum – vom Schweröl bis zu den kleinen Molekülen für die Kunststoff-Industrie. Eine Raffinerie gleich neben der Kläranlage!“
Aufgekratzt singt er, ohne Rücksicht auf andere Fahrgäste: „Da drob‘n auf dem Berge, da steht ein Magazin, da machen Mikroben aus Scheiße Benzin. -
Wo könnten wir neue Mikro-Organismen finden? In den Mägen von Kamelen? Oder eher in Sümpfen? In Vulkan-Kratern? Da fahren wir in den Ferien hin. Okay?“
„Und deine Lagef?“ Das ist Josis Abkürzung für Lebensabschnitts-Gefährtin.
„Ach, das krieg ich schon hin! – Ich will rasch nochmal ins Labor.“
„Schaust du, dass meine Kulturen die richtige Temperatur haben?“
„Mach ich.“ Nach Betrachten seines Schlüsselbundes: „Komisch. Kannst du mir deinen Laborschlüssel leihen? – Dann bis Montag!“
*****
„Mich haut’s um!“, entfährt es Thomas, als er das Labor betritt „Da hat ja einer gehaust wie ne Wildsau!“ Glasgeräte zerbrochen auf dem Boden, eine Retorte zerschlagen.
Wer? Wieso? Ökochonder, die in Wut geraten, wenn sie nur das Wort ‚Gene‘ hören, ohne was zu verstehen? Oder eine Konkurrenz-Gruppe?
In Panik hin zur Tiefkühltruhe.
Entwarnung: Keine der kostbaren Kulturen fehlt. Im Nebenraum brüten in großen Glaskübeln Josis Bakterien, Hefezellen und diverse Pilze vor sich hin und produzieren die begehrten Enzyme.
Welcher Idiot bricht ein, ohne an den wahren Geheimnissen interessiert zu sein?
Thomas plumpst in den Armstuhl vor seinem Schreibtisch.
He, hoppla! Da hat sich ja jemand dran zu schaffen gemacht! Vom Geld in der Schublade fehlt nichts. Aber sein Laborjournal ist weg!
Jetzt ist’s offenkundig! Jemand ist hinter dem Verfahren her, will ihren Vorsprung nutzen, ihnen das Patent streitig machen.
Es nützt alles nichts, er muss die Polizei anrufen.
Schon wenig später steht ein freundlicher Beamter vor ihm.
Bald ist klar, dass keine Fingerabdrücke zu finden sind. Auch deutet nichts auf ein gewaltsames Eindringen hin. Da fällt auch Thomas ein, dass die Türen von der Baracke und vom Lab abgeschlossen waren, als er kam.
„Einer Ihrer Mitarbeiter, der mit der Erdöl-Mafia zusammenarbeitet? Mit den Öl-Konzernen in Texas, Russland und Kuwait ist nicht zu spaßen. Was Sie mir eben von Ihrer Arbeit erzählt haben, sind Sie ja nahe dran, den Öl-Welthandel aus den Angeln zu heben.“
Da muss Thomas doch lachen. „Bis zur industriellen Umsetzung, oh, das dauert! Bis dahin sind die natürlichen Erdöllager ohnehin fast erschöpft. Keine Sorge, unsere Forschung für Bio-Erdöl greift erst in Jahrzehnten.“
„Aber ich fahre schon mit Bio-Alkohol“, verkündet der Polizeibeamte stolz.
„Gerade davon wollen wir wieder weg, von diesem Teller-oder-Tank-Dilemma. Ziel ist es, aus Abfällen der Land- und Forstwirtschaft direkt Benzin oder andere Fraktionen des Erdöls herzustellen. Nennen wir es ‚Erneuerbares Erdöl‘.
Hier an der Schautafel sehen Sie schematisch, wie in die aufgeschnittene DNS eines Bakteriums ein Gen eingebaut wird. Das trägt die Information für ein bestimmtes Enzym. Wenn wir Glück haben, werden damit aus Abfällen die gewünschten Substanzen hergestellt. Sollte es gar gelingen, unsere Kläranlage in eine Ölquelle zu verwandeln, dann werden auch arme Staaten in der Lage sein, ihre Exkremente zu Benzin zu verarbeiten.“
Der Beamte ist angetan. „Faszinierend! Da kämpfen Armeen um Erdöl-Lager, da wird immer mehr Geld in Ölgewinnung gesteckt, wie Ölschiefer-Abbau, und die Umwelt immer mehr geschädigt. Und Sie sitzen in einer unscheinbaren Baracke und haben den Stein der Weisen in der Hand.“
Nachdenklich fügt er hinzu: „Aber diese Erkenntnisse sind doch durchaus für einen Konkurrenten ein lohnendes Objekt.“
„Möglich wäre es. Aber, wer immer da gewütet hat, muss eine ahnungsloser Depp sein. Ein Konkurrent, der an unseren Mutanten interessiert wäre, hätte Proben aus der Gefriertruhe mitgenommen. Aber nichts dergleichen. Schlimm genug, dass einiges zertrümmert wurde. Und meine handschriftlichen Protokolle sind verloren. Die sind wichtig, wenn wir mal beweisen müssen, die Ersten gewesen zu sein. Die Fakten selbst sind längst im PC gespeichert.“
*****
Daheim angekommen, findet Thomas keine Marion, sondern auch hier Chaos! Entgeistert steigt er über umgeworfene Stühle und herausgezogene Schubladen. Schränke stehen offen, Papiere auf dem Boden. Nach bangen Minuten des Rufens, Suchens, Nicht-wahr-haben-Wollens findet Thomas auf dem Küchentisch eine Nachricht:
WIR HABEN IHRE FRAU ENTFÃœHRT; GEBEN SIE IHRE FORSCHUNGSARBEIT AUF!
Also doch die Erdöl-Maffia? Thomas ist total aufgelöst.
Als er wieder denken kann, stellt er fest: Das war ein Deutscher. Ein Ausländer hätte geschrieben: entviert - oder ‚gekidnappt‘. Das ist internationale Ganovensprache. Aber ‚entführt‘! Typisch deutsch. Auch kein Rechtschreibfehler.
Und sein Laborschlüssel? Der liegt nicht wie üblich in der kleinen Schublade unter dem Computer. Am Schlüsselbrett hängt er. ‚Ich werde wohl alt und weiß nicht mehr, was ich tue.‘
Kopfschüttelnd geht er ins Badezimmer. Links im Spiegelschrank seine Utensilien, rechts Marions. Eigentlich. Aber rechts begrüßt ihn gähnende Leere. Nur paar abgenutzte Kajal-Stifte und eine leere Puderdose.
Das wäre das erste Mal, dass eine Entführte Zeit hat, ihre Schminksachen einzupacken.
Das Rauchen hat Thomas zwar vor Jahren aufgegeben; aber jetzt… Er weiß, wo Marions Reserven steckten. Wenn er frustriert oder wütend ist, dann schmecken die Kotzbalken besonders gut.
Er hofft, das Glimmen erleuchtet den Pfad durch die vielen Ungereimtheiten.
Licht ins Dunkel dringt, als er fast mechanisch seine schmutzige Reisewäsche in den Wäschepuff steckt. Ein schockierender Lichtstrahl! Am Rande der Dreckwäsche lugt eine Ecke seines Laborjournals hervor!
Das, was die Einbrecher mitgenommen haben!
Hä? Alles nur inszeniert?
Dass Marion eifersüchtig auf seine Arbeit ist, hat er geahnt. Aber doch niemals, dass sie so weit gehen würde!
Langsam greift er nach seinen Aufzeichnungen. Sie haben kaum gelitten. Ein paar Seiten eingerissen. Unwesentlich.
Viel heftiger ist der Riss in seinem Inneren.
Marion. Während er sich einen Cognac einschenkt, versucht er sich vorzustellen, was in seiner Schönen vor sich ging. Liebt sie ihn überhaupt , im Sinne von verstehen. Und er? Hat er sie nicht nur wie einen exotischen Schmetterling eingefangen, stolz, sie anderen vor der Nase weggeschnappt zu haben? Jagdtrophäe, mit der er angeben kann?
Wie anders seine Kollegin Josi. Die versteht ihn. Mit ihr kann er über alles reden. Oh, wenn er ihr von diesem Vorfall berichtet! Sie wird ihn trösten!
Wie ein Tsunami breiten sich in ihm Verletzung und auch Scham aus. Er schämt sich vor seiner Gruppe, dass sein Privatleben ihre Arbeit beeinträchtigt. Auch dass er die Polizei bemüht hat.
Verarscht von einer Frau! Diese Schlampe!
„Himmel, steh mir bei, dass ich nicht zum Berserker werde!“, fleht Thomas, den Blick zur Neonröhre gerichtet, die er um ihre Fassung beneidet.
Thomas schnappt einen Koffer, stopft Marions Sachen aus Schrank und Schubladen hinein und drücke ihn zu. Als der nicht reicht, tut es auch ein Müllsack. Meine Güte, hat dieses Weib aber viele Schuhe!
Noch immer kreidebleich vor Wut schleppt er die Klamotten in die Garage. Noch rasch eine SMS.
Es hat sich ausgemariont.
Ob Josi Zeit hat, zu kommen?
Eine Flasche Sekt steht im Kühlschrank, den gemeinsamen Erfolg zu begießen.
Da könnten sie auch gleich den Sommerurlaub planen.
2.V.
Letzte Aktualisierung: 17.03.2013 - 15.40 Uhr Dieser Text enthält 10266 Zeichen.