Selbst gemacht | März 2013
| Dinkelkekse und HĂ€kelkondome | von Anne Zeisig
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âJulia? Julia!â
Es half nichts, ich konnte ihr unmöglich ausweichen. Sie wogte mir mit wallender MÀhne entgegen. Ihre ausladenden Kurven waren in einen pinkfarbenen Norwegerpullover gepresst.
Lea kniff ihre Augen zusammen und musterte mich und mein Business-KostĂŒm von oben bis unten.
âDeine Kleine geht auch hier in die Kita?â
Ich nickte. âSeit einer Woche.â
Lena-Marie war zwei Jahre. Nachmittags wĂŒrde die Tagesmutter sie abholen, denn ich hatte selten pĂŒnktlich Feierabend. Meistens sah ich meine kleine Maus wochentags nur, wenn sie bereits zufrieden mit rosa BĂ€ckchen in ihrem Bett lag. Sie und die Tagesmutter waren von Beginn an ein vertrautes Team und so hatte ich niemals ein schlechtes Gewissen gehabt, nach der Geburt relativ schnell wieder meinen Beruf auszuĂŒben. Die Wochenenden gehörten ausschlieĂlich meiner Tochter und mir.
âMensch, wie die Zeit vergeht. Gut siehst du aus.â Sie blickte auf meine Lackpumps. âDu bist berufstĂ€tig?â
Ich nickte wieder, fĂŒhlte mich unbehaglich und blickte auf meine Armbanduhr.
âHach!â, fuhr sie fort, âweiĂt du noch? Wir gemeinsam in den Wehen und dann diese Wette, welche zuerst ihr Kind haben wĂŒrde.â
âDeins war zuerst daâ, antwortete ich mit belegter Stimme.
Sie lachte. âWenn man das Vierte kriegt, flutscht es halt wie von selbst raus.â
Oh ja!
Ich erinnerte mich recht gut.
Leas Familie bis dritten Grades stand erwartungsvoll um ihr Bett und damit es nicht langweilig wurde, haben sie Kaffee getrunken, die Kinder Kakao und es wurde gescrabbelt. Ihr Mann zeigte stolz wie ein Hahn mit geschwellter Brust auf seine Orgelpfeifen. âAlle selbst gemacht.â Er hielt mir ein Frikadellenbrötchen vor die Nase. âAuch selbst gemacht.â
Seine Mutter hatte es sich in der Ecke am Fenster bequem gemacht und strickte an einem Strampler. âFĂŒr den Stammhalter hellblau! Lea hat bis jetzt ja nur Rosa zustande gebracht! Aber nun wirdâs ein kerniger Bub!â
Die werdende Viel-Mama blickte auf die Uhr und maulte, weil die Wehen noch nicht oft genug kamen. âIch hatte gehofft, dass ich spĂ€testens um vier daheim wĂ€re mit dem Baby, weil heute mein Batik-Kurs beginnt.â
Sie stöhnte leise unter der nĂ€chsten Wehe, lĂ€chelte zu mir hinĂŒber und fragte mich, wo denn der werdende Papa sei, wĂ€hrend ihr Gatte sich einen Keks in den Mund stopfte und nuschelte. âAus Dinkelmehl. Habe ich heute in aller HergottsfrĂŒhe gebacken.â
Er hielt mir die TĂŒte vor das Gesicht. In dem Moment zerriss mich eine Wehe und ich konnte mir einen Schrei nicht verkneifen.
Mir war, als wĂŒrden nicht nur das Kind, sondern auch sĂ€mtliche Organe das Licht der Welt erblicken wollen. Und das schmerzte höllisch.
âLass dir bloĂ nichts gegen die Schmerzen geben. Die Chemie taugt nichts und bringt dich um das echte, unverfĂ€lschte Geburtserlebnis.â Stattdessen empfahl Lea mir Kamillentee.
âDie BlĂŒten sind aus unserem Garten. Ungespritzt!â, erklĂ€rte ihr Mann und bot mir Mithilfe beim Hecheln an.
Ich lehnte dankend ab und war froh, als ich endlich in den KreiĂsaal geschoben wurde. Somit brauchte ich die Frage nach dem Erzeuger meines Kindes nicht zu beantworten und erhielt endlich die ersehnte RĂŒckenmarksspritze.
Lea war nebenan und ich hörte sie kreischen. âKinder! Genau hinsehen! Gleich kommt das Köpfchen! Nicht erschrecken wegen des Blutes, das ist nur Mamas Blut und es tut ĂŒberhaupt nicht weh!â
Mir wurde ĂŒbel.
* * *
âBist du verheiratet?â, holte sie mich aus meinen Gedanken zurĂŒck und zupfte Wollflusen von ihrem Pullover.
NatĂŒrlich erzĂ€hlte ich ihr nicht, dass mein kleiner Engel bei einem One-Night-Stand gezeugt worden war.
Ein verheirateter Kollege aus der Filiale. Er sah klasse aus, hatte bereits zwei gesunde, intelligente Kinder, da war das Risiko von missratenen Genen auf ein Minimum reduziert.
âBin mit meinem Beruf verheiratetâ, flötete ich dem Muttertier entgegen. âWenn man in leitender Position tĂ€tig ist, da ist ein Mann eher hinderlich.â Ich zwinkerte ihr zu.
âUnd dein Kind ist nicht hinderlich?â Hörte ich etwa einen zickigen Unterton heraus?
Ich erzĂ€hlte ihr, dass meine Tochter von einer gut ausgebildeten Tagesmutter bei mir zu Hause betreut wird und nun wĂ€re ja auch noch die Kita bis siebzehn Uhr eine ErgĂ€nzung. Dann schwĂ€rmte ich von unseren Wochenenden, wo wir auch mal eben fĂŒr zwei Tage ins Fantasia-Land nach Paris fliegen wĂŒrden, an die See oder in die Berge.
Leas Kiefer klappte ĂŒber ihr Doppelkinn hinunter bis zum Atombusen. âMeine Kinder und ich sind glĂŒcklich, wenn wir jeden Mittag gemeinsam um den Ess-Tisch sitzen und es wird viel gelacht und erzĂ€hlt. Deshalb hole ich Lyntinus-Krystian mit âKâ und âYâ bereits um zwölf hier ab.â
Ich wandte mich zum Gehen um. âJede, wie sie mag.â
âHast du denn kein schlechtes Gewissen?â, warf sie mir hinterher, âdann isst deine Kleine ja ĂŒberhaupt kein selbstgekochtes Essen, was du mit Liebe fĂŒr sie zubereitet hast!â
âDie Tagesmutter war vor ihrer Diplom-Ausbildung zur staatlich geprĂŒften Erzieherin Köchin!â, antwortete ich laut und wollte gerade die TĂŒrklinke in die Hand nehmen, als ich zurĂŒckgehalten wurde.
Es war die Kita-Leiterin. Sie bat mich ins BĂŒro und erklĂ€rte mir die pĂ€dagogischen HintergrĂŒnde dieser Einrichtung, in der viel Wert auf Elternmitarbeit gelegt wĂŒrde.
Das Fest-Gremium hatte beschlossen, dass ich fĂŒr das Osterfest ein Lamm backen solle, man hĂ€tte bei dieser Entscheidung auf meine berufliche und allein erziehende Situation RĂŒcksicht genommen. Die Osternester wĂŒrde Lea unter Aufsicht und Mithilfe ihres Mannes aus Hanf basteln, die Eier wĂŒrden die VĂ€ter gemeinsam ausblasen und bemalt wĂŒrden sie von den Kids mit Naturfarben. âWir haben einen FĂ€rbergarten.â Sie hielt mir eine Keksdose entgegen. âAus Dinkelmehl. Probierân Sie mal.â
âAhaâ, kaute ich auf dem trockenen Etwas herum, âhat Leas Mann im Morgengrauen gebacken, bevor der krĂ€hende Hahn den aufgehenden Hefeteig erschrecken konnte.â
Sie strahlte mich an. âOh! Sie kennen sich? Wie schön! Wenn Sie auch zweimal wöchentlich morgens an unserer Back-AG teilnehmen wollen, so heiĂen wir Sie herzlich willkommen!â
Ich schĂŒttelte den Kopf und rĂŒckte meine Brille zurecht. âDa muss ich arbeiten.â Und wollte endlich zum Ausgang eilen, als sie mich abermals zurĂŒckhielt.
âWĂ€re es Ihnen denn wenigstens möglich, einmal in der Woche mit zwei anderen MĂŒttern gemeinsam fĂŒr die Kinder das Mittagessen zu kochen? Der Vollwert-Einkauf wird rollierend biodynamisch getĂ€tigt.â
Ich zog meine Augenbrauen hoch. âDie Kinder werden nicht von einem Caterer versorgt?â
Sie verzog ihr Gesicht zur Grimasse, als hÀtte ich gerade eine konventionell angebaute Handgranate auf den Tisch gelegt, um die Kita zu sprengen.
âFrau, Ă€h, ja, ich bitte Sie!â Wir mĂŒssen doch wissen, woher das Essen kommt und was darin enthalten ist! Dieses Wissen steckt ausschlieĂlich im Selbstgekochten!â
Ich erklĂ€rte ihr, dass meine Kleine in die Kita gehen wĂŒrde, damit ich weiterhin meinem Beruf nachgehen könne. Wenn ich hier kochen mĂŒsse, so könnte ich auch am heimischen Herd fĂŒr meine Kleine kochen. Allerdings hĂ€tte sie dort als Einzelkind keine Spielkameraden, wĂŒrde kein soziales Miteinander erfahren und könnte somit auch nicht ihre FĂŒhrungsqualitĂ€ten an den Kleineren und SchwĂ€cheren austesten.
Sie schnappte nach Luft und hauchte. âAber das Osterlamm backen Sie?â
âIch werde es mit Liebe backenâ, flĂŒsterte ich und legte zur BekrĂ€ftigung meine HandinnenflĂ€che auf mein Herz. âDas Mehl mahle ich in meiner haushaltseigenen MĂŒhle frisch und die Eier hole ich beim Bauern um die Ecke selbst aus dem Stall, die sind quasi noch warm vom AusbrĂŒten.â
Sie nickte zufrieden.
Es gibt einen BĂ€ckerladen hier in der NĂ€he, die nehmen gerne Sonderbestellungen an. Aber das behielt ich fĂŒr mich und konnte endlich diese BrutstĂ€tte der Selbstversorger verlassen.
DrauĂen lief mir wieder Lea ĂŒber den Weg. Sie keuchte atemlos. âIch habe flink fĂŒr Lyntinus-Krystian eine andere Strumpfhose geholt. Wir wohnen ja gleich hier in der NĂ€he. Er hat geweint, weil seine Hose ganz arg kratzt.â
âSo ist das, wenn die Oma Nesselfaser in Hellblau verstricktâ, konnte ich mir nicht verkneifen.
Sie fuhr sich ĂŒber ihren gerundeten Bauch. âDie MĂ€dchen haben âs vertragen, aber der Bub ist so empfindlich.â Dann wölbte sie ihren Leib noch mehr hervor. âHast du âs bemerkt? Sechster Monat.â Sie zuckte mit den Schultern. âMein Mann muss sich im Bett nur neben mich legen, schon ist es passiert.â Sie lachte. âManchmal denke ich, dass mein Körper sich selbst befruchtet.â
Unbefleckte EmpfÀngnis?
âBenutzt ihr etwa selbstgehĂ€kelte Kondome?â, schoss es aus mir heraus.
âJessas! Woher weiĂt du das? Die sind aus fairer Baumwolle, hygienisch kochfest und deshalb wiederverwendbar. Das spart Abfall.â
Sie drehte sich einmal um ihre eigene Achse. âUnd den Norweger hat nicht die Oma gestrickt, sondern mein Mann. Ein Geschenk zum Muttertag.â
* * *
Bis zum Meeting hatte ich noch etwas Zeit und bestellte bei dieser Backfee das Osterlamm. âSie mĂŒssen unbedingt einige StĂŒckchen Eierschale in den Teig geben, es muss ĂŒberzuckert sein, nach dem Backen brechen Sie es einmal in der Mitte durch und kleistern es mit Zuckerguss wieder zusammen. Der Ăberzug muss klumpig sein und soll ungleichmĂ€Ăig aufgetragen werden. Wenn Sie dann noch ein paar bunte Zuckerdragees mit kĂŒnstlichem Farbstoff darauf dekorieren könnten, wĂ€re es fĂŒr mich perfekt und die Kids freuen sich auch.â
âDas kostâ abba extra!â
Ich hÀtte wirklich JEDEN Preis bezahlt.
Plötzlich stutzte ich. Diese Kekse dort in der Auslage kamen mir bekannt vor. Ich hob die durchsichtige TĂŒte an. âDie empfehle ich Ihnen abba nich! Die sind staubtrocken. Abba wir ham da ânen Kunden, der will das so und kauft mir imma eine GroĂmenge ab.â Sie nahm mir die TĂŒte aus der Hand. âEd jibbt ja nix, waddet nich jibbt.â
Ich verlieĂ die BĂ€ckerei und war ĂŒberzeugt, dass ich den Laden mit diesen pinkfarbenen Norweger-Pullovern und den HĂ€kelkondomen auch noch finden wĂŒrde.
© anne zeisig, endfassung
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Letzte Aktualisierung: 20.03.2013 - 18.29 Uhr Dieser Text enthält 10180 Zeichen. www.schreib-lust.de |