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Selbst gemacht | März 2013

Stroh zu Gold
von Thea Derado

„Juchhe! Wir haben es geschafft!“ Jubelnd lĂ€uft Thomas ĂŒber den Hof des ForschungsgelĂ€ndes. Triumphierend hĂ€lt er seiner Kollegin ein Reagenzglas mit einer klaren FlĂŒssigkeit hin.
„Rate, was die Analyse ergeben hat!“ Ohne ihre Antwort abzuwarten: „Oktan, reines Oktan! Deine Mikroben, die wahren Rumpelstilzchen, machen flĂŒssiges Gold aus Stroh! Wir machen Benzin selber! –
Sofort die neuen Resultate in den Vortrag einarbeiten! Josi, du berichtest, wie du die Mikroorganismen genetisch verĂ€ndert hast, und ich anschließend, was die maßgeschneiderten Enzyme an den BioabfĂ€llen bewirken.“
ÜbermĂŒtig schlingt der Biochemiker die Arme um seine junge Mikrobiologin und wirbelte sie herum.
In ihrer Begeisterung entgeht ihnen, dass sich im Stakkato eines Maschinengewehrs StöckelabsĂ€tze nĂ€hern. Eine spöttische Stimme holt sie aus ihrer Euphorie zurĂŒck.
„Na, ihr scheint ja sehr viel Spaß miteinander zu haben! Mir sagst du immer, du hĂ€ttest keine Zeit. Du mĂŒsstest so hart arbeiten!“
Josi zieht Thomas flink die Analysen-Ergebnisse aus der Kitteltasche und verschwindet in der Baracke, ihrer Arbeitsgruppe im Labor das Ergebnis einer langen gemeinsamen Arbeit zu verkĂŒnden.

Thomas hingegen ist nicht zu bremsen. „Du hast ja so recht, meine Schöne! Schmolle nur nicht. Ich weiß ja, du bist in den letzten Monaten zu kurz gekommen. Jetzt können wir feiern.“
Ebenso stĂŒrmisch wie zuvor seine Kollegin will er nun seine Freundin Marion durch die Luft wirbeln.
„He, bist du von allen guten Geistern verlassen! Dein Kittel stinkt! Bring meine Haare nicht durcheinander! Was ist das ĂŒberhaupt fĂŒr eine eklige FlĂŒssigkeit an deiner Hand?“
„Das, mein Schatz, ist unsere Zukunft! Reines Benzin, hergestellt aus AbfĂ€llen. Wenn das erst richtig sprudelt, dann bau ich dir einen Palast.“
„Gut, dass du in Feierlaune bist. Ich wollte dich nur daran erinnern, dass wir heute Abend pĂŒnktlich bei der Vernissage sein mĂŒssen.“
„Heute? Verdammt! Nee, is nich drin. Der Internationale Kongress! Ich fahre noch heute los. Unser Vortrag ist gleich am ersten Tag. Tut mir leid, SchĂ€tzchen.“
„Und deine Mikroben-Schnipplerin fĂ€hrt natĂŒrlich mit?“
„Ja, muss wohl. Ist ja hauptsĂ€chlich ihre Arbeit.“
Thomas nimmt den drohenden Blick seiner Geliebten gar nicht wahr, auch nicht ihr zischendes „Du kannst dich auf was gefasst machen! So geht keiner ungestraft mit mir um!“

*****

Auf der RĂŒckreise von der erfolgreichen Tagung schmieden die beiden jungen Wissenschaftler weitere PlĂ€ne. „Ligno-Zellulose wie Stroh und HolzabfĂ€lle als Ausgangsmaterial, ist schon sehr gut. Aber richtig cool wĂ€re es, KlĂ€rschlamm durch geeignete Mikroorganismen in Rohöl zu verwandeln. Das gesamte Spektrum – vom Schweröl bis zu den kleinen MolekĂŒlen fĂŒr die Kunststoff-Industrie. Eine Raffinerie gleich neben der KlĂ€ranlage!“
Aufgekratzt singt er, ohne RĂŒcksicht auf andere FahrgĂ€ste: „Da drob‘n auf dem Berge, da steht ein Magazin, da machen Mikroben aus Scheiße Benzin. -
Wo könnten wir neue Mikro-Organismen finden? In den MĂ€gen von Kamelen? Oder eher in SĂŒmpfen? In Vulkan-Kratern? Da fahren wir in den Ferien hin. Okay?“
„Und deine Lagef?“ Das ist Josis AbkĂŒrzung fĂŒr Lebensabschnitts-GefĂ€hrtin.
„Ach, das krieg ich schon hin! – Ich will rasch nochmal ins Labor.“
„Schaust du, dass meine Kulturen die richtige Temperatur haben?“
„Mach ich.“ Nach Betrachten seines SchlĂŒsselbundes: „Komisch. Kannst du mir deinen LaborschlĂŒssel leihen? – Dann bis Montag!“

*****

„Mich haut’s um!“, entfĂ€hrt es Thomas, als er das Labor betritt „Da hat ja einer gehaust wie ne Wildsau!“ GlasgerĂ€te zerbrochen auf dem Boden, eine Retorte zerschlagen.
Wer? Wieso? Ökochonder, die in Wut geraten, wenn sie nur das Wort ‚Gene‘ hören, ohne was zu verstehen? Oder eine Konkurrenz-Gruppe?
In Panik hin zur TiefkĂŒhltruhe.
Entwarnung: Keine der kostbaren Kulturen fehlt. Im Nebenraum brĂŒten in großen GlaskĂŒbeln Josis Bakterien, Hefezellen und diverse Pilze vor sich hin und produzieren die begehrten Enzyme.
Welcher Idiot bricht ein, ohne an den wahren Geheimnissen interessiert zu sein?
Thomas plumpst in den Armstuhl vor seinem Schreibtisch.
He, hoppla! Da hat sich ja jemand dran zu schaffen gemacht! Vom Geld in der Schublade fehlt nichts. Aber sein Laborjournal ist weg!
Jetzt ist’s offenkundig! Jemand ist hinter dem Verfahren her, will ihren Vorsprung nutzen, ihnen das Patent streitig machen.
Es nĂŒtzt alles nichts, er muss die Polizei anrufen.

Schon wenig spÀter steht ein freundlicher Beamter vor ihm.
Bald ist klar, dass keine FingerabdrĂŒcke zu finden sind. Auch deutet nichts auf ein gewaltsames Eindringen hin. Da fĂ€llt auch Thomas ein, dass die TĂŒren von der Baracke und vom Lab abgeschlossen waren, als er kam.
„Einer Ihrer Mitarbeiter, der mit der Erdöl-Mafia zusammenarbeitet? Mit den Öl-Konzernen in Texas, Russland und Kuwait ist nicht zu spaßen. Was Sie mir eben von Ihrer Arbeit erzĂ€hlt haben, sind Sie ja nahe dran, den Öl-Welthandel aus den Angeln zu heben.“
Da muss Thomas doch lachen. „Bis zur industriellen Umsetzung, oh, das dauert! Bis dahin sind die natĂŒrlichen Erdöllager ohnehin fast erschöpft. Keine Sorge, unsere Forschung fĂŒr Bio-Erdöl greift erst in Jahrzehnten.“
„Aber ich fahre schon mit Bio-Alkohol“, verkĂŒndet der Polizeibeamte stolz.
„Gerade davon wollen wir wieder weg, von diesem Teller-oder-Tank-Dilemma. Ziel ist es, aus AbfĂ€llen der Land- und Forstwirtschaft direkt Benzin oder andere Fraktionen des Erdöls herzustellen. Nennen wir es ‚Erneuerbares Erdöl‘.
Hier an der Schautafel sehen Sie schematisch, wie in die aufgeschnittene DNS eines Bakteriums ein Gen eingebaut wird. Das trĂ€gt die Information fĂŒr ein bestimmtes Enzym. Wenn wir GlĂŒck haben, werden damit aus AbfĂ€llen die gewĂŒnschten Substanzen hergestellt. Sollte es gar gelingen, unsere KlĂ€ranlage in eine Ölquelle zu verwandeln, dann werden auch arme Staaten in der Lage sein, ihre Exkremente zu Benzin zu verarbeiten.“
Der Beamte ist angetan. „Faszinierend! Da kĂ€mpfen Armeen um Erdöl-Lager, da wird immer mehr Geld in Ölgewinnung gesteckt, wie Ölschiefer-Abbau, und die Umwelt immer mehr geschĂ€digt. Und Sie sitzen in einer unscheinbaren Baracke und haben den Stein der Weisen in der Hand.“
Nachdenklich fĂŒgt er hinzu: „Aber diese Erkenntnisse sind doch durchaus fĂŒr einen Konkurrenten ein lohnendes Objekt.“
„Möglich wĂ€re es. Aber, wer immer da gewĂŒtet hat, muss eine ahnungsloser Depp sein. Ein Konkurrent, der an unseren Mutanten interessiert wĂ€re, hĂ€tte Proben aus der Gefriertruhe mitgenommen. Aber nichts dergleichen. Schlimm genug, dass einiges zertrĂŒmmert wurde. Und meine handschriftlichen Protokolle sind verloren. Die sind wichtig, wenn wir mal beweisen mĂŒssen, die Ersten gewesen zu sein. Die Fakten selbst sind lĂ€ngst im PC gespeichert.“

*****

Daheim angekommen, findet Thomas keine Marion, sondern auch hier Chaos! Entgeistert steigt er ĂŒber umgeworfene StĂŒhle und herausgezogene Schubladen. SchrĂ€nke stehen offen, Papiere auf dem Boden. Nach bangen Minuten des Rufens, Suchens, Nicht-wahr-haben-Wollens findet Thomas auf dem KĂŒchentisch eine Nachricht:
WIR HABEN IHRE FRAU ENTFÜHRT; GEBEN SIE IHRE FORSCHUNGSARBEIT AUF!
Also doch die Erdöl-Maffia? Thomas ist total aufgelöst.

Als er wieder denken kann, stellt er fest: Das war ein Deutscher. Ein AuslĂ€nder hĂ€tte geschrieben: entviert - oder ‚gekidnappt‘. Das ist internationale Ganovensprache. Aber ‚entfĂŒhrt‘! Typisch deutsch. Auch kein Rechtschreibfehler.
Und sein LaborschlĂŒssel? Der liegt nicht wie ĂŒblich in der kleinen Schublade unter dem Computer. Am SchlĂŒsselbrett hĂ€ngt er. ‚Ich werde wohl alt und weiß nicht mehr, was ich tue.‘
KopfschĂŒttelnd geht er ins Badezimmer. Links im Spiegelschrank seine Utensilien, rechts Marions. Eigentlich. Aber rechts begrĂŒĂŸt ihn gĂ€hnende Leere. Nur paar abgenutzte Kajal-Stifte und eine leere Puderdose.
Das wĂ€re das erste Mal, dass eine EntfĂŒhrte Zeit hat, ihre Schminksachen einzupacken.
Das Rauchen hat Thomas zwar vor Jahren aufgegeben; aber jetzt
 Er weiß, wo Marions Reserven steckten. Wenn er frustriert oder wĂŒtend ist, dann schmecken die Kotzbalken besonders gut.
Er hofft, das Glimmen erleuchtet den Pfad durch die vielen Ungereimtheiten.

Licht ins Dunkel dringt, als er fast mechanisch seine schmutzige ReisewÀsche in den WÀschepuff steckt. Ein schockierender Lichtstrahl! Am Rande der DreckwÀsche lugt eine Ecke seines Laborjournals hervor!
Das, was die Einbrecher mitgenommen haben!
HĂ€? Alles nur inszeniert?
Dass Marion eifersĂŒchtig auf seine Arbeit ist, hat er geahnt. Aber doch niemals, dass sie so weit gehen wĂŒrde!
Langsam greift er nach seinen Aufzeichnungen. Sie haben kaum gelitten. Ein paar Seiten eingerissen. Unwesentlich.
Viel heftiger ist der Riss in seinem Inneren.
Marion. WĂ€hrend er sich einen Cognac einschenkt, versucht er sich vorzustellen, was in seiner Schönen vor sich ging. Liebt sie ihn ĂŒberhaupt , im Sinne von verstehen. Und er? Hat er sie nicht nur wie einen exotischen Schmetterling eingefangen, stolz, sie anderen vor der Nase weggeschnappt zu haben? JagdtrophĂ€e, mit der er angeben kann?
Wie anders seine Kollegin Josi. Die versteht ihn. Mit ihr kann er ĂŒber alles reden. Oh, wenn er ihr von diesem Vorfall berichtet! Sie wird ihn trösten!

Wie ein Tsunami breiten sich in ihm Verletzung und auch Scham aus. Er schĂ€mt sich vor seiner Gruppe, dass sein Privatleben ihre Arbeit beeintrĂ€chtigt. Auch dass er die Polizei bemĂŒht hat.
Verarscht von einer Frau! Diese Schlampe!
„Himmel, steh mir bei, dass ich nicht zum Berserker werde!“, fleht Thomas, den Blick zur Neonröhre gerichtet, die er um ihre Fassung beneidet.

Thomas schnappt einen Koffer, stopft Marions Sachen aus Schrank und Schubladen hinein und drĂŒcke ihn zu. Als der nicht reicht, tut es auch ein MĂŒllsack. Meine GĂŒte, hat dieses Weib aber viele Schuhe!
Noch immer kreidebleich vor Wut schleppt er die Klamotten in die Garage. Noch rasch eine SMS.
Es hat sich ausgemariont.

Ob Josi Zeit hat, zu kommen?
Eine Flasche Sekt steht im KĂŒhlschrank, den gemeinsamen Erfolg zu begießen.
Da könnten sie auch gleich den Sommerurlaub planen.

2.V.

Letzte Aktualisierung: 17.03.2013 - 15.40 Uhr
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