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Selbst gemacht | März 2013

Ende der Geschichte?
von Helga Rougui

Das alles war nicht nur nicht lustig, sondern äußerst unangenehm.

Kuno schüttelte sich, aber das änderte nichts an seiner Beklemmung, hervorgerufen durch ein ins Melodramatische abdriftendes Kopf-B-Movie, in dem ein hinterhältiger, wütender Gatte, eine entsicherte Katzenfreßmaschine und ein toter Kuno die Hauptrollen spielten.
Et get kei grüßer Leid, als wat da Mensch sich selwa onndeit, dachte er ungehalten in der Mundart seiner nordhessischen Vorfahren, und artig den Mund zu halten war angesichts des Grafen Vorschlag seine erste Reaktion zwecks Selbstschutz gewesen.
Jetzt galt es herauszufinden, wohin der Hase lief.

Was nicht im übertragenen Sinn gemeint war.
Der von ihm gebuchte Schnellpostnager sauste gerade sehr konkret blitzschnell quer über ein abgeerntetes Stoppelfeld.
Kuno konnte sich glücklich schätzen, kurzfristig einen Platz auf dem Mittagstier ergattert zu haben. Er hatte nach dem ausgiebigen Frühstück in der gräflichen Wohnung ein leichtes Völlegefühl nicht vortäuschen müssen, um einen kleinen Verdauungsspaziergang glaubwürdig anzukündigen. Graf Talpa hatte seiner Natur gemäß darauf verzichtet, mit seinem Gast ins Tageslicht hinaufzusteigen, und daß ihn die Gräfin allein begleitete, war angesichts ihrer gemeinsamen zwar harmlosen, aber in den Augen ihres Ehemanns möglicherweise allzu undurchsichtigen vergangenen Kontakte völlig undenkbar und im übrigen das Letzte, was er wollte.
Kuno hatte es für das Beste gehalten, sich still und heimlich, aber zügig vom verminten Acker zu machen. Nun wurde er dermaßen hakenschlagend über die Krume gerüttelt, daß er bereits begann, lebhafte Zwiesprache mit den eben verspeisten Würstchen zu halten, und leise zum Gott der Geregelten Mahlzeiten betete, er möge ihm gestatten, das zu sich Genommene bei sich zu behalten. Er wußte nicht, welche Konsequenzen ein vollgekotzter Hase hinsichtlich der reibungslosen Fortsetzung seiner Reise haben würde.
Umgehend möglichst weit weg von der gräflichen Behausung zu sein war für ihn überlebenswichtig, denn er hatte keine Lust, an der vom Grafen angekündigten Erkundung des Geheimgangs teilzunehmen.
Einmal wußte er sehr genau, was bzw. wer ihn am Ende des Ganges erwartete, zum andern befürchtete er, daß er vorher mit ein bißchen Nachhilfe vom eifersüchtigen Ehemann möglicherweise eine falsche Abzweigung nähme oder sonstwie stolperte und so auf die eine oder andere dubiose Weise unterwegs auf der Strecke bliebe bzw. zu dieser gebracht würde.

Wie auch immer. Er war unterwegs und sozusagen entkommen. Plötzlich überfiel ihn eine durchaus nicht unbegründete Erleichterung, denn tatsächlich hatte er eine kleine Schwäche für die Gräfin resp. das ehemalige Serviermädchen gehabt, aber für handfeste Avancen war er seinerzeit viel zu schüchtern gewesen.

Wälder, Haine, Weiden und andere Nutzanbauflächen flogen an Kuno vorbei, und er entspannte sich. Seine Freude war groß, als er die Krummen Kiefern wiedererkannte - offensichtlich näherte er sich heimatlichen Gefilden. Aufgeregt guckte er zwischen den Löffeln seines Fortbewegungsmittels hindurch und erspähte – welch wunderbarer Anblick - den Baum, in dem sich sein Waldappartement befand. Er klopfte dem Hasen kräftig auf den Kopf – das Zeichen für Stop an der Bedarfshaltestelle – und segelte, da das Tier aus vollem Lauf ruckartig angehalten hatte, in hohem Bogen in die Löwenzahnwiese, rutschte noch eine kleine Weile bäuchlings vor sich hin und kam genau vor seinem Haustürloch mit der Nase in der Fußmatte zum Stillstand.
Bevor er sich bedanken konnte, stob der Hase schon davon, nur eine Wolke feinster Erdpartikel hing noch versonnen in der blassen Novembersonne, und Kuno blinzelte und hustete und dachte, wieso brennen alle Lampen, ich hatte doch abgeschlossen, ist das überhaupt das richtige Loch.

Es war das richtige Loch, wie der Heimkehrer an der zweimal maushohen, extradoppelbreiten Kühl-Gefrierkombination und der opulent mit Kissen bestückten dottergelben Ottomane feststellen konnte, aber die Beleuchtung stimmte nicht. Üblicherweise streichelte der gemütliche Schimmer eines prasselnden Kaminfeuers sanft die kaffeebraunen hölzernen Wände und die im Halbschatten sich verbergenden Einrichtungsgegenstände, jetzt aber sezierte ein grelles, gnadenloses Gleißen jedes Objekt im Raum und den Raum selbst bis in sein kleinstes Detail.
Kuno stellte ganz nebenbei erstaunt fest, daß sich auf der sandweißen Satintischdecke, die er von seiner Urgroßmutter geerbt hatte und die er gut zu kennen glaubte, weiß gestickte Blümchen mit je einer winzigen, in der Mitte festgenähten Süßwasserperle befanden. Eins war klar – in Zukunft würde er von einem solchen Kunstwerk nie mehr, sagen wir mal, Currywurst mit Pommes Schranke essen können – unvorstellbar. Ein schönes Tellergericht wie etwa Panse de porc farcie à la palatine käme da schon eher in Frage - Kuno rief sich zur Ordnung. Das war nun wirklich nicht der Moment.

Leicht benommen von seinen exkursiven Betrachtungen nahm er erst jetzt den zentralen Störfaktor wahr, die Lichtquelle, die seine heimische Idylle flutete. Etwas hockte, ungekämmt, schwarz, von innen funkelnd wie flüssiges Silber, durchsichtig und doch unübersehbar, auf seinem Sofa.

Ein Pfarrer? Ein Rabe? Ein Brikett?

Nun, es war natürlich Pauli.
Nicht der Große Pauly, pardon, der große Pauli in normaler Katzengröße, sondern eine Miniaturausgabe, in allen Einzelheiten original deckungsgleich mit dem Ungeheuer, aber eben nur genau so klein wie oder sogar etwas kleiner als Kuno, der entgeistert auf dieses geschrumpfte Exemplar seines Erzfeindes blickte.
Der Kleine Pauly, pardon, der kleine Pauli begann hemmungslos zu weinen. Er sei einsam, habe keine Bleibe, niemand koche ihm Spaghetti und als Nachtisch wäre ein großes Schokoladeneis nicht schlecht, aber keiner liebe ihn und er sei ganz allein. Seine Tränen spritzten in alle Richtungen, einige landeten als Funken im glimmenden Kaminfeuer, das hochaufloderte. Kuno war ein bißchen angeekelt von so viel Selbstmitleid, und er war neidisch. So was wie die Kaminanzündemasche hätte er selbst gern gekonnt, und darüber hinaus hätte er sich am liebsten auch mal so richtig leergeheult. Alles erschien ihm in letzter Zeit fürchterlich anstrengend, dauernd mußte er wegrennen, nur um im nächsten Schlamassel zu landen. War das hier schon der Beginn eines neuen Unheils? Oder noch der Rest des letzten Desasters?
Und das Schlimmste: sein Gast hatte Hunger und er hatte nichts im Haus.
.Er ließ sich auf das freie Ende des Canapés fallen und fragte:

"Also, es scheint, du bist die Essenz des großen Pauli? Und er selbst -?"
" – liegt als entseeltes Fellbündel in der Küche, die du kennst, neben einem mürrischen Omelett, das keiner mehr essen will."
"Unglaublich", murmelte Kuno, "der kleinste Katzengeist aller Zeiten hat den bedrohlichen Teil meines größten Widersachers hinter sich gelassen, um sich in meine Obhut zu begeben!? Ich glaube, es wird am besten sein, wenn ich uns beiden zunächst die Zutaten für ein saftiges Abendessen beschaffe. Wobei, das laß dir gesagt sein, kleiner Pauli, Mäusekarbonaden wirds nicht geben an meiner Tafel!"
Der kleine Pauli hob die Pfötchen, um zu zeigen, daß sie unbefleckt waren, beteuerte unschuldig, daß der blutrünstige Teil von ihm im Fellbündel verblieben sei und daß er mörderisches Gemetzel im Grunde von jeher gehaßt habe, daß man aber jetzt sehr flink mit dem Abendwiesel einen kurzen Abstecher in die Stadt machen könne, um sich in der nun raubtierfreien Küche in aller Ruhe mit den schönsten Käsesorten und anderen hausgemachten Spezialitäten einzudecken, die Fahrkarten habe er tatsächlich schon, und Kuno solle nicht lange fackeln und zusagen, denn so wolle er, der rundherum geläuterte kleine Pauli, seinen Anteil am Mahl beitragen, wo sie doch nun fürderhin befreundet seien und zusammen leben würden, nicht wahr.

Kuno überlegte. Der Plan schien ihm gut und die Unternehmung unter den gegebenen Voraussetzungen ein sicheres Unterfangen. Seine Gefräßigkeit, getarnt als Abenteuerlust, erwachte erneut. Er folgte dem kleinen Pauli, der bereits auf dem Weg nach draußen war, und genoß die Vorfreude auf eine anständige Portion selbstgelochten Emmentaler, einen deftigen Klecks selbstgerührten Pudding, ein üppiges Stück selbstgebackenen Kuchen und zum Dessert eine kräftige Scheibe selbstgemachtes Elend garniert mit selbstverschuldetem Untergang.

***

"So, Lizzi, kommmiezmiez, schau, dein neues Zuhause, da, dein Katzenkörbchen, die Kuscheldecke frisch gewaschen. Ach, der arme Pauli- Bastet hab ihn selig - hat immer so gern in der Küche sein Verdauungsschläfchen gehalten! Guck, Lizzi, miezmiez, ein nagelneues Katzenklo nur für dich. Und da unten in der Wand, an der linken Fußleiste, ist ein Loch, das mußt du aufmerksam beobachten, denn da kommt ab und zu – nein, kein Vögelchen raus ..."

***

"Och nee, nicht schon wieder!" donnerte Kuno mit plötzlich erstarktem Mut sowie seine Haustür ins Schloß. Sie fiel mit beträchtlichem Krachen hinter dem tückischen Quasipauli zu, der sich, überrascht über die plötzliche Wendung, durch den von der Tür verursachten Luftzug unverzüglich in giftlila Wölkchen auflöste.

Kuno ließ sich angesäuert auf die Ottomane plumpsen.
"Ich bin doch nicht blöd", tönte er, "wieso soll ich immer wieder den gleichen Fehler machen? Das ist doch voll abgelutscht! Immer von neuem wie son Lemming in die gleiche Küche torkeln - und dann läuft "Und täglich grüßt das Katzentier" exklusiv für Mister Nixdazugelernt! Nö, ne."

Er hatte genug davon, Spielball einer undefinierten höheren Instanz zu sein, die offensichtlich weder fangen noch werfen noch zielen konnte.
Zur Abwechslung würde er ab jetzt in dem Rahmen, den ihm das Leben gesteckt hatte, selbst entscheiden, was aus ihm werden würde.

Kuno zerrte den Riesenkühlschrank aus seiner Ecke, öffnete die Tür und schmiß das Gerät in hohem Bogen raus, so daß die noch vage herumlungernden lila Dunstwölkchen ins Nichts verpufften.

Die Sonne scheint.
Heute ist der erste schöne Frühlingstag.
Es kann nur besser werden.

Letzte Aktualisierung: 05.03.2013 - 19.58 Uhr
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