Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Selbst gemacht | März 2013
Tanz in den Mai
von Martina Lange

Helmut lehnte am Tresen. Seine Zigarette lässig in den Mundwinkel geklemmt, beobachtete er die tanzenden Paare aus sicherer Entfernung. Im Krug gab es an diesem Abend keinen freien Platz. Die Wirtin zapfte unermüdlich ein Glas nach dem anderen und schenkte ihm keinen Blick. Das konnte ihm nur Recht sein.
Willi schlenderte an ihm vorbei, die Ärmel seines weißen Hemdes bis über die Ellenbogen hochgekrempelt und die Hände in den Tiefen seiner Hosentaschen vergraben, in Richtung Ausgang. Er nickte Helmut beifällig zu und schob mit der Schulter die Tür auf. Vom Flur fegte ein nächtlicher Luftzug herein und erinnerte Helmut daran, dass er unbedingt Willis Jacke mit hinausnehmen musste.
Am anderen Ende des Tresens verlangte Günter lautstark nach einer Schachtel Zigaretten, als Fritz an ihm vorbeischleuderte, in jeder Hand ein Glas, so dass er sich mit den Händen nicht abfangen konnte, während er gegen Günter rempelte. Geistesgegenwärtig brachte Günter seinen Kumpan mit einer kräftigen Kehre wieder auf Kurs, steckte die Zigaretten ein und nahm eines der Gläser aus Fritz’ Hand.
Erstaunlicherweise war nicht ein Tropfen danebengegangen. Noch nicht. Helmut drückte energisch seine Zigarette aus. Es wurde Zeit beschloss er, stieß sich vom Tresen ab und schob sich durch die Tür.
Ein Schwarm giggelnder Mädchen, mit schwingenden Pferdeschwänzen und ihren extra weiten Röcken, drängelte sich an ihm vorbei in die Gaststube und weiter zum großen Saal, wo die Kapelle zu einer wohlverdienten Pause ansetzte. Über die Köpfe der zum Tresen strömenden Trinklustigen hinweg zwinkerte Dieter ihm zu. Er hatte ihn im letzten Moment gesehen, bevor die Gaststubentür hinter den Gänsen wieder zuschwang. Einen günstigeren Zeitpunkt, um unbemerkt hinauszugelangen, gab es nicht. Im Vorübergehen schnappte Helmut sich seinen Hut und Willis Jacke von der Garderobe. Draußen, unter der Linde, warf er sie ihm an den Kopf.
„Los, anziehen!“
„Ach Quatsch. Mir ist warm.“
„Egal, du leuchtest wie ein Glühwürmchen in deinem weißen Hemd. Dann können wir auch wieder hineingehen und allen verkünden, was wir vorhaben.“ Helmut lehnte sich an den Stamm des dicken Baumes.
Nun wussten die Restlichen drei auch Bescheid. Die Idee war mehr als gut und er hoffte, dass die Anzahl der Beteiligten ausreichen würde, um diese nach seinen Vorstellungen umzusetzen. Er hielt Willi auffordernd die offene Zigarettenschachtel hin. Nachdem der seine Tolle wieder in Form gebracht und seinen allerorts unvermeidbaren Kamm zurück in die Gesäßtasche geschoben hatte, fummelte er sich einen der begehrten Glimmstängel aus der schmalen Verpackung und schob ihn sich zwischen die Lippen. Erwartungsvoll reckte er sich Helmut entgegen.
„Wenn du dir noch mehr Brisk in die Haare schmierst, gehst du irgendwann in Flammen auf. Da, mach selbst.“ Helmut reichte ihm das Sturmfeuerzeug. Vorsichtig entzündete Willi seine Zigarette und sog genüsslich daran.
„Du musst nur wissen wie, dann ist das kein Problem.“, grinste er und warf das Feuerzeug zurück. Kopfschüttelnd richtete Helmut seinen Hut und wandte sich um. Lediglich die winzige Glut ihrer Zigaretten deutete nun noch auf ihren Standort hin. Lange mussten sie nicht warten. Reglos verfolgten sie, wie die Kneipentür einen ihrer Kumpel nach dem anderen in die letzte Aprilnacht hinausspuckte.

„Hast du die Bohlen?“
„Nein, aber das wird auch so gehen.“
„Na klar, wir sind doch genug.“
„Mann, das Ding ist schwer.“
„Sei froh, dass es leer ist.“ Unterdrücktes Prusten folgte dieser Feststellung.
„Hat auch keiner was anderes behauptet. So, jetzt auf drei.“ Sie konnten sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Helmut verdrehte die Augen.
„Wartet …, da ist wer …“ Günter presste dem glucksenden Fritz die Hand auf den Mund. Atemlos lauschten alle. Sie horchten so laut, dass nicht auszumachen war, ob sich unerwünschte Kundschafter hinter den Bäumen versteckten. Als Günter seine Hand wieder herunternahm, brodelte ein Rülpsen tief aus Fritz’ Kehle.
„Ejh, Mann! Lass deine Frösche zu Hause!“, zischte Helmut gereizt. Er hätte diesen Kerl gar nicht mitnehmen sollen. Es war jedes Mal das Gleiche.
Fritz antwortete mit gleichgültigem Schulterzucken.
„Die wandern jetzt.“ Ein zweiter Rülpser hatte allgemeines Kichern zur Folge. Die sind schlimmer, als die Mädchen, dachte Helmut schlug sich die Hand vor die Stirn.
„Hier, trink noch ’nen Schluck.“ Offenbar hatte Günter seinen Flachmann in der Tasche. Ein Gluckern ertönte. Das konnte ja heiter werden.
„So, sind jetzt alle weg?“ Da kein weiter Frosch einen Ton von sich gab, nahm Helmut an, dass die Medizin wirkte.
Die Straßenlaternen waren soeben erloschen. Das bedeutete, es war Mitternacht. Der letzte Schlag der Kirchenglocke über ihnen verklang in der völligen Dunkelheit. Musikfetzen wehten vom Krug herüber. Und die Bänder des Maibaumes raschelten leise im Wind. Die Kapelle forderte alles von den Gästen, die den Tanzboden zum Beben bringen würden. Von denen ging noch lange keiner nach Hause. Und er hoffentlich auch nicht. Trotzdem sollten sie sich sputen.
„Nun schieb doch endlich!“ Helmut presste die Aufforderung zwischen einem ärgerlichen Zähneknirschen hervor.
„Was glaubst du eigentlich, was wir hier machen?“ Ein noch ärgerlicheres Ächzen von Willi antwortete ihm.
„So … wird … das nichts.“ Dieter brachte nur noch ein atemloses Schnauben zustande. Sie verharrten in ratlosem Schweigen, gefolgt von lautem Grübeln und gekrönt durch ein abschließendes unterdrücktes Rülpsen.
Ein Schatten räusperte sich. „Kann ich helfen?“
Gemeinsam gefroren sie in den eingenommenen Haltungen.
„Öh, …“
„Äh, …“
„Naja, …“ Die allgemeine Ratlosigkeit konnte nicht greifbarer werden. Helmut versuchte sich durch ein Schulterzucken zu befreien, das jedoch kläglich in der Dunkelheit unterging. Er kannte die Schattenstimme.
„Was machst du denn hier?“, brachte er dumpf heraus. Fieberhaft nach einer Erklärung fischend in seinen sich überschlagenden Gedanken.
„Schon fertig mit Feiern?“, meldete sich Willi lahm.
„Jau! Der Fürst liegt unterm Tisch und pennt. Und Jupp gräbt an der Kleinen von Knapps rum. Und ihr? Arbeitet noch?“ Als Antwort ein spöttische Glucksen, das eindeutig von Fritz kam. Nun stolperte Heini aus den Schatten heran und begutachtete den Fall kritisch, wobei er sich an der Kirchmauer abstützte. „So wird das aber nichts. Habt ihr keine Bohlen?“ Damit wandte er sich an Helmut, der vor lauter Verwunderung kaum verständliche Worte zu einem zusammenhängenden Satz verbinden konnte.
„Na, was hab ich gesagt! Wir brauchen die Bohlen.“ Ein erneutes Zetern von Günter.
„Ich hab welche, soll ich die holen?“, bot Heini seine Hilfe an. Schwang herum und geriet so stark ins Wanken, dass Willi ihn im letzten Augenblick nur durch einen kräftigen Ruck vor dem ansonsten unvermeidlichen Absturz von der Kirchmauer bewahrte.
„He, he. Nun immer sachte. Also wollt ihr nun die Bohlen? Bald ist der Hexenabend vorbei, wir sollten nun allmählich fertig werden“, gab Heini zu bedenken und befreite sich aus Willis Griff, den er als Angriff auf seine Selbständigkeit deutete. In der Runde machte sich verblüfftes Staunen breit.
„Na gut, wenn du meinst.“, würgte Helmut hervor.
„Kein Problem.“ Heini winkte ab und geriet dabei wieder gefährlich ins Schwanken. „Aber ich brauch einen oder zwei, die mit anpacken. Und wir müssen leise sein.“
„Geht klar. Der Rest wartet hier auf euch.“ Helmut nickte und stieß Fritz den Ellenbogen in die Seite, um sein zunehmend lauter werdendes Feixen zu beenden.

„Du kannst sagen, was du willst, die haben hier alle einen an der Waffel. Ein Güllefass auf dem Feuerwehrschuppen.“
„Wie haben die das Ding da hinaufbekommen?“
„Bohlen.“
„Bohlen?“
„Ja, die Spuren hier sind eindeutig.“ Ratlos begutachteten die beiden diensthabenden Polizisten das gewagte Gebilde.
Mittlerweile versammelten sich einige Schaulustige und deuteten lachend auf das Dach. Durch die Umstehenden näherte sich Heini zielstrebig den immer noch verblüfften Polizisten. Seine mistverschmierten Gummistiefel schlenkerten um die dünnen Knöchel und lediglich die in den Schaft gestopfte Hose verhinderte, dass er sie verlor. Unter den übernächtigten Augen flammten seine Wangen wütendrot. Aus sicherer Entfernung grinste Helmut zu Willi und Günter hinüber, die auf der gegenüberliegenden Seite des Feuerwehrschuppens mit verschränkten Armen und einem Ausdruck ungläubiger Verwunderung zu dem Güllefass hinaufsahen. Sie machten ihre Sache sehr gut. Leise gesellte sich Dieter zu Helmut. Keiner wollte ein Wort verpassen, das während der sich anbahnenden Begegnung gewechselt werden würde.
„Morgen Wachtmeister, ich will eine Anzeige machen.“, raunzte Heini.
„Da müssen Sie zur Wache kommen, Herr …?“ Der angesprochene Polizist musterte sein Gegenüber mit hochgezogenen Brauen.
„Zehntaler. Heini Zehntaler. Mir wurde mein Güllefass entwendet, letzte Nacht.“ Den beiden Polizisten blieben die Münder offen stehen, bis es schließlich einem gelang sich zu räuspern.
„Oh, handelt es sich vielleicht um dieses dort?“ Der Polizist deutete auf das Dach und musterte den erbleichenden Heini, der sein Fass nun eindeutig wiedererkannte. So aus der Nähe betrachtet.
„Jetzt bin ich sehr gespannt darauf, wie er sich selbst anzeigt“, hustete Helmut und Dieter wischte sich die Tränen aus dem Augenwinkel.

Letzte Aktualisierung: 23.03.2013 - 11.19 Uhr
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